Kapitel 9

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Immer wieder glitten Arrans Augen zur Uhr. Er wartete seit der ersten Schulstunde geduldig auf den letzten Gong, der den Schulschluss einläuten würde. Dann würde es endlich losgehen. Fußballtraining. Es war noch immer seltsam. Naia würde ihn heute begleiten, obwohl sie selbst nicht teilnehmen konnte. Doch er hatte es ihr versprochen. Sie würden zusammen dorthin gehen und es zusammen erleben und Arran war froh darum. Er hatte noch nie Fußball gespielt und jetzt war er tatsächlich aufgeregt. Fast eingeschüchtert. Doch das Naia ihn begleiten würde, gab ihm Sicherheit. Es war, wie sie ganz am Anfang gesagt hatte. Damals als sie fragte, ob sie irgendwann zusammen ins Ausland gehen würden. Zusammen hatte man weniger Angst. Langsam lösten sich seine Augen von der Uhr und er blickte vor zu Naia. Sah, das sie mit dem Bein wackelte. Es machte ihn ganz wahnsinnig und er war selbst schon nervös genug. So tippte er ihr mit einem Stift gegen den Rücken und tatsächlich. Das Bein stoppte ohne das sie zurück sah. Mittlerweile verstanden sie sich schon blind. Verbrachten die letzten Wochen seit Schulbeginn fast jeden Tag zusammen. Es waren tatsächlich schon ewig her, das Herr Fernández ihn ins Training eingeladen hatte. Arran hätte sein Versprechen gegenüber Naia gerne früher eingelöst, doch seine Mutter hatte darauf bestanden das er sich das Training erarbeitete. Er könne Oliviers Gutherzigkeit nicht einfach so ausnutzen. Hier im Viertel war es ein geben und nehmen und sie wollte, das er das lernte. Die Bedingung war, das er eine zeitlang im Haushalt half und die erste Klassenarbeit mindestens eine 2 war. Letzte Woche hatten sie endlich die erste Matheprüfung herausbekommen und er hatte mit Naia zusammen eine 1 geschrieben. Nur deswegen war es heute endlich soweit. Er war so in seine Gedanken vertieft, das ihn trotz des ersehnten wartens, der Gong erschreckte. Seine Augen weiteten sich und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. „Naia!" Flüsterte er aufgeregt und sie wandte sich sofort um. „Ich weiß!" Flüsterte sie zurück und sie grinsten sich an. Packten eilig ihre Sachen zusammen. Es war Kiki, Arrans Nebensitzerin, die den Kopf drehte. Das neugierig Mädchen hatte schwarze Haare und braune Augen. Augen, die die zwei Freunde nun interessiert musterten. „Ist was gutes passiert?" Fragte Kiki und Naia grinste breit. „Ja! Aber das ist ein Geheimnis. Wir müssen jetzt los. Bis morgen Kiki!" Die Beiden hatten sich schon vor einer Weile angefreundet. Allerdings konnte Arran nicht viel mit Kiki anfangen. Doch das war nicht wichtig. Hauptsache Naia hatte ihren Spaß und trotzdem Zeit für ihn. So wie heute. Sie stürmten gemeinsam aus dem Klassenzimmer. Arran allerdings nicht ohne seine Kapuze überzuziehen. Es war langsam eine Gewohnheit ohne die er schon gar nicht mehr sein konnte. Egal wie heiß es unter seinem schwarzen Hoodie immer wurde. Er trug die Kapuze und fühlte sich damit freier als ohne. Es gab ihn Anonymität und das genoss er.

So schnell wie Naia konnte, eilten sie die Schulgänge entlang und verschwanden über die Straßen hinweg, bis sie das Cafe erreichten. Arran war im Grunde jeden Nachmittag hier. Half manchmal sogar Naia und verteilte mit ihr zusammen den Kuchen. Er war nur nicht hier, wenn Naia etwas mit Kiki unternahm. Dann saß er zu Hause und schaute seine Serien nach, die er akribisch jeden Tag aufnahm. Es war eine Funktion seines Fernsehers. Eines der wenigen Dinge, die seine Mam und er noch immer aus ihrem alten Leben besaßen. Vermutlich hatte Summer Arran zuliebe den Fernseher noch nicht verkauft. Das alles spielte heute aber keine Rolle. Sie wirbelten regelrecht in das Cafe hinein und eine amüsierte Nana grinste ihnen zu. „Mi Cielo, Mi Nino! Lento! Langsam! Sonst verletzt ihr euch vor dem Training." Naia blickte sofort zu ihrer Großmutter hinauf. „Nana. Was gibt es heute leckeres?" Sie meinte das Mittagessen und auch Arran spürte seinen Magen knurren. Er wollte definitiv nicht halb verhungert im Training erscheinen. Würde es anstrengend werden? „Tortilla. Ihr wisst ja. Si?" Naia nickte sofort. „Si!" Antwortete sie und warf dann einen Blick über die Schulter. Der Blick genügte. Arran musste nichtmal seinen Kopf schütteln, da wandte Naia sich bereits ab. Und auch er drehte sich einmal um die eigene Achse, ehe sie wieder zur Tür hinaus verschwanden nur um die Treppe hinauf zu hüpfen. Naia zog ihren Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Arran war ein wenig eifersüchtig. Sie war größer als er und das obwohl er schon groß für sein Alter war. Er hatte sich schon ein paar mal darüber beschwert und seine Mutter hatte ihm lachend geantwortet, das Mädchen schneller wuchsen. Er müsse sich gedulden. Irgendwann, würde er größer sein als Naia. In Momenten wie diesen wünschte er sich, es wäre bereits soweit. Naia öffnete die Tür und sofort drang ihnen der Geruch von frischen Kuchen und den würzigen Tortilla in die Nase. Arran lief das Wasser im Munde zusammen, während sie eintraten und ihre Taschen auf die Couch warfen. Sie waren ein eingespieltes Team. Während Naia von der Küchenzeile die Form voll Tortilla – einem Essen aus Ei und Kartoffeln – holte und diese dann auf den winzigen Esstisch stellte, kramte Arran Besteck aus der Schublade und griff aus der Plastikhalterung zwei frisch gewaschene Teller nur um Naia zu folgen. Sie grinsten sich an und ehe sie sich aufs Sofa plumbsen ließen und mit einer Kelle das Essen auf ihre Teller verteilten. Früher, vor dem verhängnisvollem Tag, hatten seine Mutter und er in einer weitläufigen großen Wohnung gelebt. Jetzt lebten sie in einer winzigen 2 Zimmer Wohnung, die aus nicht mehr bestand als einem engen Wohn- und Essbereich in das gerade einmal Sofa, Fernseher und ein Fernsehtisch bestand und einem Schlafzimmer mit einem großen Bett in dem er und seine Mam zusammen schliefen. Die Wohnung von Naia und Nana war deutlich größer. Allein der Wohn- und Essbereich war so groß wie seine Wohnung im kompletten. Zwar trennte nichts die Küche vom Wohnzimmer. Doch es hatte ein Esstisch mit 4 Stühlen und ein Sofa mit Tisch platz. Daran anknüpfend, gab es hier drei Zimmer. Nana und Naia hatten jeweils ihr eigenes kleines Schlafzimmer und es gab, wie Nana so schön sagte noch eine Rumpelkammer voll Krimskrams, den sie sowieso nicht brauchte, doch auch nicht wegschmeißen konnte. Die letzte Tür führte zu einem Bad. Doch Arran war nicht neidisch darauf, das Naia mit ihrer Großmutter besser wohnten. Er war froh das er viel Zeit hier verbringen konnte und das es seiner Mutter und ihm gut ging.

„Willst du viel?" Fragte Naia, als sie ihren Teller gefüllt hatte und endlich blickte Arran auf. Wo war er heute nur mit seinen Gedanken? „Ja. Ich muss doch für das Training stark sein!" Sagte er überzeugt und erntete dafür ein Lachen von Naia. „Du tust so, als willst du den ganzen Tag durcharbeiten." „Ich will auf jedenfall nicht zu schwach sein!" Brummte er ihr als Antwort und sie grinste einfach weiter. Machte ihm aber tatsächlich eine größere Portion auf den Teller. „Du musst keine Angst haben. Es wird dir Spaß machen." Er verzog das Gesicht und blickte fort. Weg von ihr. Manchmal hatte er das Gefühl, das sie ihn völlig durchschaute, wenn er ihr in die Augen sah. Es war als konnte sie sehen was er fühlte. Verstehen was er nicht sagte. Es war eine Fähigkeit, die sowohl gut als auch schlecht war. Schön und beängstigend zugleich. Eine Fähigkeit, bei der es sinnlos war, etwas abzustreiten, denn sie kannte die Wahrheit. Doch sie sagte nicht jedem was sie alles sehen konnte. Sie sagte es ihm. Hatte es ihm anvertraut. Kiki wusste nichts davon und darauf, war er Stolz. „Ich werde dich doch begleiten. Dann hast du weniger Angst." Fügte sie noch hinzu und kurz lächelte er. „Du kannst wirklich gruselig sein." Sagte er endlich und sie kicherte. „Und du ein Grobian." Er sah wieder zu ihr und sie schenkten sich ein von Zahnlücken erfülltes Grinsen, dann wandten sie sich endlich ihrem Essen zu. „Noch 2 Stunden." Erkannte Arran, mit einem kurzen Blick zur Uhr und auch Naia sah dorthin. „Was machen wir bis dahin?" Fragte er nachdenklich und auch ihre Stirn begann sich zu kräuseln, als sie angestrengt nachdachte. „Auf jedenfall erstmal essen!" Entschied sie und griff nach ihrer Gabel. „Und dann?" Fragte Arran, ehe er sich die erste Portion in den Mund schob. Naja sah immer noch nachdenklich aus, während sie kaute. Sie schluckte und sah dann zu Arran. „Und wenn wir am Sportplatz warten?" Der Sportplatz war direkt neben der Schule. Es war ein harter Steinboden mit Maschendraht, der hoch aufgespannt war. Es erinnerte an einen Käfig, doch darin zu spielen war besser, als gar nicht zu spielen. „Was 2 Stunden bei der Hitze?" Fragte er mürrisch und sie lachte wieder. „In 2 Stunden ist es auch noch warm und dann musst du rennen." „Ich werde so stinken danach." Erkannte er, ehe er den nächsten Happen vertilgte. „Und du solltest einen Capi mitnehmen. Nicht, das du wieder Kopfweh bekommst!" Ermahnte er sie noch, als er heruntergeschluckt hatte. „Jaja ich nehm sie ja mit." „Nicht mit. Auf. Du musst sie aufziehen." „Du lenkst gerade nur von deiner Angst ab!" „Und du von deiner Dummheit." Sie funkelten sich beide an, ehe beide zu Lachen begannen. Das war der Moment, als Nanas Kopf zwischen ihnen Beiden erschien. Die Kinder hatten nichtmal gehört, wie die alte Dame hereingekommen war. „Mi querido, meine Lieben. Vergesst nicht eure Hausaufgaben." Das Lachen erstarb und nüchterne Erkenntnis traf sie. Stimmt. Sie mussten ja noch ihre Hausaufgaben machen. „Haben wir nicht vergessen!" Sagten sie beide wie aus einem Mund und Nana blickte wieder amüsiert drein. „Bueno. Gut." Die ältere Frau richtete sich wieder auf und lief zur Küchenzeile um einen der Blechkuchen zu greifen, ehe sie auch schon wieder verschwand.


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt