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Exakt sechsundvierzig Minuten später klingelte es. So viel zur deutschen Pünktlichkeit. Aber was sollte es, an die schlechte Angewohnheit der Amerikaner, immer und überall zu spät zu kommen, hatte ich mich bereits gewöhnt. Billie war eine von ihnen!

In der Zwischenzeit hatten Nico und ich einige Gläser und eine Menge Bier auf dem Küchentresen platziert, es grenzte an ein Wunder, wie viel Alkohol mein Mitbewohner in seinem Zimmer bunkern konnte.

Ich hingegen konnte nur mit einer halb-vollen Flasche Blue Coracao dienen. Sie war übrig geblieben, als Billie und ich das erste Mal zusammen getrunken hatte.

Billie! Ich wünschte sie wäre jetzt auch hier. Stattdessen musste ich mich jetzt mit völlig Fremden abgeben.

Zwischen der Gruppe Menschen, die soeben unsere Wohnung betreten hatte, entdeckte ich ein bekanntes Gesicht. Es war das Mädchen mit den blond gelockten Haaren, mit welcher ich auf der ersten und einzigen Studentenparty, bei der ich jemals anwesend war, getanzt hatte.

„Mia!", rief Nico, der gerade aus dem Bad kam und mir half, den Leuten die Jacken abzunehmen. Ein riesiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie in die Arme nahm. Verdächtig! Damit könnte ich Nico später bestimmt aufziehen.

Stumm folgte ich den anderen auf den Balkon, einige machten sich im Hinausgehen ein Bier auf. Acht Menschen zählte ich, drei Mädchen und fünf Jungs, Nico und ich miteingeschlossen. Der Platz auf dem kleine Balkon war gut ausgefüllt.

„Lorena, darf ich dir Annabel vorstellen?", meinte Nico und zog ein lächelndes Mädchen hinter sich her. Auf ihrer dunklen Haut kam die gelbe Jacke, die sie trug, besonders gut zur Geltung. Es war die gleiche gelbe Cordjacke, welche auch in meinem Schrank hing.

„Nur Anna!", entgegnete sie nun und strich ihre Hände schüchtern an ihrer Jeans entlang. Ihre Ausstrahlung gefiel mir, Anna ähnelte mir.

„Hi ich bin Lori!", meinte ich, bis mir auffiel, „ach das hat Nico ja gerade schon gesagt." Meine Wangen füllten sich mit Hitze. „Studierst du auch?", fragte ich um diese Peinlichkeit möglichst schnell zu überspielen.

„Lehramt, auf Kunst und Englisch", antwortete Anna. Seltsam, alle die mir ähnlich waren, hatten etwas mit Kunst zu tun. Das sagte ganz schön viel über mich aus.

„Cool ich liebe Kunst!", entgegnete ich. Anna setzte zur nächsten Frage an. „Studierst du auch? Ich hab ein Atelier, komm doch mal mit wenn es dich interessiert."

„Ein Atelier? Du lebst meine Traum! Sag mir beschied, wenn du das nächste mal hinfährst!", rief ich staunend, „und um deine Frage zu beantworten, ich studiere Kunst am Art Center College of Design."

Aus Annas Mund erklang ein überraschtes Pfeifen „Nicht schlecht Lorena! Das ist eine der renommiertesten Unis in ganz Amerika."
Peinlich berührt nickte ich. „Ich weiß, hab ein Stipendium bekommen. Nicht, dass du denkst, ich wäre reich oder so."

Annabel zuckte mit den Schultern. „Pff, Geld ist mir sowieso nicht wichtig!"

Unser Gespräch verlief geschmeidig, Anna gab mir das Gefühl, als könnte man sich wirklich mit ihr unterhalten - kein oberflächlicher Smalltalk. Davor war mir gar nicht aufgefallen, wie sehr mich das an den anderen Amerikanern hier störte.

„Ich wusste doch, dass die beiden sich verstehen!", murmelte Nico und wand sich wieder zu den restlichen Gästen, welche sich im Hintergrund laut amüsierten.

Danach drehte sich unsere Plauderei nur noch um Kunst. Anna erzählte mir von guten Museen und Sehenswürdigkeit hier in LA - The Broad stand auf ihrer Liste für zeitgenössische Kunst ganz oben. Mental machte ich mir eine Notiz, diesem Museum unbedingt einen Besuch abzustatten. Vielleicht ja zusammen mit Billie, wenn sie wieder da ist, schoss es mir durch den Kopf, vielleicht aber auch lieber nicht...

Who Am I? - Billie Eilish Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt