Im Wohnzimmer war eine Tafel aufgebaut, in deren Mitte zwei gefüllte Truthähne thronten. Ilias und sein Vater schnitten mit großen Messern Portionen ab, und weil die jungen Leute so viel gearbeitet und Sport getrieben hatten, waren nach einer halben Stunde nur noch Gerippe übrig. Auch die großen Schalen mit Mandelplätzchen und Toms zweite Dose mit Weihnachtsgebäck waren in Windeseile leer.
Der Hausherr entkorkte einige Flaschen Rotwein, die Musiker stimmten ihre Instrumente, alle prosteten sich zu, und dann spielte die Band zum Tanz auf. Ihr Repertoire enthielt zur großen Freude der Gastgeber inzwischen genügend griechische Stücke, viele davon Rembetiko. Das war ihre Musik. Die Uptones stellten fest, dass die Stimmung hier nicht weniger aufgeladen war als bei Michalis' Geburtstagsparty in „ihrer" Villa. Weihnachten mal ganz anders.
„Bringt die Tische raus," befahl die Oma. Die Möbel wurden im Flur gestapelt, und schon gab es eine kleine Tanzfläche. Die Matriarchin, in einem hellblauen, weiten, fließenden Gewand, jedoch nicht ohne ihren Fuchspelz, schritt in die Mitte, und unter dem Klatschen und den Pfiffen der anderen tanzte sie. Sie bewegte sich wie eine junge Frau und schnipste mit den Fingern. Dann zeigte sie auf Nicky, die sich zu ihr gesellte, und bei dem nächsten Stück tanzten alle Frauen, die kein Instrument spielten.
Die Männer feuerten die Tänzerinnen mit Klatschen, Rufen und Pfeifen an, und die Uptones registrierten, dass es Tänze gab,die so ganz anders waren als in Notting Hill. Samir hielt es auf dem Sofa nicht mehr aus. Er sprang in die Mitte der Damen und tanzte die Oma auf eine Art an, die man unter anderen Umständen als höchst erotisch hätte bezeichnen müssen.
Ilias und sein Vater gingen in die Küche und kamen mit einem Stapel dünner Teller zurück, deren Schicksal in Minuten besiegelt war. Thassos fegte die Scherben zusammen, und dann tanzten alle weiter. Gegen drei Uhr zogen die Jugendlichen in die Scheune, und heute raschelte gar nichts. Der anstrengende Tag, die noch anstrengendere Nacht und viele Flaschen Rotwein ließen sie ganz schnell einschlafen. Draußen jaulte der Wind, der die Bretter der Scheune klappern ließ, aber das hörte niemand.
„Hast Du Lust auf einen etwas längeren Ausritt?" fragte Thassos Tom beim Frühstück. „Wir überprüfen alle zwei Wochen den Bunker."
Natürlich hatte Tom Lust.
„Wie weit ist das denn?"
„Bei dem vielen Schnee eineinhalb Stunden, schätze ich."
Der Wind, der in der Nacht wieder hohe Schneewehen aufgetürmt hatte, war etwas abgeflaut, und trotz tief hängender, dunkler Wolken fiel kein neuer Schnee mehr.
Während alle anderen den Hof räumten, ritten Thassos, Samir und Tom in den Wald. Der Weg, der als solcher nicht zu erkennen war, führte in Serpentinen immer tiefer in die verschneiten Berge. Tom merkte, dass Salam sich gerne schneller bewegt hätte, aber Thassos war der Schrittmacher, und der ritt vorsichtig. Er wollte nicht riskieren, dass ein Pferd strauchelte und sich womöglich verletzte, denn es war nicht zu sehen, ob unter dem hohen Schnee vielleicht Hindernisse lauerten.
Der Ritt war mühsam und dauerte tatsächlich mehr als eine Stunde. Thassos und Tom saßen ab und gingen zu Fuß weiter, Samir passte auf die Pferde auf.
„Wir müssen hinterher die Spuren verwischen, deswegen nehmen wir die Pferde nicht mit," erklärte der Grieche.
Er führte Tom quer durch den Wald, der hier zwar etwas lichter, aber dafür mit Unterholz dicht zugewachsen war. Eine Viertelstunde später sah Tom die Hütte und hielt Thassos fest.
„Guck mal, vor der Tür. Zu wenig Schnee."
Vorsichtig pirschten sie sich an den Schuppen, der ein Ziegenstall war, zum Schein natürlich. Unter einer dicken Lage Stroh, erläuterte er, befände sich der Eingang zu dem Bunkersystem. Sie hätten zur Tarnung extra eine Ladung Ziegendung hergebracht und die Wände mit Ziegenurin besprenkelt.
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Die richtigen Leute Band 4: Das Ende der Angst
Historical FictionNachdem die Gruppe um Tom und Nikos alle Abenteuer des Sommers 1971 heil überstanden hat, erlebt Dave nach seiner Rückkehr ins Internat in Sandhurst ein Déjà-Vu: Er wird wieder erpresst. Dave findet sich in Situationen wieder, die ungleich gefährlic...