Nach Sekundenbruchteilen überwand Tom seine Schockstarre. Ohne Vorwarnung donnerte er Mahmoud die Faust ins Gesicht. Nikos packte den Libyer von hinten und legte ihm seine Arme um den Hals. Tom tastete ihn nach Waffen ab, aber Shorts und Hemd boten nicht viele Verstecke. Stavros war beeindruckt. So lief das also bei der Infanterie.
„Wo ist Samir?" schrie Tom den Leutnant an.
„Hier bin ich, Tom," rief Samir und hechtete über die Reling. Er fiel Tom um den Hals. „Er hat mich zufällig gesehen, kurz vorm Hafen. Er hat mich gezwungen, ihn mitzunehmen. Jemand hat ihm verraten, dass er verhaftet werden soll."
„Nikos, haltet ihn hier fest und passt auf, dass er nicht anfängt herumzuschreien. Samir, komm mit."
„Tut das nicht, bitte nehmt mich mit. Ich habe Geld..."
„Noch ein Wort..." Tom holte aus und deutete einen Schlag an. Mahmoud verstummte. Nikos musste lachen:
„Wie siehst Du eigentlich aus?"
Samir grinste. Sein einziges Kleidungsstück waren viel zu große Shorts, die er an den Oberschenkeln mit Stricken zugebunden hatte. Er löste die Knoten und präsentierte sein komplettes Hab und Gut: drei wasserdichte Plastikbeutel mit Papieren, englischen Pfundnoten, ein paar Fotos, einem Koran und einigen anderen, doppelt verpackten Sachen.
Tom und sein libyscher Bruder rannten auf die Brücke. Kapitän Chronos gab Samir ein paar dünnere Taue. Sie fesselten Mahmoud fachgerecht. Nikos erklärte Stavros, Mahmoud habe Samir als Lustknabe an Offiziere „vermietet", weswegen sie ihn ausliefern und Samir mit nach Griechenland nehmen wollten.
„Kapitän Chronos, ich brauche Kontakt mit dem Militär."
„Ich kann nur mit der Hafenkommandantur sprechen, Tom."
„Ist das kein Militär? Ich schätze mal, die hängen irgendwie zusammen. Lassen Sie sich das höchste Tier geben, das da rumläuft und Englisch kann, ich muss unbedingt jemand sprechen, der Gaddafi direkt erreichen kann, sagen Sie ihm das."
Nach einer Viertelstunde funkte sie der Hafenkommandant an, ein weiterer Oberst.
„Bitte nehmen Sie Kontakt mit Oberst Gaddafi auf. Sagen Sie ihm, wir haben Mahmoud festgenommen. Er weiß, wer das ist. Er soll ihn abholen lassen. Die Soldaten, die ihn abholen, müssen mir sagen, was mir Oberst Gaddafi gestern gegeben hat. Bitte wiederholen Sie."
Ohne zu murren wiederholte der Kommandant Toms Anweisungen und versprach, sich zu melden.
„Wir haben also mal wieder richtig viel Zeit," schmunzelte der Kapitän. „Was macht Ihr nur immer?"
Tom erklärte ihm, warum sie Mahmoud den Behörden überstellen wollten, und er hatte Verständnis. Er teilte Toms Befürchtung, der Hafenkommandant könnte ein Freund Mahmouds sein und Soldaten schicken, um ihn zu befreien. Auch wenn es mehr eine symbolische Handlung war, ließ er die Gangway einholen. Den Gefangenen sollten sie unter Deck bringen, meinte er. Es gab da einen abschließbaren Raum für besondere Frachten.
Fast eine Stunde lang tat sich gar nichts. Dann rasten mehrere Jeeps der Militärpolizei den Kai hinauf und hielten auf Höhe des Schiffes. Auf der Brücke, wo sich alle versammelt hatten, wurde nicht geatmet. Der Kapitän beobachtete durch seinen Feldstecher das Treiben auf dem Kai. Die Polizisten machten keine Anstalten, das Schiff zu entern, sondern bildeten einen Kreis, groß genug für einen Hubschrauber.
Als die Rotorblätter standen, öffnete sich die Tür des Helikopters und ein Soldat stieg aus. Der Kapitän gab Tom das Fernglas, und der erkannte im Dämmerlicht Jalloud.
„Sie können die Gangway herunterlassen, Kapitän, das ist der beste Freund von Gaddafi, Finanzminister Jalloud."
„Ihr kennt sie alle, nicht," murmelte Herr Chronos und stieg die steilen Treppen hinunter, um den hohen Gast zu begrüßen.
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Die richtigen Leute Band 4: Das Ende der Angst
Historical FictionNachdem die Gruppe um Tom und Nikos alle Abenteuer des Sommers 1971 heil überstanden hat, erlebt Dave nach seiner Rückkehr ins Internat in Sandhurst ein Déjà-Vu: Er wird wieder erpresst. Dave findet sich in Situationen wieder, die ungleich gefährlic...