Kapitel 58

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Schwerfällig öffnete sich die Tür am Ende des Ganges und sofort war Arran auf seinen Beinen. Er hatte tatsächlich nicht geschlafen. Hatte gewartet und jetzt trat er wieder zu den Gitterstäben. Die Kerle hoben ihre Waffen, doch er musste es einfach sehen. Neugierig presste er sich gegen das Metall und stierte in den Flur, genauso wie es die bewaffneten Männer taten. Dort war etwas, das es zu sehen gab. „Ihr könnt gehen." Erklang Azuls Stimme. Die Männer zögerten keine Minute und senkten die Waffen nur um Azul entgegen und dann an ihm vorbei zu laufen. Endlich konnte auch Arran sehen wer dort alles kam. Er hatte mehrere Schritte gehört und jetzt wusste er von wem. Naia war zurück. Azul und Shira waren bei ihr. Ihr Blick war kreidebleich und verloren, doch sie war am Leben. Er konnte sich das erleichterte ausatmen nicht verkneifen. Beobachtete, wie Azul Naias Zelle öffnete. Shiras Waffe war auf die Blonde gerichtet, die sich ohne Gegenwehr hinein begab. Den Blick gesenkt. Es brach Arran das Herz, denn er wusste das etwas passiert war. Sie hatte etwas getan, das gegen alles ging, für das sie stand. Sie hatte sich ein Stück weit aufgegeben, doch sie war am Leben. Es würde wieder werden. Irgendwie. Das redete sich Arran ein, während Azul wieder abschloss. Doch er ging nicht. Stattdessen trat er an Arrans Zelle heran. In Azuls Augen leuchtete etwas, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet. Einen Moment allein mit Rojo. „Na Rojo, wie ist es in einer Zelle zu verfaulen?" Arran stand noch immer an den Gitterstäben und er hatte nicht vor zurückzuweichen. Er müsste nur die Hand ausstrecken und er könnte Azul die Kehle zu drücken, doch Shira hielt ihre Waffe noch immer erhoben. Nicht auf ihn gerichtet, sondern auf Naia. Arran ahnte das es eine leere Drohung war, doch Tomás hatte auch klar gemacht, das er Naia verachtete. Das er sie nur leben ließ, weil er sie zu Marco machen wollte. Arran wusste, das würde niemals passieren. Nicht nur konnte Naia niemals so werden wie Marco, nein selbst wenn sie es tat. Egal wie ähnlich sie Marco werden würde, für Tomás könnte sie niemals an seinen Bruder heranreichen. Es brauchte also nur eine schlechte Laune von Tomás und aus der leeren Drohung wurde Realität. „Du weißt es ist scheiße. Also? Was willst du?" Arran wusste das hier unterwürfig zu spielen, nichts ändern würde. Azul wollte ihn provozieren. Azul war hier um ihn mit Worten zu foltern, egal wie Arran antwortete. Obwohl Azul schon nah an den Gitterstäben war, trat er noch einen Schritten vor. Presste sein Gesicht halb an die Metallstäbe. „Ich werde sie zerstören, Rojo. Irgendwann kommt der Moment. Irgendwann wird sie versagen und dann werde ich sie dafür büßen lassen, was sie wagte zu sagen. Und ich bin nicht allein. Wenn es soweit ist, wirst du Shira kennen lernen." Kurz wanderten Rojos Augen zu der Frau. Er hatte sie bis jetzt kaum beachtet. Neben dem schillernden Azul wirkte sie fast gleichgültig normal. Braune Haare zu einem Bob geschnitten und braune nichts sagende Augen. Nichts an ihr wirkte besonders und das unterstrich nur, welche Fähigkeiten sich hinter der Frau verbergen mussten. Niemand normales würde sich an Tomás Seite befinden. „Ich hatte schon das Vergnügen mit ihr. Noch Kopfschmerzen?" Shira biss die Zähne zusammen. Sie löste die Waffe von Naia nur um sie auf ihn zu richten. In ihrem Kopf ratterte es. Schießen oder nicht. Azul unterbrach das Abwiegen ihrer Optionen in dem er die Hand hob und sie damit zurück hielt. Sie zischte genervt, ehe sie die Waffe wieder auf Naia hielt. „Jetzt hast du ein ganz schön loses Mundwerk. Aber du solltest es doch besser wissen Rojo. Wir brauchen nicht alles von dir. Ein oder zwei Finger weniger, interessiert doch keinen." Etwas in Azuls Augen leuchtete auf. Er zog sein Messer wieder hervor. Jenes, das schon Arrans Hals zu spüren bekommen hatte und jenes für das er auch bei Lirio berüchtigt gewesen war. Er konnte sehr wohl mit Schusswaffen umgehen, doch er liebte es seine Messerwerfer-Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er genoss es, wie Brook es genoss zu schießen. „Na komm. Gib mir deine Hand. Lass mich dich um einen Finger erleichtern." Arran schluckte. Das jetzt war keine leere Drohung. Azul wollte das wirklich und Arran hatte kaum Optionen um das zu verhindern. „Sammelst du gern Finger von deinen Schülern?" Fragte Arran, als spürte er die Wahrheit hinter Azuls Worten nicht. „Nur jene, die mich ankotzen." Kurz schnaubte Arran. „Wenn ich dich ankotze, dann hattest du bessere Optionen, als jetzt nur einen Finger zu holen. Du hättest mich in eine Falle laufen lassen können." „Aber das hab ich doch oder nicht?" Azul breitete die Arme aus und deutete um sich herum. „Ist das nicht eine wunderbare Falle? Alles nur für dich. Dich und deine ekelhafte Familie." Familie. Naia hatte es bereits gesagt. War das der Grund für Azuls Hass auf ihn? Weil er noch immer eine Familie hatte, die ihn liebte und das obwohl er ein Monster geworden war? „Du willst nicht mich quälen. Du willst sie quälen, weil sie dich durchschaut hat." Erkannte Arran endlich und etwas verrücktes tauchte auf Azuls Gesicht auf. „Bingo." Er grinste so wie er immer grinste, doch erst jetzt verstand Arran, was für ein Wahnsinn sich da hinter verbarg. Arran hatte ihn bis jetzt nicht durchschaut. Hätte es nicht, hätte Azul ihn nicht verraten und hätte Naia ihn nicht vor allen bloßgestellt. „Hörst du Rojos Cielo. Du solltest jetzt gut herschauen. Du solltest es dir merken, wie er anfängt zu schreien aber den Finger nicht wegzieht." Azuls Hinterkopf tauchte auf, als er über die Schulter zu Naia blickte. Diese wirkte noch immer kreidebleich. Doch auch sie war zu den Gitterstäben herangetreten. „Geh zurück. Lass es ihn tun, wenn es ihm gefällt." Bat Arran sofort. Azuls Lachen war zu hören, als sie den Kopf schüttelte. Etwas Leeres lag in ihren Augen. Eine Leere mit der sie ihre Zelle schon betreten hatte. „Was ist Cielo? Willst du jetzt Stärke beweisen? Was willst du tun? MH?" Azuls Stimme war lauter geworden. Arran bekam ihn durch die Stäbe zu fassen, doch Azul zog seine Hand einfach weg. Ließ ihn links liegen. „Was willst du tun? Du hast nichts um mich aufzuhalten!" Zischte Azul, als fürchtete er sich davor das sie doch etwas sagte das ihn treffen könnte. Hatte der Blauhaarige Angst? Angst, vor der unausgesprochenen Wahrheit? Naia wirkte traurig, als sie Azul betrachtete. „Du hasst mich, weil ich ihn nicht aufgebe. Deine Mutter. Sie hat dich aufgegeben. Nicht wahr? Hat sie sich wegen dir das Leben genommen?" Arran konnte nicht sehen, wie Azuls Gesicht sich veränderte, doch plötzlich riss der Kerl Shira die Waffe aus der Hand. „Ich durchlöcher dich du-" „AZUL!" Eine scharfe Stimme durchbrach die Situation. Erst jetzt hörte Arran wie eine Tür ins Schloss fiel, die er nicht hatte aufgehen hören. Schritte erklangen während Azul dorthin blickte. Sein Gesicht war voller Hass. „HALT DICH DA RAUS!" Brüllte der Blauhaarige, den Arran davor noch nie hatte durchdrehen sehen. Azul war sein Lehrer gewesen. Er hatte ihm alles beigebracht was Aran konnte. Er war in Azuls Team gewesen. Hatte für und mit ihm gekämpft. Nie hatte er Azul in so einer Verfassung gesehen. Nie hatte er erwartet das Azul ihn verraten würde. Das hinter Azuls nettem Gesicht ein verrückter Irrer ruhte, der von seinem Vater nicht erkannt und von der Mutter im Stich gelassen wurde. Mit einem Schlag wirkte Azuls Wut wie die Reaktion eines kleinen trotzigen Kindes und vermutlich waren das die Gefühle, die Azul seit Jahren mit sich herum geschleppt hatte. Ein verletztes Kind, das keine Heilung erfahren hatte. Doch ein Mann brachte Azuls Wut zum Schweigen. Der Mann war den Gang mit schnellen sicheren Schritten entlang gelaufen. Als er in Arrans Sichtfeld auftauchte, wirkte der Mann, als war er der Inbegriff eines lateinamerikanischen Mafiosos aus den 70er oder 80er Jahren. Er hatte kurzes schütteres Haar und dafür einen schwarzen Oberlippenbart. Seine Haut war braungebrannt und er hatte eine Waffe in der Hand. Für einen Moment sah man Unsicherheit auf Azuls Gesicht, dann trat er mit der Waffe in den Händen vor. „Was willst du hier Juan?! Verschwinde, das geht dich nichts an." Juan wich keinen Meter zurück. Nein er steckte sogar seine Waffe weg und trat bis zum Lauf, den Azul auf ihn richtete. „Was ist los Azul? Willst du gar nicht schießen?" Er sagte es so selbstgefällig, das Azul offensichtlich darüber nachdachte zu schießen. Doch er zögerte bis Juan die Hand hob und dem Jüngeren einfach ins Gesicht schlug. „Reiß dich gefälligst zusammen. Wann und wer hier einen Finger verliert entscheidet Tomás und nicht du. Haben wir uns verstanden?" Azul wirkte kurz schockiert. Buff, weil Juan ihn so offensichtlich ins Gesicht geschlagen hatte. Doch er fing sich wieder. Aus seinem Hass wurde Trotz. „Bild dir nichts auf dein Alter ein Juan. Wir haben den gleichen Rang. DU kannst mir gar nichts sagen." Arran sah einfach buff zu, wie sein älterer Mentor von diesem selbstbewussten Mafioso eingeschüchtert wurde. „Kann ich nicht?" Als sagte das alles trat Juan einen Schritt vor und sofort wich Azul zurück. Seine Augen weiteten sich, als er seine eigene Reaktion erschrocken erkannte. Juan schnaubte amüsiert, dann drehte er einfach den Kopf zu Shira. „Shira, von dir habe ich was anderes erwartet. Ist es wegen der Kopfverletzung?" Shira verzog sofort den Mund. „Ich hab ne Rechnung mit ihm offen." Erklang endlich ihre Stimme, tief und kurz angebunden. „Azul, Shira. Mit diesem kindischen Verhalten entehrt ihr Mortes. Wollt ihr wirklich das ein Wicht wie der da-" Seine Hand deutete in Arrans Richtung und kurz war Arran ernsthaft beleidigt über diese Geste. „-euch so aus der Fassung bringen kann? Ihr wisst, das er das für eine Flucht verwenden könnte oder? Er weiß das ihr das Mädchen nicht erschießen könnt und dann haltet ihr ihm ein Messer an die Hand? Seit ihr verrückt?" Azul und Shira wirkten für einen Moment betreten, ehe Shira sich in Bewegung setzte und Azul die Hand hin hielt. Wortlos gab er ihr das Gewehr zurück, dann sah er ein letztes Mal in Juans Gesicht. „Ich bekomme seinen Finger noch." Brummte Azul mürrisch, dann lief er einfach an Juan vorbei und aus dem Kerker heraus. Auch Shira ließ von Juan ab und folgte Azul. Stille setzte ein und für einen Moment fragte sich Arran, ob er sich bedanken sollte. Doch hinter Juan hatte Naia den Kopf gesenkt. Sie schien vor Juan genauso Angst zu haben, wie vor Tomás oder Blanco. Unterwürfig den Kopf gesenkt. Ganz im Kontrast zu ihre Stärke, als sich Azul gestellt hatte. Als wäre das sein neues Maß an dem er sich messen wollte, blickte Arran auf. „Danke." Juan hatte den zwei Jüngeren gerade noch hinterhergeblickt, jetzt sah er zu Arran. Dort lag nichts in seinem Blick, als blickte Juan einfach nur auf einen Stuhl. Dann drehte er sich weg und lief kommentarlos aus dem Gang. Offenbarte, das er es nicht mal für nötig erachtete sich irgendwie bei Arran und Naia zu erklären. Die Tür flog ein letztes Mal zu und sie waren allein. Allein mit all den unbekannten Augenpaaren, die sie durch die Kameras beobachteten.


Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt