Ich wusste wohin ich wollte. Lange hatte ich überlegt, welcher Ort sich am besten für das kommende Aufeinandertreffen eignen würde.
Zu Fuß machte ich mich auf den Weg. Ganz in der Nähe meiner Wohnung gab es ein altes verlassenes Gelände, auf dem sich eine schon lange geschlossene und heruntergekommene Fabrik befand. Dorthin würde ich ihn locken. Wer auch immer von ihnen auftauchen würde, doch um ehrlich zu sein, ahnte ich es bereits.
Ich wusste, ich würde nicht lange brauchen, bis ich ankommen würde, doch ich hatte den Eindruck, als liefe ich schon ewig. Meine Füße trugen mich von allein und ich bemerkte kaum, was um mich herum geschah. Alles kam mir so surreal vor. Ich verspürte keine Angst, eigentlich empfand ich rein gar nichts mehr. In mir herrschte völlige Leere. Es war nicht so, dass mir nicht klar war, was ich da tat, denn das war mir vollkommen bewusst. Ich hatte mich einfach damit abgefunden. All das Leiden, die Angst und die Verzweiflung hatten mich zu diesem Zeitpunkt geführt. Vielleicht hatte es die ganze Zeit über so kommen müssen und ich war erst jetzt bereit gewesen, mich dem zu stellen.
In der Ferne konnte ich bereits den Zaun sehen, der das besagte Gelände umgab. Es hatte eine Zeit gegeben, kurz nachdem ich her gezogen war, in der ich regelmäßige Spaziergänge gemacht hatte. Daher kannte ich diesen Ort, oft war ich hier entlang gelaufen.
Als ich schließlich das Grundstück erreichte, schlüpfte ich durch ein Loch im Zaun hinein und ging auf das alte Gebäude zu. Ein letztes Mal sah ich mich um. Die ersten Häuser waren mindestens zweihundert Meter von diesem Grundstück entfernt, es würde also niemand bemerken, dass ich hier herumschlich.
Ich verschaffte mir Zugang zum Gebäude und versuchte mich mit Hilfe meiner Handytaschenlampe zu orientieren. Von außen sah es tatsächlich deutlich schlimmer aus, zumindest machte es nicht den Eindruck, als könnte es jeden Augenblick über mir zusammen stürzen. Ich erreichte einen Raum im hinteren Teil des Gebäudes. Es sah aus, als wäre es früher einmal ein Büro gewesen, denn es standen noch immer einige eingestaubte Schreibtisch und Bürostühle darin. Von der Decke hingen Neonröhren herab. Ich erwartete mir eigentlich nicht viel davon, als ich den Lichtschalter betätigte, doch zu meiner Überraschung erhellte eine der Lampen nach mehrmaligem Flackern den Raum. Es war nur ein schwaches Licht und die Lampe war bereits stark vergilbt, doch es machte das Ganze deutlich weniger unheimlich.
Ich ging zu einem der Schreibtische und wischte mit meiner Hand die Staubschicht auf der Tischplatte beiseite, dann setzte ich mich darauf. Es war an der Zeit, den Teufel höchstpersönlich zu kontaktieren. Ich öffnete die letzte Nachricht, die ich von ihnen erhalten hatte und tippte meine Antwort."Ihr wollt mich? Dann kommt und holt mich. Die Anderen sind raus aus diesem Spiel, das ist jetzt eine Sache allein zwischen uns"
Ich sendete die Nachricht ab und schickte meinen Standort hinterher. Jetzt hieß es warten und darauf hoffen, dass sie darauf eingehen würden. Ich war mir meiner Sache allerdings ziemlich sicher, solch eine Gelegenheit würden sie sich wohl kaum entgehen lassen.
Während ich so dort saß, dachte ich an die Anderen. Was taten sie wohl gerade? Ich hoffte, sie hatten auf mich gehört und nichts Dummes getan. Ob sie mich jetzt vielleicht hassten, weil ich mich von ihnen abgewendet hatte? Das war nie meine Absicht gewesen, doch ich hatte keine andere Möglichkeit mehr gesehen. Außerdem würden sie schon sehr bald von mir hören. Ich entschied mich dazu, die Nachricht vorzubereiten, in der ich ihnen sagen würde, wo sie Hannah finden würden. Wenn einer unserer Täter hier auftauchte, würde mir dafür nicht mehr viel Zeit bleiben."Hannah ist in der Mutprobenhütte im Wald. Einer der beiden ist noch bei ihr. Tut was nötig ist, um sie zu befreien. Ich weiß, ihr werdet es schaffen!"
Ich entschied mich dazu, die Nachricht später an Lilly zu schicken, denn irgendetwas sagte mir, dass sie wissen würde, was zu tun ist. Lilly würde vermutlich auch schlussfolgern können, warum ich mich ihnen gegenüber so verhalten hatte und mir war einfach wichtig, dass sie meine Beweggründe verstanden. Sie sollten nicht denken, ich hätte sie im Stich gelassen. All das hier tat ich für sie, Hannah und Jake.
