Kapitel 32

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Mit einem Schlag riss Arran die Augen auf und starrte an die dunkle Decke. Sein Herz pochte wild von den Bildern, die gerade seinen Traum gefüllt hatten. Blut war vom Himmel geregnet, während seine Mutter wieder und wieder starb. Schweiß klebte an Arran. Sein Atem ging schwer, als wäre er gerade einen Marathon gerannt. Es waren die immer selben Bilder, die ihn jede Nacht quälten. Er hätte damit zum Arzt gehen sollen, doch das konnte er sich nicht leisten. Es gab so vieles das er sich nicht leisten konnte. Es blieb nur eines übrig. Er richtete sich auf und griff neben sich. Eine Wasserflasche erwartete seine Hand und mit Routine öffnete er sie und trank daran, als wäre er am verdursten. Kurz kühlte das Wasser sein aufgewühltes Herz. Doch kaum war die Flasche leer und das kühle Gefühl in ihm stoppte, da kehrte diese Hilflosigkeit wieder zurück. Er hätte versuchen können sich einfach wegzudrehen und versuchen können wieder einzuschlafen. Das hatte er schon probiert. Es war zwecklos. Alles was er maximal erreichte, war das Gefühl zu fallen. Müde schob er die Decke von sich fort und stand auf. Mit einem Mal war es unerträglich eng in der kleinen Dachhütte und so öffnete er die Tür und trat aufs Dach hinaus. Für einen Moment befürchtete er blutigen Regen zu sehen, doch es war eine übliche Sternennacht. Heute leuchtete der Mond am Himmel. Strahlte silbern auf eine verlorene Stadt herab. Irgendwo in der Ferne erschallten Sirenen und Arran ballte wütend die Faust. Noch ein Schicksal das in einem Moment zerstört wurde? Wie viele sollten es noch werden? Er starrte vor sich hin, während er auf seine Lippe biss. Es war ein unbewusster Reflex um die Anspannung zu lösen. Es half nicht. Das Gesicht des Glatzkopfes tauchte vor seinem inneren Augen auf. War er dort draußen? Hatte er wieder jemand unbeteiligtes getroffen? Arran fraß dieser Gedanke auf. Die letzten Wochen waren für ihn mit Traurigkeit gefüllt gewesen, doch langsam erwachten seine Gefühle und dort wuchs so viel Hass in ihm heran. In Träumen, von denen er niemals jemanden erzählen wollte, stellte er sich vor wie er dem Kerl die Waffe entriss und dann. Arran schloss die Augen und stoppte. Es waren diese Gedanken warum er Jacob und Naia aus dem Weg ging. Er schämte sich für sie. Für diese Entschlossenheit, die ihn in manchen Momenten durchfuhr. Er wusste das sie es ihm beschwichtigen würden, doch was würden sie wirklich von ihm denken? Was würde Naia von ihm denken? Er wollte sich gerade abwenden, als er einen Schatten auf der Straße sah. Die Gestalt blickte zu ihm hinauf und für einen Moment schien der Glatzkopf dort zu stehen und auf ihn zu warten. Arran ballte die Faust. Überlegte vom Dach herunterzuspringen und den Kerl zu verprügeln. Ihm die Waffe zu entreißen, doch dann erkannte er, das dort nicht der Glatzkopf stand. Er starrte in Ricos Gesicht und dieser zu ihm herauf. Sie blickten sich an wie alte Liebende, die dem anderen Fremd geworden waren. Unschlüssig wie sie reagieren sollten. Warum war Rico hier? Arran wusste nicht, ob er sich rühren sollte. Sollte er Rico winken? Oder ihm was zurufen? Rico nahm ihn diese Entscheidung ab. Als wäre er zu besinnen gekommen, steuerte Rico auf die Treppe zu. Die Gestalt verschwand, doch schon wenig später hörte Arran das leise Poltern der Treppe. Es war leise genug um die anderen im Haus nicht zu wecken, doch laut genug das Arran ihn hören konnte. Und als wäre es erst gestern gewesen, stand Rico plötzlich auf seinem Dach. Wieder starrten sie sich einfach an. Einen Moment des Fremdfühlens. Arran sah wie unwohl Rico sich fühlte und plötzlich ahnte Arran warum Rico hier war. Warum er dort unten gestanden hatte. „Willst du ein Bier?" Er warf es so beiläufig in den Raum und machte sich längst auf den Weg. „Arran." Erklang endlich Ricos Stimme. Sie hatten sich seit ihrem Streit nicht wieder gesehen. Kein Wort über Whatsapp gewechselt. „Das mit deiner Mutter. Mein Beileid." Brachte der Schwarzhaarige endlich über die Lippen. Kurz stockte Arran, dann lief er einfach weiter, ehe er dem Schwarzhaarigen eine Dose hinhielt und Rico nahm sie tatsächlich an. Augenblicke später saßen sie zusammen auf den Liegen und nippten an ihrem Bier. Minutenlang saßen sie einfach nur dort ohne ein Wort zu verlieren. Es war eine angespannte Stille. Aus den Augenwinkeln blickte Arran zu seinem alten Freund und fragte sich, was er sagen sollte. Er wusste etwas. Etwas, das ihn verändern würde, wenn er es aussprach. Etwas das ihn entfremden würde. Er wusste das. Er spürte das. Es waren diese Gedanken, weshalb ihm Naia einmal sagte, er solle wegrennen. Er solle kein Kämpfer werden. Sie hatte das in ihm gesehen, bevor er überhaupt wusste, das er so sein konnte. „Du hattest Recht." Brach Arran endlich die Stille, die sie bis dahin erdrückt hatte. Rico hatte die Hände verschränkt, doch jetzt ballte er seine Hände wie zu einem harten Gebet. Presste sie regelrecht zusammen, während er auf den Boden starrte, als hätte er Arrans Mutter eigenhändig getötet. „Ich weiß ich sollte dir keine Rat geben. Ich nicht. Aber Arran. Vergiss deine Rache und geh. Bleib bei deinem Plan und verschwinde mit Naia." Bleib bei deinem Plan. Studieren. Es gab keinen Plan mehr. Er hatte weder Naia noch Jacob davon erzählt. Geschweige denn Nana oder jemand anderes aus seinem Freundeskreis, doch plötzlich brach er sein Schweigen. War es, weil Rico ihn verstehen würde, wie sonst keiner? Brauchte er sich vor Rico nicht mehr zu schämen, weil dieser längst mehr Dreck am Stecken hatte? Egal was es war. Sein Mund öffnete sich und Worte entwichem ihm. „Es gibt keinen Plan mehr." Es waren Worte, wie ein Schlag ins Gesicht und Ricos verschränkte Hände lösten sich. Er sprang regelrecht auf. „Was soll das heißen? Hey, deine Mutter würde nicht wollen das du hier blei-" „Wir wurden abgelehnt." Rico wollte ihn gerade umstimmen, als er stockte. Arran hatte seinen Satz einfach dazwischen geworfen und damit alles zunichte gemacht was Rico sagen wollte. Der Schwarzhaarige sackte wieder auf seinen Sitz und sah zu Boden. „Bei allen?" „Allen." Zum ersten Mal hatte er diese Worte ausgesprochen und es war ihm als sah er seine Träume in Scherben zerbrechen. Doch es war noch mehr. Es war als teilte er eine Last, die ihn fast zerstört hatte. „Und Naia?" Fragte Rico mit einer Ruhe, die Arran klar machte, das er unten angekommen war. „Sie weiß es noch nicht. Keiner weiß es." „Verstehe." Die Stille kehrte zurück. Sie begannen wieder an ihrem Bier zu nippen. Hoffnungslosigkeit kämpfte sich in Arran hoch. Jetzt, wo er die Wahrheit gesagt hatte. Jetzt, wo er ausgesprochen hatte, was er wusste. Erst jetzt traf ihn die Härte dieses Schicksals, doch er hatte trotzdem das Gefühl das Rico ihn wirklich verstand. Er hatte es nicht nur einfach kurzerhand gesagt. Er hatte das genau so gemeint und Arran wusste das Rico ihn verstand. „Scheiß drauf Arran. Nimmt was ihr an Ersparten habt und rennt einfach zusammen weg. Lass die Stadt hinter dir. Fangt irgendwo neu an." Nicht einmal Rico wirkte, als wäre er von diesem Satz überzeugt. „Du weißt wir haben keine Kohle." Mit wenigen Worten zerschmetterte Arran Ricos erzwungenen Optimismus. „Ich werds dir nicht sagen." Sagte Rico plötzlich und Arran sah überrascht auf. „Du hoffst ich will dich überzeugen. Will ich nicht. Ehrlich. Ich will dich dort nicht sehen. Du hast mehr drauf als ich Arran. Du hast bessere Chancen im Leben." Wollte er überzeugt werden? Hoffte er das Rico ihn bat teil seiner Scheiße zu werden? War es scheiße? Er wusste es nicht. Er wusste nur eines. „Ich habe nur noch Nana und Naia. Sie sind meine Familie. Rico ich darf sie nicht auch noch verlieren. Ich ertrag das kein weiteres Mal." Es waren die ehrlichsten Worte, in denen Arrans Tränen zu hören waren. Er konnte sie herunterschlucken. Blickte dafür fahrig herum, ehe er von seinem Bier trank. Alles um die Gefühle in sich unter Kontrolle zu halten. „Arran. Fang neu an und wenn ihr euch in einer anderen Stadt oder Land durchbetteln müsst. Denn wenn du auch nur einen Moment darüber nachdenkst mir zu folgen. Dann sollte dir eines klar sein. Du wirst nicht kämpfen und für sie da sein können. Willst du sie zur Zielscheibe machen? Willst du das sie Leid durchleben. Das sie sieht zu was du werden wirst? Die Lage ist scheiße Arran. Du hast es selbst erlebt und es tut mir leid das es dir passiert ist. Ich wünschte ich hätte bereits das verhindern können, doch es kann noch schlimmer werden. Der Kampf ist nicht vorbei. Wenn ihr bleibt, dann wirst du sie verlieren." Rico stoppte. Unschlüssig, ob er Arran das richtige gesagt hatte. So wenigstens sah er aus. Arran sah es nur am Rande. Nahm es wahr, während die Worte durch ihn hallten, wie ein wiederkehrender Schmerz. Er musste mit Naia reden. Er musste sie hier weg bekommen. Egal wie. Denn wenn das alles nichts half, er würde ihren Tod nicht in Kauf nehmen. Er konnte das nicht zu lassen. Er hatte so viel zugelassen. Hilflos vom Seitenrand beobachtet. Nicht sie. Für einen Moment war ihm egal was er werden musste um das zu verhindern. Doch dann wurde ihm klar das Rico recht hatte. Er würde zu etwas werden, das er niemals für Naia wollte. Er müsste ihr auf wiedersehen sagen. Sich von ihr Fernhalten. Er müsste sie verlieren um sie nicht zu verlieren. Langsam stand Rico auf und trat näher. Legte Arran eine Hand auf die Schulter. „Tu es nicht Arran. Ich bin nur hier, weil ich das Viertel liebe und bereit bin um es zu kämpfen. Dir ist das Viertel egal. Das weißt du." Rico klopfte noch einmal nach, dann zog er seine Hand zurück und wandte sich ab. Ließ Arran mit diesen Worten allein. Sie hatten sich nicht verabschiedet. Doch das hatten sie auch das letzte Mal nicht. Arran hatte nicht das Gefühl, das es nötig war. Weder er noch Rico legten darauf wert. Es war alles gesagt, was zu sagen war und das war mehr, als Arran hatte hören sollen..

Sein roter Himmel - Su Cielo RojoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt