„Wieso kommt Ihr eigentlich nicht mit nach Piräus?"
Thassos hatte geahnt, dass sein Vater diese Frage stellen würde. Phil, Mole, Samir und er hatten nicht nur Anastasia noch mal angerufen, weil sie nicht rechtzeitig in Agios Andreas sein würden, sondern auch eine Ablenkungsstrategie entwickelt:
„Es muss immer jemand am Telefon sein, Vater. Sieh mal, Dimi musste deswegen auf den Besuch bei uns verzichten. Wir haben gelost, und Phil hat verloren. Wir bleiben bei ihm, damit er nicht so traurig ist."
„Das ist aber sehr lieb von Euch. Sandy, was meinst Du, ob Du ihnen nachher etwas zu essen mitbringen kannst?"
Sandy bemühte sich, nicht laut loszulachen:
„Ich spreche mit dem Wirt. Ein bisschen bleibt sicher über."
Er brachte die ziemlich aufgekratzten Jungen nach Agios Andreas, wobei allerdings Phil ungewohnt ruhig war, denn mehr als Anastasia beschäftigte ihn sein Plan, in das Lager der Palästinenser zu gehen. Er suchte Schützenhilfe für das Gespräch mit seinen Eltern. Als Spiros und Michael kamen, um mit nach Piräus zu fahren, weihte er sie ein. Spiros war sofort einverstanden, und auch Michael wollte dabei sein. Sie versprachen, Phil auf Salamis zu unterstützen, aber sie bezweifelten, dass er die Erlaubnis seines Vaters bekommen würde. Er war immer noch zwei Jahre jünger als sie.
Um zehn füllte sich die Taverne am Passalimani. Zum ersten Mal saßen die neuen, erweiterten Familien zusammen, und so fand sich Tom zwischen Sophia und ihrem Vater wieder. Der war ausgesprochen guter Laune:
„Tom, eigentlich muss ich Dir jetzt den Kassettenrekorder zurückgeben," ließ er Sophia übersetzen. „Obwohl, wenn ich's genau überlege, eigentlich auch wieder nicht, denn Du hast das Versprechen, meine Tochter nicht mehr zu sehen, anscheinend gebrochen."
„Bitte behalten Sie den Rekorder, er bleibt ja nun in der Familie. Es tut mir leid, dass ich mich damals so schlecht benommen habe. Danke, dass Sie mich trotz allem aufnehmen."
Er küsste Sophia, und niemand protestierte diesmal.
Dave hatte es deutlich schwerer. Nicht, dass er in Annas Familie oder Anna in seiner nicht willkommen gewesen wäre. Aber er wollte die Gelegenheit nutzen, ihnen ihre Zukunftspläne zu offenbaren. Sein Hemd war schon durchgeschwitzt, als sie in Piräus ankamen, und es wurde nicht besser.
Während an den anderen Tischen gelacht und geplaudert wurde, stand den Eltern aus Salamis und Newcastle die Sorge ins Gesicht geschrieben. Es war nicht der Trainingsausflug nach Libyen, der sie beunruhigte, denn nachdem er ihnen, ohne etwas zu beschönigen, von seinem Nordirland-Plan berichtet hatte, waren die zwei Wochen Kampfausbildung schon fast vergessen.
Seine Eltern waren höchst alarmiert. Bis vor wenigen Minuten sah seine Zukunft doch so golden aus: sein Abschluss in Sandhurst würde ihm die Tür jeder Universität in England öffnen. Er würde einen gut bezahlten Job bekommen, um eines Tages seine Familie zu ernähren. Und nun tauschte er seine vielversprechende Zukunft gegen ein Abenteuer ein, dessen Ausgang niemand vorhersehen konnte. Ihnen war klar, ein Verbot wäre sinnlos. Ihr Sohn war wild entschlossen.
Und dann kam auch noch Unterstützung von unerwarteter Seite. Annas Mutter ergriff das Wort:
„Sie haben natürlich recht. Uns wäre es auch lieber, Anna und Dave würden einfach studieren, eine gute Arbeitsstelle finden, heiraten, Kinder kriegen und ein ruhiges Leben führen. Aber wenn alle so denken, dann wird es die Diktatur in Griechenland ewig geben, und der Krieg in Nordirland wird nie enden. Es wird schwer für meinen Mann und mich, uns vorzustellen, dass unser Schwiegersohn in dieser gefährlichen Stadt lebt, und dass unsere Tochter ihm folgen wird. Aber wir verstehen so langsam, was unsere Kinder treiben, und wie sie zusammenstehen. Ich freue mich, dass sie für ihre Überzeugungen kämpfen."
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Die richtigen Leute Band 4: Das Ende der Angst
Historical FictionNachdem die Gruppe um Tom und Nikos alle Abenteuer des Sommers 1971 heil überstanden hat, erlebt Dave nach seiner Rückkehr ins Internat in Sandhurst ein Déjà-Vu: Er wird wieder erpresst. Dave findet sich in Situationen wieder, die ungleich gefährlic...