Jake.. auch auf meine letzte Nachricht hatte er bisher nicht geantwortet. Hatten sie ihn geschnappt? Oder hatte er beschlossen alles hinter sich zu lassen, und in sein altes Leben zurückzukehren? Zurück in ein Leben ohne mich? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken schnell wieder zu verdrängen. Das würde Jake mir nicht antun, nicht nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht hatten. In diesem Moment, indem ich dort saß, wünschte ich mir nichts mehr, als ihn zu sehen. Allein seine Anwesenheit würde dafür sorgen, dass ich mich besser fühlte. Ein paar Tränen sammelten sich in meinen Augen. Hoffentlich hatte ich mir mit meinem Plan nicht jegliche Chance zerstört, ihn wiederzusehen. Egal, was heute Nacht geschehen würde, ich würde alles tun, was in meiner Macht stand, um lebend hier herauszukommen. So durfte mein Leben einfach nicht enden.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich plötzlich ein Geräusch wahr nahm. Sofort sprang ich vom Tisch auf und all meine Alarmglocken schrillten. Angespannt stand ihr dort, mitten im Raum und konnte hören, wie Schritte durch das Gebäude hallten. Ich nahm mein Handy und öffnete Lillys Chat mit der vorbereiteten Nachricht, bereit sie abzuschicken. Die Schritte wurden lauter und kamen immer näher, bis sich schließlich die Türen zu dem Raum öffneten, in dem ich mich befand. Und da war er. Das erste was ich sah, war seine schreckliche Maske. Schnell drückte ich auf Senden und steckte mein Handy unauffällig weg, sodass er es nicht sehen konnte. Er stand nur wenige Meter von mir entfernt und langsam setzte mein gesunder Menschenverstand wieder ein. Die ganze Zeit über hatte ich mir eingeredet, dass es mir nichts ausmachte, mich auszuliefern. Aber jetzt, wo er hier vor mir stand, stieg schließlich doch die Panik in mir auf. Mein ganzer Körper stand unter Spannung. Kalt lief es mir den Rücken runter und ich musste den Drang bekämpfen, einfach wegzurennen. Weglaufen war keine Option mehr. Alles würde hier und heute enden.Hanson: "Na sieh mal einer an, hast du dich doch dazu entschlossen, aufzugeben? Ich muss zugeben, ich war ein wenig überrascht, deine Nachricht zu lesen"
Ich schluckte und nahm all meinen Mut zusammen. Es war an der Zeit, dass ich mich zusammenriss. Das hier war mein eigener Plan gewesen, nun musste ich ihn auch durchziehen.
"Ich habe nicht aufgegeben. Aber die Antworten, die ich brauche, kann ich nur so bekommen"
Er legte den Kopf schief. Dass er noch immer diese Maske trug, machte mich wahnsinnig und auch wenn ich es nur ungern zugab, sie jagte mir eine höllische Angst ein.
Hanson: "Soso. Was willst du denn wissen?"
"Was hab ich mit der ganzen Sache zu tun? Wieso ich? Und wieso hat Hannah meine Nummer verschickt, wenn ich sie doch gar nicht kenne"
Er lachte. Es war ein raues, kaltes und emotionsloses Lachen.
Hanson: "Deine Fragen sind durchaus berechtigt. Und ich werde so großzügig sein und sie dir beantworten. Du sollst wissen, warum ich dich töten werde, genau wie wir es mit deinem Freund Richy getan haben, und wie wir es mit Hannah tun werden"
Ein Zittern durchfuhr meinen Körper. Diese Drohung zu hören, jetzt wo er direkt vor mir stand und mich ansah, hatte eine ganz andere Wirkung auf mich, als seine Nachrichten. Doch jetzt gesellte sich auch Wut zu meiner Angst. Die Art, wie stolz er davon redete, Richy getötet zu haben, brachte mein Blut zum Kochen. Er und Josh hatten zwei jungen Menschen bereits das Leben geraubt und es machte ihnen überhaupt nichts aus. Ich merkte ihm an, wie viel Freude es ihm bereitete, mich einzuschüchtern und mir zu zeigen, wie sehr er meinen Tot wollte.
Er begann vor mir auf und ab zu laufen, wie ein Raubtier, das seine Beute in die Enge getrieben hatte.Hanson: "Zuallererst solltest du wissen, dass nicht Hannah diese Nachricht verschickt hat. Das waren wir"
"Was?"
Hanson: "Du hast schon richtig gehört. Nachdem die kleine Amy uns endlich verraten hatte, dass sie und Hannah tatsächlich Schuld an Jennifers Tot waren, gab es nur noch eine weitere Person, die ins Spiel gebracht werden musste"
"Aber wieso? Was wollt ihr von mir?"
Hanson: "Ach Schätzchen. Wir wollen eigentlich gar nichts von dir. Im Grunde ist nichts davon deine Schuld. Aber ein weiterer Schuldiger muss zur Rechenschaft gezogen werden. Und das ist dein Vater, Tasha. All das hier hast du ganz allein ihm zu verdanken"

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A Duskwood Story
Mystery / ThrillerSie darf keine Zeit mehr verlieren. Ihre Freunde sind in Gefahr, und so beschließt Tasha, entgegen ihres Versprechens, nach Duskwood zu reisen, um dem Albtraum ein Ende zu bereiten. Doch was, wenn der Mann ohne Gesicht genau darauf gewartet hat? Kan...