69. Zur Rede gestellt

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Hello again,

das Wochenende ist zum Greifen nah und durch die letzten Stunden bis dahin möchte ich euch endlich wieder mit einem neuen Kapitel helfen!
Vorher möchte ich mich noch bei euch allen für eure Treue bedanken. Wir haben die 100.000 Reads geknackt und das macht mich wahnsinnig stolz 🥹
Vielen lieben Dank und jetzt lasst uns gemeinsam ins Kapitel jagen 🥳

Bis bald 👋

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Mark POV

Ich konnte es nicht fassen, was wir da hörten. Samia sang in ihrem Zimmer. Es tat gut, ihre engelsgleiche Stimme nach all den Tagen endlich wieder zu hören auch wenn Samia es nicht wollen würde, dass wir sie hörten.

Deutlich konnten wir die einzelnen Verse, die Wörter von „only human" bis zu uns in den Flur hören und ihr Gesang war wunderschön, ihre Stimme ungewohnt und unerwartet fest als würde die Musik ihr Kraft geben.
Meine Schwester singen zu hören nach all den Jahren versetzte mir augenblicklich eine Gänsehaut. Früher hatte sie in guten Phasen viel auf der Schaukel gesungen, wenn es familiär kritische Phasen waren, hatte sie auch als Kind hingegen überwiegend geschwiegen und sich zum Selbstschutz eingeigelt.

Sie jetzt zu hören war etwas vollkommen anderes. In jedem Wort steckte so viel Emotion, so viel Schmerz dass es selbst mich beim zuhören schmerzte.
Bisher hatten wir kaum einen zusammenhängenden Satz am Stück von ihr gehört und wenn hatte ihre Stimme gebebt oder war vor Angst völlig verzerrt gewesen. Nun war es anders und ich schloss wie ferngesteuert meine Augen um den Klang ihrer Stimme noch intensiver aufnehmen zu können.
In dem Moment war mir egal ob Stefan mich für verrückt erklären würde oder dass er überhaupt da war. In dem Moment zählte nur Samia und ihre Stimme.

Erst als das Lied zuende gesungen war und die Kleine offensichtlich ins Bad verschwunden war, öffnete ich gequält meine Augen. Ich hätte ihr noch stundenlang zuhören, jeden Laut gierig aufnehmen können.

Wie erwartet schaute Stefan mich mit verschränkten Armen eindringlich an aber sein Blick war in keinem Fall verwundert, viel eher bedauern und ein wenig vorwurfsvoll.
Alle Alarmglocken schrillten in mir und ich straffte scharf einatmend meine Schultern.
Doch auf das, was Stefan sagen würde, war ich dennoch bei weitem nicht vorbereitet.

„Wirst du es ihr irgendwann sagen?"

Am liebsten hätte ich mit Gegenfragen um mich geschleudert
„Was meinst du? Wovon redest du? Was bitte soll ich ihr sagen?"
Aussprechen tat ich jedoch keine davon, denn es war mehr als sonnenklar, dass Stefan es wusste. Das erklärte auch rückblickend sein fürsorgliches Verhalten in den letzten Tagen der Entführten gegenüber . Es blieben nur zwei offene Fragen.

„Seit wann und woher?" presste ich hervor.

Stefan atmete hörbar aus. Er wusste, dass es jetzt um den reinen Austausch von Informationen ging und nicht jedoch um emotionales Gefasel auch wenn ein kleiner Teil in mir froh war, diese erdrückende Gewissheit nicht länger alleine tragen zu müssen.

„Als ihr Salvatore erledigt habt. Dein Verhalten hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Ich habe ihr Bild in deinem Büro gefunden und dass ich dann 1 und 1 zusammenzuzählen konnte, sollte ja wohl klar sein"

Ich spürte lodernde Wut in mir hochkochen darüber, dass er in meinem Büro gewesen war und in meinen Sachen geschnüffelt hatte.

„Bevor du jetzt wieder durchdrehst und wir uns die nächste Schlägerei liefern, lass mir dir noch eins sagen. Du hättest es ebenso getan wie ich. Dein Verhalten war völlig abnorm und ich musste sicherstellen, dass du unseren Plan nicht gefährdest. Und außerdem konnte jeder dieses Bild zu jeder Zeit ohne viel Anstrengung entdecken, so offensichtlich wie du es aufbewahrt hast."

Seine Worte gaben meiner Wut einen gehörigen Dämpfer, denn ich wusste, dass jedes einzelne der Wahrheit entsprach.
Selbst in unserem vertrauten, eher brüderlichen Verhältnis mussten wir manchmal Grenzen überschreiten und Wege gehen, die den anderen missfielen aber nötig waren um unser Gefüge am Leben zu erhalten.

Mir fehlten die Worte. Was sollte ich auch noch groß dazu sagen? Etwa „Jo Bruder, du hast Recht, ich habe meine eigene Schwester entführt und so ihr ganzes Leben zerstört."?

„Fuck!" war das einzige, was ich haareraufend hervorbringen konnte.
"Ich schlage vor, wir zwei holen uns ein Bier aus dem Kühlschrank und sprechen draußen weiter, wo nicht noch versehentlich kleine Ohren unbemerkt mithören können."
Ich war Stefan auf der einen Seite dankbar für diesen Vorschlag aber auf der anderen wiederrum hatte ich herzlich wenig Interesse daran, überhaupt mit irgendwem zu sprechen. Dennoch setzte ich mich kurzer Verzögerung zu Stefan in Bewegung. Er hatte Recht, dass es nicht die sinnvollste Idee war, vor Samias Tür darüber zu sprechen, dass wir eine Blutslinie teilten.

Draußen musste ich mich selber dazu zwingen, mich neben meinem Kollegen auf der Steinbank niederzulassen und ich blieb nach vorne gelehnt, mit meinen Unterarmen auf den Oberschenkeln abgestützt sitzen, um Stefan nicht in die Augen sehen zu müssen.
"Wie hast du es herausgefunden?" fragte er mich schließlich und ich war froh, dass er nicht gleich in der Vergangenheit herumstocherte, sondern halbwegs human anfing.
Ich seufzte, da mir bewusst war, dass ich diese Fragen früher oder später über mich ergehen lassen müsste.
"Sie hat im Sportraum einen üblen Abgang vom Laufband gemacht und ich musste sie auffangen und da habe ich das dreieckige Muttermal hinter ihrem Ohr entdeckt. In dem Moment ließen sich die Fakten nicht mehr leugnen aber in irgendeiner Form habe ich es auch vorher schon gewusst aber ich habe den Gedanken einfach nicht zugelassen. Es hat echt von Anfang an alles zum Himmel gestunken. Sie kam mir höllisch bekannt vor, alles an ihr. Ihr Aussehen, die Augen, sogar ihr Geruch! Sie macht sogar gleiche Gesten wie ich. Als ich das Fußkettchen bei ihr gesehen habe, was unsere Mutter meiner Schwester damals geschenkt hat, sind bei mir das erste Mal einige Sicherungen aurchgebrannt aber irgendwie habe ich alles dennoch in den Hintergrund gedrängt. Verfluchte Scheiße das darf alles nicht wahr sein! Stefan ich habe meine eigene Schwester entführt!" fluchte ich in gedämpfter Lautstärke und es fühlte sich seltsam an, diese Wahrheit auszusprechen.
Einige Momente war es still, bevor Stefan geräuschvoll einatmete, sich zurücklehnte und einen tiefen Zug aus der Flasche nahm. Ich tat es ihm gleich.
„Wir haben schon viele beschissene Sachen durchgemacht aber so ne Scheiße hatten wir echt noch nie an den Hacken." stellte er nüchtern fest und fügte dann hinzu: "Mal im Ernst, so viel Pech kann man doch gar nicht haben. Jedes Gesetz der Wahrscheinlichkeit spricht dagegen, dass das wirklich passiert ist."
"Nett, dass du mich nochmal darauf hinweist, Arschloch." knirschte ich zurück.
"Sie ist jetzt nunmal hier und wir müssen damit umgehen auch wenn es die Sache nicht gerade leichter macht. Ich denke die meisten unserer Optionen scheiden an dieser Stelle wohl aus."

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Natürlich kamen unsere regulären Vorgehensweisen nicht in Betracht. Die meisten davon beinhalteten schließlich Schmerz, Qual oder den Tod. Wir würden uns irgendwas ausdenken müssen und dabei würde Samias Sicherheit und ihr Wohlergehen in jedem Fall an oberster Stelle stehen.
Schweigend hingen wir einige Minuten unseren kreisenden Gedanken nach, bis Stefan mir die Frage stellte, von der ich am meisten gehofft hatte, dass er sie niemals stellen würde.

"Auch wenn du mich dafür jetzt vermutlich am liebsten eigenhändig erwürgen würdest: was ist damals bei euch vorgefallen, dass sich eure Wege unwiderruflich getrennt haben?"

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