Die Spannung stieg mit jeder Minute. Sie steuerten die südliche Kaimauer an, an der nur ein weiteres Schiff lag, das von Kapitän Chronos. Diese Seite des Hafens war ziemlich neu, alles sah provisorisch aus. Es gab Laternen, aber ihre Kabel hingen lose in der Luft. Die Lichter von der Stadtseite reichten nicht so weit. Nahe der Kaimauer würde es stockduster sein. Nur etwa 700 m südlich des Schiffs war ein kleiner Anleger für Fischerboote. Ansonsten war die Gegend leer und öde: Es gab auf dieser Seite keine Gebäude, nur eine breite Betonstraße.
Stavros sah, wie Tom und Nikos angestrengt den Hafen betrachteten. Er hätte ihnen gerne geholfen, aber er akzeptierte, dass sie ihn erst mal außen vor ließen.
Mahmoud begrüßte sie überschwänglich. Tom und Nikos mussten sich sehr überwinden, als sie ihn umarmten.
„Mahmoud, das ist unser Freund Stavros, ehemaliger Jagdflieger, Ex-Major der griechischen Luftwaffe. Er ist ein Anhänger Eurer Revolution und möchte Euch kennenlernen und seine Hilfe anbieten."
Mahmoud war hocherfreut und stellte ihm ein Treffen mit dem örtlichen Luftwaffenchef an der Militärakademie in Aussicht.
Ihr Programm sei voll, meinte er. Als Erstes würden sie die Souda-Papiere in der Akademie übergeben, dann ihr Zimmer im Gestüt beziehen und am Nachmittag etwa eine halbe Stunde mit dem Hubschrauber fliegen, um Oberst Gaddafi zu treffen. Am nächsten Morgen hätten sie einen weiteren Termin in der Militärakademie. Genaueres war ihm dazu nicht zu entlocken. Mittags würde Salam verladen, Tom könnte gerne dabei sein, und nachmittags sollten sie dann in der Akademie das Geld bekommen und noch ein Gespräch führen.
Die Übergabe der Papiere aus dem NATO-Stützpunkt war ein Routinetermin. Der libysche Geheimdienstmann hätte gerne ein wenig mit ihnen geplaudert, aber Tom zog es zu seinem Pferd, und vor allem zu seinem Bruder Samir.
Mahmoud brachte sie zum Gestüt, wo sie drei Stunden Zeit hatten, bis sie abgeholt werden sollten. Die Stadt gefiel Tom immer besser, nachdem sie diesmal eine Strecke nahmen, die an großen, repräsentativen Gebäuden vorbeiführte. Mahmoud erzählte ihnen, dass Benghazi eine Zeitlang Hauptstadt war, daher die prächtigen Bauten. Es gab einige neue, moderne Stadtviertel und eine Universität, die nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs aus dem Wüstensand gestampft wurden. Ein riesiges Trümmerfeld sah so aus, als seien die Gebäude erst kürzlich gesprengt worden. Auf Toms Frage hin murmelte der Leutnant etwas von einer Universität und Salafisten, wurde aber nicht konkreter.
Am Gestüt rief der Hausherr Mahmoud zum Telefon.
„Tom, ist es schlimm, wenn ich Euch alleinlasse? Ich soll Euren Freund jetzt in die Akademie bringen. Wir sind dann wieder da, wenn der Hubschrauber kommt."
„Ich wollte sowieso noch einmal ausreiten, kein Problem." Manchmal musste man eben auch Glück haben, dachte Tom.
Samir kam den beiden Freunden, seinen Brüdern, lächelnd entgegen. Sie hatten ihr Versprechen gehalten, er hatte gebangt, aber nicht gezweifelt. Sie umarmten sich, und Tom begrüßte Salam, indem er seinen Hals tätschelte und ihm zärtliche Worte zuflüsterte. Wie abgesprochen ritt er allein los, während Nikos Samir in aller Ruhe ihren Plan erklärte.
„Wie gut kennst Du Dich am Hafen aus?"
„Bin oft genug dagewesen. Wir holen manchmal Spezialfutter von einem Händler da unten."
Er kannte die Stelle, wo die Fischerboote lagen. Dort, oder falls Menschen da sein sollten, hundert Meter weiter, sollte er ins Wasser gehen, die Entfernung zum Schiff war dann etwa 600 bis 800 Meter. Seine ganze Strecke würde ebenso im Dunkeln liegen wie der hintere Teil des Schiffs, wo sie eine Strickleiter herunterlassen würden.
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Die richtigen Leute Band 4: Das Ende der Angst
Historical FictionNachdem die Gruppe um Tom und Nikos alle Abenteuer des Sommers 1971 heil überstanden hat, erlebt Dave nach seiner Rückkehr ins Internat in Sandhurst ein Déjà-Vu: Er wird wieder erpresst. Dave findet sich in Situationen wieder, die ungleich gefährlic...