Der Tragödie siebzehnter Teil

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Issy führte mich in ihr Zimmer und zog dort angekommen eine mit bunten Kreisen verzierte Kiste unter ihrem Bett hervor.
Sie öffnete sie und sofort sah ich meinen roten CD-Spieler. Sie reichte ihn mir.

„Danke", sagte ich mit einer Mischung aus Erleichterung und einer Spur Neugierde, da ich nun endlich erfahren würde, was sich auf der Kassette befand.

Ich nahm den Rekorder entgegen und trug ihn in mein Zimmer runter.


Vorsichtig fuhr ich, auf dem Boden kniend, mit den Fingern über die silbern glänzenden Tasten. Langsam erhob ich mich, um die Kassette, die immer noch sicher verwahrt in meiner obersten Schreibtischschublade lag.

Ich fand die Taste zum Öffnen der vorne integrierten Klappe für Kassetten und legte das schwarze Stück Plastik ein. Dann drückte ich auf Play.

Nichts geschah.

Ich drückte ein zweites Mal auf Play, doch der Spieler blieb weiterhin stumm. Ich wurde nervös. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein, oder?

Hektisch presste ich meinen Zeigefinger noch ein paar Mal auf die Taste, bevor ich mit einem frustrierten kleinen Schrei aufgab.

Ich warf mich auf mein Bett und sah den CD-Spieler mit bösem Blick an. Da fiel mir etwas ins Auge. Von dem roten Gehäuse des Rekorders ging eine lange schwarze Schnur aus. Ein Kabel.

Augenblicklich stieg mir die Schamesröte ins Gesicht. Ich konnte nicht wirklich vergessen haben, das dumme Ding einzustöpseln.

Schnell sprang ich auf und steckte den kleinen Stecker am Ende des Kabels in die nächstbeste Steckdose und sofort erwachte der Rekorder zum Leben.
Ein weiteres Mal drückte ich auf Play und diesmal hörte man ein leises Ruckeln, dann ein Klicken und endlich fing der erste Song an.

Die ersten Akkorde spielten und schließlich stieß der Gesang einer weiblichen Stimme hinzu. Ich brauchte einige Sekunden, um das, was ich hörte zu verarbeiten. Irritiert starrte ich auf den Rekorder.

Die Sängerin, die hier gerade irgendeinen Pop-Song von sich gab, war doch eindeutig Ariana Grande.

Ich blinzelte ein paar Mal verwirrt.
Ich hatte die Kassette in fester Erwartung eingelegt, irgendeine mir nicht bekannte Band aus den Siebzigern, Achtzigern oder Neunzigern zu hören. Rock, oder vielleicht sogar Heavy Metal. Aber ein Popsong, der mit ziemlicher Sicherheit in letzter Zeit irgendwann mal in den Charts war?

Als das Lied zu Ende war, fing direkt das nächste an zu spielen. Wieder irgendein Song, den ich in letzter Zeit viel zu oft im Radio habe hören müssen.

Mir kamen fast die Augen aus dem Kopf, als ich bei den nächsten Songs Rihanna, Ed Sheeran und Wincent Weiß raushörte.

Ein zweites Mal ließ ich mich auf mein Bett sacken, diesmal jedoch nicht aus Frustration, sondern aus Verwirrung.
Die Kassette konnte nicht von Mae sein, oder? Aber wieso war ich auch davon ausgegangen?
Nick hatte einzig gesagt, dass sie nicht ihm gehöre.

Wobei, vermutlich war meine Irritation zumindest zu einem gewissen Maße begründet. Welcher normale Mensch zog schließlich seine Spotify-Playlist auf eine Kassette?

Als das Band durchgelaufen war, hörte man ein weiteres Klicken und danach verstummte der Rekorder erneut. Ich hievte mich von meinem Bett hoch, um die Kassette umzudrehen, doch es stellte sich heraus, dass die zweite Seite leer war.

Ich versuchte, die Enttäuschung, die in mir hochstieg zu unterdrücken. Mir war klar, dass ich gehofft hatte, dass das Tape von Mae war. Dass ich einen Blick in ihre Welt bekommen würde. Aber vermutlich war es besser so. Je weniger ich von ihr wusste, desto leichter würde es mir fallen, von ihr Abstand zu halten.

Da ich mitgezählt hatte, wusste ich, dass es insgesamt zwölf Lieder waren, und ich beschloss, sie mir ein zweites Mal anzuhören.
Diesmal nahm ich mir jedoch mein Handy dazu und googelte die Songtexte, um an die Titel und die Namen der Künstler zu kommen. Ich zog meinen Collegeblock hervor, riss eine Seite heraus und fing an, eine Liste anzulegen.

Vierzig Minuten später war das Tape ein zweites Mal durchgelaufen und meine Liste vervollständigt.

Ich hatte recht gehabt, es waren wirklich nur Chartsongs aus den letzten zwei Jahren dabei. Allesamt teilten das gleiche Genre – Pop.
Doch egal wie lange ich auch auf das Stück Papier in meiner Hand starrte, es erschloss sich mir einfach nicht, was es mit der Kassette auf sich haben könnte.

Zusammen mit der Kassette legte ich die Liste zurück in die oberste Schublade meines Schreibtischs.

Würde Nick mir erzählen, woher er die Kassette hatte, nachdem er beim letzten Mal, als ich sie gefunden hatte, so abweisend reagiert hatte?

Ich entschied, mein Glück zu versuchen und griff nach meinem Handy. Kurz zögerte ich noch, da es nicht nur schon weit nach Mitternacht war, sondern auch, weil ich ihn diesen Abend bereits überfallen hatte. Aber meine Neugierde war einfach zu groß, als dass ich bis zum nächsten Morgen hätte warte können.

Ich öffnete den Chat mit ihm und tippte eine kurze Textnachricht.

Hey, habe gerade das Tape angehört, das du mir geschenkt hast. Echt cool, hast du das selbst erstellt?

Ich schickte die Nachricht ab und keine zehn Sekunden später kam Nick online. Kurz darauf zeigte mein Handy zeigte mir an, dass er tippte.

Ich wartete gespannt.

Er hörte auf zu tippen. Dann fing er wieder an. Dann hörte er wieder auf.

Das Symbol, dass er online war, verschwand, ohne dass er geantwortet hatte.

Ich starrte mein Handy weitere fünf Minuten an, bevor ich die Hoffnung aufgab.

Frustriert legte ich es auf den Nachtisch.

Ich hasste es, nicht zu wissen, was es mit der Kassette auf sich hatte.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt