Der Tragödie siebenundzwanzigster Teil

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Es vergingen schrecklich lange weitere drei Stunden, bevor Nick vorschlug, dass wir uns langsam auf den Weg zurück zum Haus der Leutnants – Caro, Paul und Nils' Nachname wie ich jetzt erst erfahren hatte – machen könnten.

Es war mittlerweile fast neun und die Sonne war bereits größtenteils hinter dem Horizont verschwunden.

Sofort sprang ich auf. „Klar!"

Das meine Reaktion auf den Vorschlag, zurückzugehen, vermutlich etwas zu begeistert klang, fiel mir leider zu spät auf.

Nick musterte mich misstrauisch. „War es so schrecklich?"

Nicht rotwerden, nicht rotwerden.

„Was, nein, es war wirklich toll! Ich bin nur ... etwas müde." Als Alibi gähnte ich laut.

Nick warf mir noch einen zweifelnden Blick zu, bevor er anfing, all das, was wir quer über die blaue Decke verteilt hatten, zurück in seinen Rucksack zu packen.
Mae half ihm mit ausdrucksloser Miene dabei. Sollte sie genauso gespannt auf gleich sein wie ich, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.

Nick hob die Decke hoch und klopfte sie aus, bevor er sie zusammenfaltete und in seinen Rucksack stopfte. „Haben wir noch irgendwas vergessen?"

Ich schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht."

„Na dann los."

Wir liefen die kleine Steigung am Rande des Ufers hoch und nahmen dann den selben Weg, auf dem wir auch hergekommen waren.

„Was machen wir eigentlich morgen?", erkundigte ich mich, nachdem wir wieder an der Straße angekommen waren.

Nick zuckte mit den Schultern. „Meistens grillen wir einmal. Es ist ja schon ziemlich spät und Nils schläft bestimmt schon, also machen wir das vermutlich morgen Abend."

Ich nickte langsam. „Das klingt echt cool!"

„Definitiv, und Caro ist echt ziemlich klasse im Grillen", stimmte er mir zu. „Keine Ahnung, was wir davor machen. Hast du denn irgendwelche Wünsche?"

Mein einziger Wunsch war, dass es nicht so verdammt lange dauern würde, bis wir endlich wieder zurück beim Haus der Leutnants waren. Hätte ich nicht gewusst, dass es der gleiche Weg ist, hätte ich darauf geschworen, dass der Rückweg jetzt schon mindestens doppelt so lange dauerte wie der Hinweg.

„Nicht wirklich, ich weiß aber auch gar nicht wirklich, was man hier alles machen kann. Außer Schwimmen und Wandern natürlich."

„Naja, sonst gibt es hier auch nicht wirklich viel zu erleben, um ehrlich zu sein," gab Nick zu. Plötzlich schien ihm eine Idee zu kommen und seine Augen leuchteten auf. Er wandte sich seiner Schwester zu. „Hast du nicht erzählt, dass so ein kleiner Bauern-Jahrmarkt in dem Nebendorf aufgemacht hat?"

Mae musterte ihn. „Ja, schon, aber bist du sicher, dass das nach Spaß klingt? Ich meine, ich habe echt keinen Bock das Gewicht eines Schweins zu schätzen und gebratenen Mais am Stiel in mich reinzustopfen."

Nick verdrehte die Augen. „Du musst ja nicht mitkommen. Ist sogar besser so, ein Jahrmarkt wäre voll die gute Idee für ein Date."
Er drehte sich wieder so um, dass er mich ansah. „Findest du nicht auch?"

„Eh", sagte ich – ein Beweis für meine definitiv vorhandene Intellektualität und Sprachgewandtheit.

„Nicht gut?", er sah verunsichert aus.

„Doch", sagte ich schnell, obwohl mir bewusst war, dass ich absolut keinen ganzen Nachmittag damit verbringen konnte, Nicks Freundin zu spielen. Denn das würde erstens mein Gewissen mir nicht durchgehen lassen und zweitens (ein großes Zweitens) musste ich jeder Situation aus dem Weg gehen, in der Nick erneut versuchen könnte, mich zu küssen.

Ich stupste Mae mit dem Ellbogen in die Seite. „Dich überreden wir auch noch."

Sie sah mich prüfend an. „Vielleicht. Ich meine, den ganzen Tag allein dort rumsitzen klingt auch nicht unbedingt besser als sich mit ein paar Hühnern anzufreunden."

Ich vermied es, nach links zu gucken, um nicht den enttäuschten Ausdruck auf Nicks Gesicht sehen zu müssen.

Wir gingen weiter und nach kurzer Zeit sah ich das Haus der Leutnants am Horizont auftauchen. Ich unterdrückte ein Seufzen der Erleichterung.

Nachdem weitere gefühlte Jahre verstrichen waren, standen wir endlich vor der Haustür und Nick drückte auf die Klingel. Aus dem Inneren konnte man ein gedämpftes „Dimdamdom" hören.

Es dauerte mindestens ganze zehn Sekunden, bis Paul endlich die Tür öffnete.

„Hey ihr drei, da seid ihr ja wieder." Begrüßte er uns. „War es denn schön?"

Nick nickte. „Ja, es war mega. Das Wasser war total geil."

Paul lächelte. „Das klingt doch wirklich gut. Dann kommt erstmal rein."

Während wir unsere Schuhe auszogen, trat Caro durch eine der an den Flur angrenzenden Türen. „Er schläft endlich."
Sie schien uns jetzt erst zu bemerken, was ich etwas eigenartig fand, da die Klingel eigentlich ziemlich laut gewesen sein musste.
„Ach, hey. Gut, dass ihr wieder da seid. Ich habe euch ein paar Sandwiches in den Kühlschrank gestellt. Tut ihr mir den Gefallen und seid leise? Paul und ich haben gerade echt lange gebraucht, Nils zum Zubettgehen zu überreden und ich habe absolut keinen Nerv mehr, das heute noch ein zweites Mal zu machen."

Mae lächelte. „Natürlich sind wir leise."

Nick und ich nickten. „Danke für die Sandwiches."

Caro lächelte erschöpft. „Kein Problem."


Wir holten die belegten Brote aus der Küche und nahem sie mit nach oben, wobei wir – natürlich – extra leise waren.

Oben am Treppenabsatz angekommen, drehte sich Nick zu uns um. „Wollt ihr noch mit in mein Zimmer kommen?"

Nein.

„Klar warum nicht", antwortete ich, da ich wusste, dass es die einzige richtige Antwort war.

Er lächelte. „Super!"

Er trug das Tablett mit den Sandwiches in sein Zimmer und stellte es dort auf den Nachtisch ab. Dann setzte er sich im Schneidersitz auf sein Bett und wir taten es ihm gleich, sodass wir eine Art Kreis zu bilden schienen.

„Stört es dich nicht, wenn wir dein Bett vollkrümmeln?", erkundigte ich mich, doch er schüttelte den Kopf. „Ist ja noch ein Überwurf drüber.

Zögerlich stellte ich das Tablett mit den Broten in die Mitte des Bettes und griff dann nach einem der Teller.

„Und was machen wir jetzt?", erkundigte sich Mae. „Also außer essen?"

Nichts. Schnell essen und dann mit Mae auf unser Zimmer, um endlich dieses Gespräch führen zu können. Meine Nervosität war immer schwieriger zu unterdrücken.

Nick zuckte mit den Schultern, dann grinste er. „Wahrheit oder Pflicht?"

Keine gute Idee. Gar keine gute Idee.

„Ist das nicht irgendwie kindisch?", versuchte ich den Vorschlag abzuwenden. Nick rollte mit den Augen. „Jetzt hab dich doch nicht so."

Ich warf einen Blick zu Mae. Sie schien zu überlegen.

„Okay", sagte sie schließlich. „Also von mir aus. Nicht allzu lange zwar, ich bin ziemlich müde, aber ich sehe nichts, was gegen ein paar Runden sprechen würde."

Wir konnte sie mir so in den Rücken fallen?

„Also gut", seufzte ich. „Aber danach gehen wir schlafen, okay?"

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt