70. Narben der Vergangenheit

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Hello allerseits,

ich wünsche euch ein schönes Wochenende und viel Lesefreude!

Achso und für alle die schon über die letzten Wochen vergessen haben, wie klasse unser Hauptcharakter Mark aussieht, hier nochmal eine kleine Erinnerung 🤭

Achso und für alle die schon über die letzten Wochen vergessen haben, wie klasse unser Hauptcharakter Mark aussieht, hier nochmal eine kleine Erinnerung 🤭

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Stefan POV:

Mark spannte sich auf meine Frage hin merklich an und für eine kurzen Moment war ich mir sicher, dass er abwog, ob er einfach aufstehen und gehen oder mir alternativ jeden Knochen in meinem Körper brechen sollte.
Er entschied sich nach einer langen Minute, die sich zog wie Kaugummi, dafür zu bleiben und auch keinen Angriff auf mich zu starten.
Etwas in sich zusammengesackt lehnte er sich erstmalig seit wir hier saßen, neben mich an die Lehne und es schien mir als könne Mark keine weitere Kraft generieren um aufrecht zu sitzen.

Mark, die unverwüstliche zwei Meter Kante, die mehr Blut und Dreck an den Händen hatte als wir alle. Es verpasste mir einen mächtigen Stich, meinen Bruder so zu sehen. Er musste die Kleine damals abgöttisch geliebt haben, sie war sein Lebensinhalt und diese Gefühle waren offensichtlich auch über all die Jahre in gewisser Form noch existent geblieben.
Mark seufzte neben mir gequält und nahm den letzten Schluck aus seiner Flasche als tränke er sich Mut für die Worte an, die so lange darauf gewartet hatten, mitgeteilt zu werden.
"Ich habe nie damit gerechnet, sie wiederzusehen. Nicht dass ich es mir nicht gewünscht hätte, ganz im Gegenteil. Ich habe sie all die Jahre über immer wieder versucht ausfindig zu machen aber die Leute, die ich damals kontaktiert hatte um ihre Identität zu verschleiern haben ihren Job offensichtlich mehr als nur gründlich gemacht. Ich habe nie auch nur die kleinste Spur von ihr gefunden und jetzt ist sie plötzlich hier bei mir? Als Gefangene?" Die Worte quälten sich mühsam über Marks Lippen, das war nicht zu überhören und auch das Zittern seiner Hände konnte der Hüne neben mir nicht verbergen. Das Bild war völlig skurril und ich musste meinen Blick abwenden.
"Stefan ich habe meine Schwester damals mehr als alles in meinem Leben geliebt und ich wollte nie auch nur einen Tag ohne sie sein und genau aus dem Grund musste ich sie damals wegbringen. Zu ihrem eigenen Schutz. Du Weißt noch, was damals in unserer Familie los war, oder? Die ständigen Wutausbrüche meines Vaters? Die krummen Geschäfte, die uns als Familie immer mehr in Gefahr gebracht haben.
Ständig musste ich die Wunden meiner Mutter versorgen wenn der Dreckskerl sich mal wieder nicht unter Kontrolle hatte. Sie hat ohne Gegenwehr alles über sich ergehen lassen, um Ellie und mich zu schützen." Marks Fingerknöchel traten mit jeder Sekunde mehr durch den festen Griff um die Glasflasche hervor, doch er sprach weiter. "Die Situation wurde irgendwann von Woche zu Woche schwieriger und ich habe immer wieder versucht meine Mutter vor ihm zu beschützen aber immer wenn ich mich eingemischt habe, hat sie danach nur umso mehr darunter gelitten. In der Nacht in der sie dann endlich mit uns flüchten wollte, in ein anderes Land, mit neuen Namen, in ein neues Leben, hat er uns erwischt. Er hat sie vor unseren Augen erwürgt."
Mark atmete zittrig aus und ich selber konnte meine Körper zu keiner Reaktion bewegen, zu gefangen war ich von seiner Geschichte. Wir teilen seit beinahe 15 Jahren wortwörtlich alles, nur die Vergangenheit von einigen von uns waren bisher tabu gewesen. Marks hatte definitiv dazugezählt und es wunderte mich in diesem Moment kein bisschen, dass er zu dem skrupellosen und für gewöhnlich gefühlskalten Menschen geworden war, der er war. Mark war damals selber noch ein Kind gewesen, wenn ich grob zurückrechnete vielleicht gerade um die zehn Jahre alt. Egal wie sehr er es auch gewollt hatte, er hätte seine Mutter nicht retten können.
„Das Arschloch hat ihre Leiche damals einfach im Wald hinter unserem Haus verbrannt und überall rumerzählt sie hätte ihn betrogen und hätte sich mit einem Teil seiner Kohle mit dem Neuen aus dem Staub gemacht. Er hat sie durch den Dreck gezogen wie er nur konnte. Jeder hat über unsere Familie gesprochen, über uns arme Kinder, die von ihrer sachlichen Mutter verlassen wurden. Mein Vater hat mir gedroht, wenn ich jemanden die Wahrheit sagen würde, dass er mit Ellie da weitermachen würde, wo er bei unserer Mutter aufgehört hatte.
Ich habe mich monatelang alleine um uns gekümmert, er war viel unterwegs aber das war mir nur recht. Irgendwann stand er aber wieder da nach irgendeinem geplatzten Deal. Er war wütend, betrunken und dann hat er Ellie geschlagen, immer wieder weil sie nicht aufhören konnte zu weinen."
Mark sprang auf, sein ganzer Körper bebte und in seinen Augen lag ein Schmerz, den ich bei keinem Menschen bisher gesehen hatte.
„Sie war vier, verdammt." flüsterte er voller Verzweiflung und ich wusste nicht mehr was ich tun sollte. Weiter zuhören? Fragen stellen? Ihn aus seinem Film rausholen? Mark war förmlich in der Vergangenheit gefangen, ich hatte beinahe das Gefühl, es auszusprechen ließ ihn alles erneut durchleben.
Nachdem er seine verspannten Schultern durch einige steife Bewegungen wieder ein wenig gelockert hatte und sich angestrengt den Nasenrücken massiert hatte, nahm Mark mir die Entscheidung ab, indem er weitersprach.

„Sobald unser Vater damals das Haus wieder verlassen hatte, habe ich Samia weggebracht. Ich bin die ganze Nacht mit ihr Zug und Bus gefahren um möglichst weit weg zu kommen. Dann habe ich sie bei einer Betreuungsstelle für Weisen abgegeben. In einem Brief habe ich geschrieben was passiert war, habe ausdrücklich darauf bestanden, dass ihr Name geändert wird und ich habe einen Batzen Bargeld dazugelegt. Das und die Tatsache, dass Ellie am ganzen Körper blau und grün geschlagen war, hat die Leute offensichtlich davon überzeugt, den Fall nicht weiter zu hinterfragen. Tja und dann war sie weg, meine kleine Schwester und bis letztens im Wald habe ich nie wieder etwas von ihr gehört oder gesehen."

Damit endete Marks Erzählung und wir saßen schweigend nebeneinander auf der Bank in unserem Garten wie zwei Idioten und doch war es in dem Moment völlig okay. Der Mann, der für mich mein Bruder, meine Familie war, hatte sich soeben verletzlicher gezeigt als jemals zuvor und all die Informationen der letzten halben Stunde bildeten ein wichtiges Puzzleteil welches mir so oft gefehlt hatte, um seine Persönlichkeit zu entschlüsseln und sein Denken und Handeln zu verstehen.

Ich konnte nicht im Ansatz sagen, wieviel Zeit vergangen war seit Mark verstummt war aber wir wurden beide aus unseren Gedanken gerissen, als hinter der Mauer neben uns plötzlich eine Person auftauchte. Samia. Oder Ellie. Wie man es eben sehen wollte.

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