Kapitel 36

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Rojo saß am Schreibtisch und hätte ihm jemand gesagt, das dies irgendwann Teil seines Gangsterlebens werden würde, er hätte gelacht. Jetzt lachte er nicht mehr. Es war eine scheiß Aufgabe. Natürlich rückten all die Straftaten weiter von ihm weg und doch gab er sie in Auftrag. An ihm klebte deswegen nicht weniger Blut. Eher mehr, weil er all diese Leute damit ebenfalls in diesen Dreck mit hineinzog. Wie ein wahrer Stratege in einem Krieg blickte er auf eine Landkarte herab. Dort war seine ganze Stadt abgebildet. Von Upperhill, dem Stadtkern, in dem er gerade wohnte, ging es über die vier Bezirke um Upperhill herum bis Outerhill ganz im Westen und Sunburn im Osten. El Lirio gehörte die gesamte Hauptstadt und doch hatten Los Mortes sich ausgebreitet. Lange Zeit hatte El Lirio ohne Feind regiert, doch aus dem unscheinbaren Clan Los Mortes wurde ein immer gefährlicher Gegner. Anfangs versteckten sie sich unscheinbar in Outerhill. Doch sie kehrten zurück. Nun war nicht mehr nur Outerhill in ihren Händen. Sie nahmen sich einen Außenbezirk nach dem anderen. Es war als wollte Los Mortes sie einkesseln und sollte ihnen das gelingen, dann würden El Lirio die Handelswege abgeschnitten werden. Und es sah ganz danach aus, das genau das das Ziel der Los Mortes war, denn ihnen fehlten nur noch drei der Außenbezirke. Sunburn und seine zwei angrenzenden Viertel. Nur noch zwei Viertel bevor in Sunburn eine grausame Schlacht um den letzten Zugang zur Außenwelt stattfinden würde. Rojo hob die Hand und starrte auf das Viertel eine Hand in seinem Haar vergraben. Sie mussten das halten. Sie durften die angrenzenden Viertel nicht verlieren. Es war ein Klopfen das ihn aus diesem Gedanken riss. „Rojo?" Rief jemand laut hinein und er erkannte die Stimme sofort. „Ja? Komm rein." Er sah auf und tatsächlich Rico und Leo traten ein. Jene zwei, deren Entscheidung er einmal mit Hass versucht hatte abzuwenden. Jetzt war er ein Teil von ihnen und es war ihre gemeinsame Vergangenheit, die sie geeint hatte. Leo war lange vor ihm El Lirio beigetreten, trotzdem hatte es Rojo weiter geschafft als er. Selbst Rico war früher als Arran hier gewesen und er war es auch, der Arran das Kämpfen beigebracht hatte. Auch ihm hatte sein Vorteil nichts genutzt. Arran hatte sie alle hinter sich gelassen. Er stand höher im Rang, als diese Beiden, doch das spielte jetzt keine Rolle. Sie waren Freunde. Die Einzigen in ganz El Lirio, denen er wirklich vertraute. „Starrst du wieder Löcher in die Karte?" Fragte Rico amüsiert. Rojo stand sofort auf und sie klatschten die Hände des jeweils anderen zum Gruß. „Ich schaue so viel drauf. Man sollte meinen ich suche neue Stadtteile." Leo schloss die Tür. Der Ältere war ein Glatzkopf und sprach nur das nötigste. Vermutlich war das ein Grund warum er nie groß aufstieg. Er verbreitete das Gefühl eines eisernen Soldaten. Im Kampf gab es niemanden, den Rojo lieber an seinem Rücken wissen wollte. „Und schon welche gefunden?" Fragte Rico aufgeschlossen. Einen Briefumschlag in seiner Hand. „Nein. Es werden einfach nicht mehr." Dann verdunkelte sich Arrans Blick kaum das er die Akte erkannte. „Haben wir ihn?" Rico folgte kurz seinem Blick. Sah auf den Umschlag hinab, ehe er aufblickte. „Ja. Er ahnt nichts." Rico trat vor und reichte die Unterlagen an Arran. Dieser zögerte keinen Moment. Wer würde es sein? Wer auch immer es war, ihm würde kein schönes Ende blühen. Früher hätte ihm sicher das Herz höher geschlagen, jetzt zog er die Papiere fast gleichgültig hervor. Dort waren mehrere Seiten mit einer Heftklammer zusammengehalten. Ganz vorne ein Bild der Ratte. Gleichgültig legte Arran den Umschlag weg und blickte auf das Bild. >Kenn ich nicht<, war alles was er bei dem Bild dachte. Dann blätterte er weiter. Die Ratte hieß also Diego Padilla, aber sein Gangstername lautete Rascal. Kaum jemand blieb bei seinem alten Namen. Rascal also. „Kein Wunder konnte das Militär einige unser Waffenlieferungen abfangen. Er ist einer der Schleußer." Es gab Polizei im ganzen Land, doch sie waren alle korrupt. Den Gangs gehörte die Städte. Doch ihnen gehörte noch nicht das Land. Schon seit einer Weile versuchte das Land mit dem Militär die Städte wieder zurückzuerobern. Angefangen bei dieser hier. Milestone. Der größten Stadt des Landes. Sie wollten sie ausräuchern in dem sie ihnen Stück für Stück die Waffen streitig machten. Den Geldhahn abdrehten. Doch Arran kannte die Wahrheit. Gangs waren wie Hydras. Sie hatten tausende von Köpfen. El Lirio würde wohl nur fallen, wenn man die Stadt mit einer Bombe zerstörte und das würde keine Nation riskieren. Das Militär verschräfte die Situation in der Stadt, die dank der Los Mortes schon angespannt genug war. Und einer dieser Kerle hatte sich also in El Lirio eingenistet. Kurz zog ein finsteres Grinsen über Arrans Lippen. Rascal würde nicht gefallen was jetzt passieren würde. „Was hast du mit ihm vor?" Arran sah auf. „Was wohl. Ich werde mit ihm Reden. Ihr könnt gehen. Ich werde mich persönlich darum kümmern." Leo pfiff kurz. Das war auch alles was er dazu sagte. Rico sprach es für ihn aus. „Der General erhebt sich selbst. Der Kerl sollte sich geehrt fühlen." „Jetzt übertreibt nicht. Rascal hätte heute einen Auftrag. Ich will das ihr ihn übernimmt. Wir brauchen die Waffen." Aus dem Spaß von eben wurde ernst. „Klar." „Denkt dran. Das Militär weiß von der Lieferung. Seit vorsichtig." „Du kannst dich auf uns verlassen. Diese Lieferung kriegen sie nicht." Es war ein letzter Blick, ehe Rico und Leo abdrehten und wieder verschwanden. Noch einmal blickte Arran auf das Bild hinab. Rascal also. Dank diesem Dreckskerl waren schon einige gute Männer bei den Lieferungen ins Kreuzfeuer geraten und gefallen. Arran würde ihn fühlen lassen, was der Preis dafür war. Er verstaute die Unterlagen in seinem absperrbaren Schrank und war schon fast zur Tür heraus, als er das Vibrieren seines Handys spürte. Genervt zischte er zwischen seine Zähne hindurch und zog das Telefon aus der Tasche. Eben noch hatte Arran jedes Herzpochen gefehlt. Jetzt fehlte es nicht. Für einen Moment stockte sein Herz sogar, als er die Worte seines Mittelsmannes las. >Jemand war im Cafe. Nana ist zusammengebrochen.< Wer war es? Los Mortes? Militär? Jemand von El Lirio? Er schluckte schwer. Nana war zusammengebrochen. Sie war alles was Naia geblieben war. Musste sie zum Arzt? War sie angeschossen worden? Aus dem kalten Rojo wurde binnen Sekunden der panische Arran. All die Jahre hatte er sich zurück gehalten, doch dort war noch immer die Sehnsucht in ihm. Die Sehnsucht der letzten Tage. Die Bilder und seine Blumen. Der Wunsch wieder Teil ihres Lebens zu sein. So reagierte er, bevor er ernsthaft nachgedacht hatte. Kurz glitt sein Blick aus dem Fenster seines Zimmers heraus. Upperhill lag auf einem Hügel und so konnte er einen gewaltigen Teil der Stadt Milestone überblicken. Darunter auch Sunburn. Er musste dorthin und es war bereits dunkel. Schnell eilte er zu einem seiner Kleiderschränke. Von ganz unten zog er einen Hoodie hervor. Er hatte ihn lange nicht getragen. Jahre musste es her sein. Doch er würde sich nicht hier umziehen. So stopfte er den Hoodie hastig in eine Tasche. Lief zu seinen Knarren. Mit geübten Bewegungen checkte er, ob sie geladen war, dann steckte er eine am Rücken in die Hose und zwei andere warf er in die Tasche. Ein Schalldämpfer folgte den Waffen. Dann schloss er die Tasche und lief mit ihr aus dem Zimmer. Einige Leute blickten ihm verwirrt hinterher. Doch niemand stellte sein Verschwinden in Frage. Sie ließen ihn einfach gehen. Mit dem Aufzug fuhr er bis in die Tiefgarage hinab. Er hatte mehrere Autos, doch diesmal wählte er sein Motorrad. Es zog keine Schutzausrüstung an. Nur den Helm, ehe er auch schon los düste. Straßen und Lichter schossen an ihm vorbei wie Streifen, während er viel zu schnell durch die Stadt schoss. Er wusste das es nicht ewig so weitergehen konnte. Er durfte nicht einfach vor ihre Tür fahren und dort aussteigen. Er könnte ihr auch direkt ein Schild an den Hals hängen, Los Mortes ich bin wichtig. So nervös wie schon lange nicht mehr, hielt er an einem Parkhaus noch einige Blocks von Sunburn entfernt. Er ließ sein Motorrad einfach zurück. Im Treppenhaus zog er sich um. Kaum hatte er den Hoodie übergeworfen wurde ihm heiß. Wie zur Hölle hatte er früher bei jedem Wetter mit diesem Ding herumlaufen können? Er verstand es nicht mehr, doch er ertrug es. Schmiss die Kapuze über sein Haar und vergrub seine Hände in der Brusttasche. Er musste wie früher wirken. Jemand der keinen Ärger wollte.

So verhüllt eilte er die Treppen hinab. Kurz sah er in einem Fenster sein Spiegelbild. Früher war es normal für ihn geworden, jetzt war es als verkleidete er sich als sein altes Ich. Es war ein Gedanke, der sich verlor, weil er einfach weiter lief. Er war oft in der Gegend in der Nähe Sunburn. Vor allem um hier zu kämpfen oder Dinge zu tun, die Naia ihm niemals verzeihen könnte. Es war als konnte er kaum eine Straße entlang laufen ohne einen Teil seiner Schuld zu sehen. Er sollte nicht zu Naia. Er sollte sich von ihr fern halten. Doch ein Instinkt in seinem Inneren wusste, das sie ihn brauchen würde. Er wusste nicht woher diese Überzeugung kam, doch er war sich so sicher. So sicher wie er wusste das er atmen musste. Mit schnellen Schritten lief er also durch die Stadt und sein Herz wurde ihm immer schwerer, als er Straßen entlang lief, die er nicht nur durch seine Taten kannte. Sondern, die er von früher kannte. Er kam am Fluss vorbei, an der Schule. Dort wo Jacob ihn auf dem Hinterhof verprügelt hatte. Orte, die mit Melancholie gefüllt waren. Er schluckte, als er die Schule hinter sich ließ. Vorbei an einem Blumenladen. Ihn hatte es damals nicht gegeben. Das Sportgeschäft war darin gewesen. Es zeigte ihm, das es nicht mehr nur sein altes Viertel war. Es war anders geworden so wie er anders war und in diesem Moment fühlte er sich wie ein Fremdkörper hier. Er folgte den Schatten der Gebäude, bis er den großen Platz erreichte. Bis er das Cafe sah und sein Herz stoppte. Nur noch wenige Schritte und dort war der Ort, von dem er noch immer träumte. Nach dem er sich in letzter Zeit immer mehr sehnte. Heimat. Er musste schwer schlucken und einen Moment die Augen schließen. Doch was jetzt? Jetzt war er hier, starrte auf ein Cafe und fragte sich was er jetzt eigentlich tun wollte. Einfach klingeln? Es gab wohl nichts das dümmer wäre. Unangebrachter und das er doch so sehr wollte. Er atmete schwer um einen klaren Kopf zu bekommen, doch es half nicht. Vorsichtig schlich er nahe an den Häusern entlang, bis er schließlich in einer Gasse stoppte. Er konnte die Treppe sehen. Dort wo früher immer sein Rad angeschlossen gewesen war. Es war ihm als konnte er sich selbst dort hinunter laufen sehen auf dem Weg um Naia vom Kino abzuholen. Wie viele Welten lagen dazwischen? Es war ihm, als sah er Erinnerungen aus einem anderen Leben und irgendwie war es das auch. Er stand einfach dort unten und sah hinauf, obwohl auf ihn ein Kopfgeld von Los Mortes ausgesetzt war. Die halbe Stadt wusste wer er war. Ein falscher Move. Eine einzige Person, die ihn erkannte und er könnte Naias ganzen Leben zerstören. Langsam sackerte diese Erkenntnis in ihn und er erkannte. Das hier war ein Fehler. Er musste gehen. Er durfte hier nicht sein und so wandte er sich unverrichteter Dinge wieder ab. Sah zu die Schatten von denen er gekommen war und zu dem er geworden war.

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt