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„I wanna see the world when I stop breathing, turning blue"

Lorena:

Die Asphalt Landschaft rauschte heute einmal ausnahmsweise als schnelle bunte Flecken an mir vorbei. Ab und zu taten sich vereinzelt ein paar grüne Bäume auf, doch hauptsächlich war ich, wie so oft, enttäuscht von der Tristheit LAs.

Im Minutentakt quietschten die Räder, dann wurde ich unsanft nach vorne geschleudert. Ich hatte beschlossen den Bus zu nehmen, was sich schon jetzt als klare Fehlentscheidung herausstellte, dabei hatte ich noch nicht einmal die halbe Strecke geschafft.

Nachdem ich mich zum hundertsten Mal auf dem unbequemen Sitz zurecht gerückt hatte, lehnte ich meinen Kopf gegen die Scheibe in der Hoffnung, das kalte Glas würde meinen Körper irgendwie herunter kühlen. Die Kombination aus durchgesessenen Polstern und Schweiß kratze an meinen Oberschenken, während meine Gedanken, wie so oft in den letzten Tagen um die versäumte Prüfung kreisten.

Der fröhliche Abend mit Nicos Freunden auf unserem Balkon hatte nur kurzweiligen Trost gespendet. Mittlerweile war eine weitere Woche vergangen, das Datum zeigte Mittwoch, den 2.07.

Ob es wohl noch lange dauern würde, bis ich die Noten erfahren würde? Schätzungsweise ein Minimum von drei Wochen, hatte mein Mitbewohner gesagt. Das beruhigte mich allerdings kein bisschen, denn das Warten auf meinen möglichen Untergang schien mir noch schlimmer.

Wenigstens konnte ich mich so bereits mit meinem Schicksal abfinden und anfangen, auf die Nachprüfung zu lernen. Zwei von drei Versuchen hatte ich ja noch, ich musste wirklich damit aufhören, mich so dermaßen in diese dämliche Note reinzusteigern.

Zu allem Überfluss hatte auch Billie noch immer kein Wort von sich hören lassen. Nur dank diverser Textnachrichten mit Finneas hatte ich überhaupt herausgefunden, wo sie sich gerade befanden, nämlich in England. Vermutlich war Billie beschäftigt oder beleidigt, da sie gehofft hatte, ich würde nach meinen Prüfungen ihr Angebot, sie auf Tour zu begleiten, doch noch annehmen. Aber das konnte ich nicht! Oder doch?

Eigentlich hatte ich kaum noch etwas zu tun. Bis auf ein paar Abgaben war alles erledigt. Mein Gott, meine Langeweile hatte mich schon bis in diesen Bus getrieben.

Nein Lori, denk nicht mal dran, ermahnte ich mich. Wie um alles in der Welt sollte ich meinen Eltern erklären, dass ich mit einer der berühmtesten Personen auf der Erde plötzlich um den besagten Planeten reiste. Das klang sogar in meinen Gedanken bizarr und abwegig. Die Wahrscheinlichkeit, dass mir das wirklich passiert war, lag bei was? Eins zu Zehnmillionen? Wobei es schon verlockend klang, so eine Europareise.

Obwohl ich in Deutschland Zuhause war, hatte ich in meinem Leben erschreckend wenige Länder bereist.

„Stell dir mal vor Lori, wir können uns Paris zusammen anschauen oder den Big Ben!", Billies Stimme hallte klar und deutlich in meinem Kopf. Es war einer der vielen überzeugenden Versuche gewesen, mich zu überreden, „du kannst deine Familie besuchen, wir können ganz bestimmt irgendwie einen Tag in Deutschland freischaufeln!" Verdammt, Billie wusste wirklich mit welchen Argumente sie mich rumkriegen würde. Ihre Stimme war voller Hoffnung, die ich nun erneut kaputt machen musste.
„Ich kann nicht Bil, du weißt, dass es nicht geht!"

Konnte ich wirklich nicht oder wollte ich nicht, fragte ich mich, mein Bein wippte unruhig auf dem dreckigen Boden des Busses. Hatte ich insgeheim eigentlich nur Angst was passieren würde, wenn ich mit auf Tour käme? Was meine Eltern sagen würden, was passieren könnte, sollte mein Gesicht doch an die Öffentlichkeit geraten?

Vielleicht war es auch die Angst vor unvorhersehbaren Situationen, in die ich durch Billie geworfen werden könnte, so wie damals im Starbucks. Wenn man berühmt war kannten die Menschen plötzlich keine Grenzen mehr und selbst, wenn ich nur zuschauen musste wie Billie in solch schreckliche Situationen geriet, würde ich mich bereits es bei diesem Anblick in die hinterste Ecke verkriechen wollen. Ich konnte nicht mit ansehen, wie sie jeden Tag belagert wurde, Menschen dreist Kameras in ihr Gesicht hielten oder sie sich ständig mit Fremden auseinandersetzen musste. Das war einfach nichts für mich.

Who Am I? - Billie Eilish Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt