Gelangweilt saß ich in der Klasse und starrte die Uhr an. Mein ruhte auf meinem Ellenbogen und meine braunen Haare fielen mir unordentlich ins Gesicht. Noch 2 Minuten bis das erlösenden klingen der Schulglocke ertönen würde, das bedeutete Schulschluss, dann waren endlich Sommerferien und das bedeutete Freiheit! Mein Blick wanderte zu meinem Sitznachbern, Juli Reik, dem es nicht anders ging als mir. Gähnend folgte sein Blick unserer Klassenlehrerin, welche vor der Tafel auf und ab lief. Auch die anderen Kerle sahen nicht besser aus, keiner von uns konnte den Ferienstart mehr erwarten. Wir sprachen seit Monaten von nichts anderem, denn die Sommerferien waren die wichtigste Zeit des Jahres für uns. Sechs Wochen lang gab es keine Schule, keine Hausaufgaben, keine Klassenarbeit, nein. Sechs Wochen lang gab es für wilden Kerle nur eins: Fußball.
Ich gehörte schon zu den wilden Kerlen seitdem ich denken konnte. Als wir gerade einmal sechs Jahre alt waren haben mein bester Freund Leon und ich gemeinsam mit Fabi diese Mannschaft gegründet. Wir waren schon immer unglaublich vernarrt ins Fußballspielen gewesen und dann endlich eine eigene Mannschaft zu haben war wie die Erfüllung unseres größten Traums.
Weitere Mitglieder ließen nicht lange auf sich warten. Die ersten die zu uns stießen waren Leons älterer Bruder Marlon und mein Zwillingsbruder, Maxi. Auch Juli und sein jüngerer Bruder Joschka, die im Haus gegenüber von Gabi wohnten, waren schnell Feuer und Flamme für das Team. Joschka überredete schließlich auch seinen Besten Freund, Raban, zu sich uns anzuschließen.
Erst ein leichter Stoß in die Seite von Juli holte mich zurück in die Wirklichkeit. Der fragende Blick des Jungen ruhte auf mir, allem Anschein nach hatte er mein Starren bemerkt. Ich schüttelte leicht meinen Kopf und öffnete den Mund um ihm etwas zu sagen, bevor ich jedoch dazu kam, ertönte endlich das lang ersehnte klingeln der Schulglocke. Erleichtert griff ich nach meinem Rucksack und rannte mit den anderen nach draußen, auf dem Weg stießen auch Raban, Joschka und Marlon zu uns. Sie trugen das gleiche breite Grinsen auf ihren Gesichtern wie jeder von uns. Dieses Lächeln erlosch jedoch, als wir an der gläsernen Eingangstür der Schule ankamen. Wir hatten geglaubt das nun nichts mehr unseren lang ersehnten Ferien im Weg stehen würde, doch das Wetter machte uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Es Regente in strömen. Einen Moment schien es, als hätte die Enttäuschung die Oberhand gewonnen, doch Leon interessierte das Wetter nicht ein bisschen. Er lief achtlos weiter zu den Rädern und drehte sich dann noch einmal abwartend zu uns um. „Braucht ihr eine extra Einladung oder worauf wartet ihr?" Daraufhin kehrt das Grinsen auf mein Gesicht zurück, entschlossen ging ich voran.
Keine zwei Minuten später waren wir im wilden Pulk auf dem Weg zum Teufelstopf, unserem Fußball Stadion. Triefend nass kamen wir auf dem Hügel vor dem Platz an und unser Anführer bedeutete uns stehen zu bleiben. Der Teufelstopf war völlig von Schlamm überdeckt, Willis Kiosk war geschlossen und mitten auf dem Platz stand ein großes Schild. Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich das Stadion, welches mir mehr als heilig war, bis Leon schließlich das Signal gab und gegen den Regen anschrie: „Los, kommt mit !" Einige Meter vor dem Kiosk kamen wir zum stehen und sprangen von den Rädern. Leon rannte zu der kleinen Holzhütte und hämmerte energisch gegen die Wand.
„Willi, Willi !" schrie er aufgebracht. Eben genannter öffnete die Luke des Kiosk und ein Schwall Wasser ergoss sich über den ohnehin schon bis auf die Knochen nassen Leon. „Was soll das hier!?", erkundigte sich unser Anführer. „Der Platz ist gesperrt.", erwiderte Willi schulterzuckend. „ Das ich nicht Lache! Fabi, Leo habt ihr das gehört, der Platz ist gesperrt! Das ist unser Bolzplatz, da steht unser Name drauf!", rief Leon entschlossen und war schon dabei auf den Platz zu stapfen. Fabi und ich folgten ihm ohne zu zögern, doch mein Blick fiel erneut auf das Schild. In roten Buchstaben stand darauf: Platz Gesperrt. „Kacke verdammte !", rief ich aus und Raban brachte nur ein „Verflixte Hühnerkacke" hervor. Auch Leon schien das Schild nun gesehen zu haben, denn im nächsten Augenblick wirbelte er herum. „Willi!", empörte sich der Slalomdribbler. „Habe ich doch gerade gesagt der Platz ist gesperrt, und er bleibt es auch solange es Regnet", erklärte Willi während er versuchte das Regenwasser, welches sich auf dem Dach des Kiosk gesammelt hatte, herunter zu schütten. „Das ist nicht dein Ernst !", „Willi übermorgen fangen die Ferien an!", sprachen Leon und Fabi meine Gedanken aus. „Ist mir doch egal, solange es Regnet. Klar?"
Leon ignorierte Willi gekonnt. „Joschka", wandte er sich an das jüngste Mitglied der Mannschaft. Dieser warf ihm einen Ball zu. „Also gut, ihr wisst was ihr zutun habt", brüllte Leon während er denn Ball auf den Boden warf.
Natürlich wussten wir das. Ferien ohne Fußball ist wie Weihnachten ohne Geschenke. Deshalb mussten wir den Regen vertreiben! Maxi und ich fuhren sofort mit unseren Rädern nach Hause, in die Alte Allee Nummer eins. Wir hatten Glück, denn unser Vater schien noch auf der Arbeit zu sein und unser Kindermädchen war auch nicht mehr da, also setzten wir uns ans Fenster und warteten auf unseren Einsatz. Schon wenige Minuten später flog der Ball quer durch die Luft, von einem Wilde Kerle Haus zum anderen.
Dann war es endlich soweit, es gab einen Elfmeter und dafür kam nur einer infrage. Maxi Tippkick Maximilian, mein Zwilling, und der redete nicht. Der redete nie. Maxi war ein Mann der tat und seine Taten waren die Härtesten Schüsse der Welt. Entschlossen legte er sich den Ball zurecht und atme einmal tief ein. Er nahm Anlauf und schoss. Der Ball knallte mit voller Wucht gegen die Wand, prallte ab und zerdepperte das Wohnzimmer Fenster. Maxi zuckte zusammen und ich starrte mit offenem Mund auf das zersplitterte Fenster. Shitte, das würde Ärger geben. Und als ob das nicht genug wäre rollte der Ball von unserem Grundstück auf die Straße, wo er von niemand anderem als unserem Vater gestoppt wurde.
Dort stand er in seinem schwarzen Anzug und mit dem schwarzen Regenschirm. „So, das gibt zehn Tage Hausarrest. Strikter Hausarrest. Klar?" Maxi und ich traten stumm ans Fenster, dann schoss er den Ball wütend beiseite und betrat die Garage. „Und Fußball verbot! Absolutes Fußball Verbot!" Wenige Sekunden später verließ er die Garage mitsamt Maxis und meiner Fußball Sammlung wieder und warf sie in den erstbesten Mülleimer. Ja aber, ohne Fußball kann kein wilder Kerl leben. „Für immer und ewig. Dafür lege ich meine Beine ins Feuer!", schrie mein Vater weiter.
Sogar die Erde ist rund, so rund wie ein Ball und deshalb riskierte ich jetzt alles. Ich setze alles auf eine Karte. Ich sah Maxi an und drehte mich dann zu dem Globus neben mir. Während ich ihn aus seiner Halterung entfernte musterte Maxi mich mit besorgtem Blick, mein Zwilling wusste genau was ich vor hatte.
Ich reichte ihm denn Ball und nach kurzem zögern schoss er. Der Ball prallte erneut von der Wand ab, ich machte einen Fallrückzieher, er prallte ein weiteres Mal gegen die Wand und dann zerdepperte der Globus die zweite Scheibe. Doch es kam noch schlimmer, denn die Weltkugel landete nicht irgendwo, nein, sie landete direkt auf dem Kopf meines Vaters. Schnell eilten Maxi und ich zurück zum Fenster, während mein Vater sich mit hochrotem Gesicht den Globus vom Kopf nahm, und auch diesen in den Abfall beförderte. „So, und das gibt zehn Tage extra! Zehn und zehn ist zwanzig, also zwanzig Tage Hausarrest. Sind wir uns da einig?", er wartete kurz ab. Maxi sagte wie immer nichts, ich wollte mich schon gegen diese Ungerechtigkeit wehren, doch mein Bruder schüttelte den Kopf. „Gut.", beschloss unser Vater. Er blickte sich noch einmal um, um sicherzustellen das keiner der Nachbarn ihn bei seiner Standpauke beobachtet hatte, dann strich er sich die Regentropfen aus dem Haar und marschierte stumm ins Haus.
Der Regen hatte gesiegt, das bedeutete das Ende der Welt.