Der Tragödie zwölfter Teil

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Wir verabredeten uns wirklich noch am selben Abend für den kommenden Tag. Wir wollten zusammen in die Stadt und dort Eis essen.

Es wurde ein toller Tag und ich genoss die Zeit, die wir miteinander verbrachten. Der einzige Schatten, der weiterhin über allem schwebte, war der, dass sich immer noch kein Gefühl der Verliebtheit bei mir einstellen wollte.


Als ich am Montagmorgen auf meinem Platz im Chemielabor saß, drehte sich Layla Rieckmann, die wie üblich direkt vor mir saß, zu mir um.

„Stimmt es, was man sagt?", fragte sie mit ihrer bittersüßen Stimme. „Du und dieser Nick?"

Ich lächelte. „Ja, das könnte durchaus stimmen."

Sie beäugte mich misstrauisch. „Ich wollt es ja erst nicht glauben, aber Kara schwört darauf, dass sie euch gestern in der Stadt gesehen hat. Bei einem Date."

Sie spuckte das letzte Wort aus, als wäre es giftig.

„Ja, Layla, Nick und ich waren gestern in der Stadt auf einem Date. Überrascht dich das etwa so sehr?", ich konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.

Layla zischte irgendetwas leise zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hervor, doch der Lärm, den die Schüler um uns herum verursachten, verhinderte, dass ich sie verstehen konnte. War vermutlich besser so.

In dem Moment betrat unsere Chemielehrerin den Raum und die Gespräche um uns herum wurden langsam leiser.

Auch Layla drehte sich wieder nach vorne, ohne mir jedoch vorher noch einen weiteren abschätzigen Blick zuzuwerfen.


Die restlich Chemiestunde lang befand ich mich in einer Art schwebendem Zustand, in den mich die Tatsache, dass mein Plan so lupenrein aufgegangen war, versetzt hatte. Und so konnte nicht einmal die Ankündigung unserer Lehrerin, dass wir heute in zwei Wochen eine schriftliche Leistungskontrolle schreiben werden, meine gute Laune zerstören.

Als die Stunde vorbei war und ich gerade mein Buch in den Rucksack stopfen wollte, kam unsere Chemielehrerin Frau Doktor Hansen an meinen Tisch. Sie hatte gerade erst ihr Referendariat abgeschlossen und die anfängliche Motivation, die die jungen von den alten Lehrern unterscheidet, würde vermutlich noch mindestens ein bis zwei Jahre anhalten, egal wie viel Mühe wir Schüler uns gaben, den Beruf einer Lehrkraft so unattraktiv wie möglich zu gestalten.

„Könntest du noch einen Moment dableiben, Themis?", fragte sie und schenkte mir ein freundliches Lächeln. An den Tagen, an denen wir rein theoretischen Unterricht machten und sie folglich nicht ihren weißen Laborkittel trug, war sie äußerlich kaum von uns Schülern zu unterscheiden.

„Ehm sicher", sagte ich und versuchte meiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie unvorbereitet mich das traf.

Nachdem sich der Raum geleert hatte, trat ich an das Pult. Meine Leistungen in Chemie waren zwar vielleicht nicht bombastisch, aber doch eigentlich recht gut, was war also der Grund für diese Unterredung?

„Hast du schon mal etwas vom Kepler-Turnier gehört?", eröffnete sie das Gespräch.
Ich zuckte mit den Schultern. „Kepler ist ein Typ aus Physik, aber ..."

Sie schien ein wenig enttäuscht. „Das Kepler-Turnier ist ein einmal im Jahr stattfindender Wettkampf zwischen den Schulen hier in der Umgebung. Dabei gibt es sowohl theoretische als auch praktische Aufgaben in allen naturwissenschaftlichen Fächern, also Mathe, Informatik, Biologie, Chemie und Physik. Und da unserer Schule noch ein Kandidat fehlt, dachte ich, du könntest vielleicht Interesse haben."

Ich sah sie überrascht an. „Ich?"

Sie lächelte. „Guck, Themis, du stehst zwar vielleicht nicht glatt eins in Chemie, aber ich denke, wenn du dich noch etwas anstrengst, könntest du das durchaus problemlos schaffen."

Ich war nie eins dieser Kinder gewesen, die an Schulwettkämpfen teilgenommen hatte und in Spanisch war mein Ziel dieses Jahr, einfach nicht durch den Kurs zu fallen, aber eine gewisse Begabung für Naturwissenschaften hatte mein Vater mir wirklich vererbt. Was also sprach dagegen?

Ich freute mich über die Chance, ihn stolz machen zu können und um ehrlich zu sein, schien die Möglichkeit, Juni und Maxine gegenüber auch endlich mal Erfolge aufweisen zu können, sehr verlockend.

„Ich würde mich sehr freuen, am Kepler-Turnier teilnehmen zu dürfen."

Frau Hansens Lächeln wurde noch ein Stück breiter. „Das freut mich wirklich sehr zu hören. Streng dich bei dem Test übernächste Woche am besten noch mal doppelt an und ich wette, dann kannst du mir zeigen, was für ein Chemie-Ass du bist."

Auch wenn ich ihre Formulierung etwas befremdlich fand, nahm ich mir fest vor, sie nicht zu enttäuschen. Sie entließ mich und ich verließ das Labor.
Als ich mich gerade zur Treppe wenden wollte, bekam ich fast einen Herzinfarkt, als ich Malin, die neben der Tür stand, bemerkte. Ein Schauder lief mir über den Rücken.

Sie musterte mich mit ihren großen dunklen Augen, die hinter den schwarzen Haaren hervorblitzten und in ihren Blick trat etwas unglaublich Enttäuschtes.

„Hey", begrüßte ich sie und versuchte, meiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie mich gerade erschreckt hatte.
Sie antwortete nicht und sah mir nur weiter tief in die Augen.

„Wartest du auf jemanden?", erkundigte ich mich, doch wieder erhielt ich keine Antwort.

Nervös kratzte ich meinen Nacken. „Okay, dann einen schönen Tag noch ..."
Schnell lief ich die Stufen nach unten, da ich so viel Abstand wie möglich zwischen mich und diese unangenehme Begegnung bringen wollte.

Als ich schon fast am Treppenabsatz angekommen war, hörte ich Malin irgendetwas leise sagen. Ich machte Halt und drehte mich zu ihr um.

„Wie bitte?", fragte ich sie freundlich, in der naiven Annahme, sie würde mir auf einmal antworten und mich nicht bloß weiter anstarren.

Nach einigen Sekunden hielt ich ihre Blicke nicht mehr aus und floh durch die nächstbeste Tür.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt