Alles, was zählt

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Erwartungsvoll sah Dan mich an.

"Sollte etwas passieren, muss ich wissen, dass du die Anderen davon abhältst, etwas Dummes zu tun"

Dan: "Also weißt du, wenn du sowas sagst, klingt das ziemlich genau danach, als würdest du demnächst etwas Dummes tun"

"Mach dir keine Sorgen, ich hab alles unter Kontrolle"

Ich versuchte damit vermutlich mehr, mich selbst zu überzeugen, denn die Kontrolle über das Geschehen hatte ich schon vor langer Zeit verloren. Dan sah mich durchdringend an. Er glaubte mir kein Wort, aber er wusste auch, dass er mich nicht aufhalten konnte.

"Versprich mir einfach, dass du weiterhin auf sie aufpasst und dass du ihnen nicht von unserem kleinen Arrangement hier erzählst. Ich muss mich darauf verlassen können"

Dan seufzte. Ich konnte spüren, dass sein Widerstand bröckelte.

Dan: "Na schön. Kleines, du machst mich wahnsinnig, weißt du das? Pass bloß auf dich auf, wenn dir was passiert, bekommst du es mit mir zu tun"

"Klar, du kennst mich doch"

Dan: "Ja.. ganz genau deshalb mache ich mir ja auch Sorgen"

Ich lächelte ihn matt an, dann verstaute ich das Paket in meinem Rucksack.

"Ich will dich auch nicht länger aufhalten, also mache ich mich besser auf den Heimweg, es wird bald dunkel"

Dan: "Alles klar. Ich wollte eh noch bei Jessy vorbeischauen und sehen, wie es ihr geht. Sie kann bestimmt etwas Gesellschaft gebrauchen"

"Das denke ich auch. Und deine Gesellschaft lehnt sie bestimmt nicht ab"

Ich zwinkerte ihm zu und, kaum zu glauben, dass das überhaupt möglich war, aber Dan lief tatsächlich rot an. Mir war schon lange klar, dass Dan auf Jessy stand, und spätestens nach seiner Eskalation im Black Swan konnte ich mir sicher sein. Dass Jessy ihn damals versetzt hatte, hatte ihn wirklich getroffen. Und trotz meiner anfänglichen Vermutung, Jessy könnte in Richy verliebt sein, war ich mittlerweile davon überzeugt, dass auch sie etwas für Dan übrig hatte. Wären die Umstände besser, wären sie sich vermutlich schon längst näher gekommen. Es war gut, dass er jetzt für sie da war. Jessy hatte schon viel durchgemacht und konnte eine Konstante in ihrem Leben wirklich gut gebrauchen.

Dan begleitete mich zu meinem Auto.

"Ich weiß, du willst es nicht hören, aber danke. Ohne dich wäre ich wirklich aufgeschmissen. Anfangs dachte ich echt, du wärst ein totaler Trottel, aber mittlerweile bin ich echt froh, dass du zu meinen Freunden gehörst"

Dan: "Mensch, wo kommt denn diese Sentimentalität plötzlich her? Aber falls es dich beruhigt, ich habe dich auch ganz schön ins Herz geschlossen. Anfangs dachte ich echt, Thommyboy wolle uns verarschen, als er dich in den Chat geholt hat. War aber eine gute Entscheidung"

Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn. Das schien ihn ein wenig zu überfordern, doch er erwiderte die Umarmung, wenn auch etwas unbeholfen.
Dann stieg ich in mein Auto und bevor ich die Tür schloss, musste ich Dan noch einmal ärgern.

"Bis demnächst, Jack Daniels"

Er grinste und auch ich konnte es mir nicht verkneifen und es war tatsächlich ein echtes Grinsen. Ich wollte ja nicht riskieren, dass er sich an das sentimentale Geplapper gewöhnte. Es tat gut, einen Kumpel wie Dan zu haben, der immer für einen Scherz zu haben war und dem man auch ab und an mal den ein oder anderen Spruch verpassen konnte. Bei all den ernsten Themen und Ereignissen der letzten Zeit, waren solche lockeren Momente wirklich eine willkommene Abwechslung.

Auf dem Rückweg zum Motel hielt ich bei dem kleinen italienischen Restaurant an, bei dem ich schon einmal Essen für mich und Jake geholt hatte. Wenn ich den Feind besiegen wollte, musste ich bei Kräften bleiben. Ich entschied mich für eine Pizza. Als sich der Geruch langsam in meinem Auto ausbreitete, bekam ich tatsächlich das erste Mal wieder richtigen Hunger, sodass ich die ersten Stücke schon während der Fahrt aufaß. Die restliche Pizza aß ich schließlich in meinem Schlafanzug im Bett. Sowas hatte ich früher, als ich meine Zeit als Einzelgängerin noch genossen hatte, ständig getan. Essen vom Lieferservice im Bett essen und währenddessen eine Serie nach der anderen schauen. Das alles kam mir so unendlich lang her vor.
Ich stand auf, um den Karton wegzuwerfen. Danach würde ich versuchen ein wenig zu schlafen. Schlaf war bei mir in den letzten Tagen wirklich zu kurz gekommen und ich musste mich ausruhen, um klar denken zu können.
Ich rollte mich also in die Decke ein und ließ die kleine Lampe in der Sitzecke leuchten. So fühlte ich mich einfach etwas sicherer. Ich wusste nicht, ob er sie erhalten würde, aber ich beschloss Jake eine Nachricht zu schreiben. Er sollte wissen, dass ich an ihn dachte und ich ihn nicht einfach vergessen würde.

"Hey Jake, wieder ist ein Tag vorbei, an dem du nicht bei mir bist. Es wird von Minute zu Minute schwerer. Weißt du, ich denke oft darüber nach, wie unser Leben wohl aussehen könnte, wenn wir Hannah gefunden haben und alles vorbei ist und weißt du was? Es ist mir völlig egal, wie mein Leben dann aussieht, solange du bei mir bist. Das ist dann alles, was noch zählt. Wenn alles vorüber ist, gehe ich überall mit dir hin, Jake. Du bist mein Leben und ich möchte, dass du auch meine Zukunft bist. Das wünsche ich mir sehr. Ich hoffe, dass es dazu kommen wird. Ich werde alles tun, um es möglich zu machen. Pass bitte auf dich auf, Jake. Ich liebe dich"

Ich sperrte den Bildschirm und presste mir das Handy gegen die Brust. Ich konnte ihm einfach noch nicht erzählen, was passiert war. Damit würde ich riskieren, dass er sich selbst in Gefahr brachte. Genauso wenig durfte er von meinen Plänen erfahren. Er würde vermutlich völlig durchdrehen und alles tun, um mich davon abzuhalten. Trotzdem entsprach alles, was ich ihm geschrieben hatte, absolut der Wahrheit. Wenn ich lebend aus der Geschichte rauskam, würde ich ihm bis ans Ende der Welt folgen, wenn es sein musste. Ich wollte nie wieder von ihm getrennt sein und ich war bereit, dafür alles aufzugeben. Mein altes Ich hätte diesen Gedanken niemals für möglich gehalten. Nie hätte ich mein ganzes Leben hingeworfen, um mit einem Mann, den ich noch nicht allzu lange kannte und der außerdem noch auf der Flucht vor der Regierung war, zusammen zu sein. Doch Jake hatte es geschafft, dass ich all meine Prinzipien über Bord warf. Ich wusste, dass ich niemals jemand anderen so lieben konnte, wie ihn. Wozu also dagegen ankämpfen? Nach allem, was bisher geschehen war, kamen mir meine damaligen Probleme völlig belanglos vor. Ich hatte mir ständig Sorgen über mein Studium gemacht und oft bis spät in der Nacht für Klausuren gelernt oder an meinen Hausarbeiten geschrieben. Nie wäre mir dabei in den Sinn gekommen, dass ich an allem vorbeilebte. Durch Jake und die Anderen hatte ich erst gemerkt, was im Leben wirklich zählte, nämlich Dinge wie Liebe, Freundschaft, Vertrauen und Zusammenhalt. Und all das war es wert, darum zu kämpfen. Ich war bereit, alles für sie zu riskieren.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, doch meine Probleme ließen mich trotzdem nicht in Ruhe. Immer wieder sah ich in meinen Träumen die Maske des Mann ohne Gesicht, wie er mich hämisch auslachte. Und dann sah ich Richy. Er lag blass, kalt und leblos auf dem Waldboden. Es war wie damals, als er vor meinen Augen angegriffen wurde. Getrocknetes Blut klebte noch immer an seinem Mundwinkel, doch diesmal sah er mich nicht hilfesuchend an. Sein Blick war starr und leer. Dieser Anblick war so unerträglich, dass ich hochschreckte und kalter Schweiß an meiner Stirn klebte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mein Atem ging viel zu schnell. Ich versuchte mich zu beruhigen. Im Zimmer war es bis auf die kleine Lampe noch dunkel. Die Sonne war also noch nicht aufgegangen. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es gerade einmal halb sechs war. Doch das war nicht das Einzige, was mein Display mir anzeigte. Ich hatte wieder eine neue Nachricht von Unbekannt. Mit zittrigen Fingern öffnete ich sie.

Unbekannt: "Vielleicht ändert das deine Meinung"

Darunter befand sich ein Bild und ich traute meinen eigenen Augen kaum.

A Duskwood Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt