Kapitel 8

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Mäx

Im ersten Moment dachte ich, sie wurde ausgeraubt. Dann verwarf ich diesen Gedanken aber wieder. Es war tatsächlich Elli, die verloren an der Hausmauer lehnte und selbst mit geschlossenen Augen pure Verzweiflung ausstrahlte. Erst auf den zweiten Blick hatte ich sie erkannt.

"Elli, ist alles okay bei dir?"

Erschrocken starrte sie mich an. Auch ich war von ihrem Anblick beunruhigt. Vor nicht einmal zehn Minuten hatte sie sich  noch glücklich von mir verabschiedet.

Meine Frage schien sie erst Sekunden später zu erreichen. "Ja, ähm." Sie räusperte sich, um dann entschlossener zu antworten: "Ja, alles okay."

"Du siehst aber nicht okay aus."

"Solltest du nicht das Chaos in der Küche beseitigen?" Sie hob eine Augenbraue und tat so, als hätte sie keine Tränen im Gesicht.

"Wurdest du überfallen?" Ich entschied ihre Frage zu ignorieren.

"Nein. - Warum bist du hier?"

Ich hielt ihr ihre Einkaufstasche entgegen. "Ich dachte mir, dass du sie vielleicht brauchst. Wenn ich dich nicht mehr erwischt hätte, dann hättest du sie am Donnerstag wieder bekommen." Auf der Tasche waren Disney's Aristocats zu sehen.

"Danke", meine sie nur, nahm mir die Tasche ab und wandte sich um. Anscheinend wollte sie gehen. Mich frustrierte es beinahe schon, dass sie sich gleich benahm, wie zu der Zeit, bevor wir beschlossen hatten eine Freundschaft einzugehen.

"Elli." Ich ging nun neben ihr her. "Was ist los?"

"Nichts." Neue Tränen glitzerten in ihren Augen. Ich hielt ihren Arm fest und brachte sie somit zum Stehen.

Ohne lange darüber nachzudenken, zog ich sie in eine Umarmung. Ich wollte sie trösten, denn was auch immer ihr Kummer bereitete, es machte auch mich ganz unrund. Doch anstatt, dass sie meine Umarmung erwiderte, oder sie es genoss, schien sich ihr Körper anzuspannen. Deswegen entfernte ich mich von ihr und betrachtete sie neugierig.

"Meine Oma liegt im Krankenhaus." Sie sprach leise. "Sie meint, ich soll mir keine Sorgen machen. Tu ich aber."

"Was hat sie denn?"

"Die Ärzte möchten noch ein paar Untersuchungen wegen ihrem Herz machen. Mehr weiß ich auch nicht." Mir tat es weh, sie so niedergeschlagen zu sehen. Ihre Oma musste ihr viel bedeuten, wenn sie um sie weinte, wo doch noch nichts passiert war.

"Im Krankenhaus ist sie in guten Händen", versuchte ich sie etwas zu beruhigen.

"Ich weiß." Sie seufzte. "Ihr darf nur nichts zustoßen. Sie ist die wichtigste Person in meinen Leben."

Wichtiger als ihre Eltern? Mir schwirrten tausend Fragen im Kopf herum, die ich aber nicht stellte.

"Ich muss jetzt los. Muss schauen, dass ich heute noch irgendeinen Zug erwische." Als sie ihren Satz beendet hatte, sah sie fast so aus, als bereute sie es ihn ausgesprochen zu haben.

"Fährst du heute noch zu deiner Oma? Denkst du, die lassen dich zu dieser Uhrzeit noch ins Krankenhaus hinein?"

"Nein und nein." Sie seufzte laut auf. "Okay, bevor du noch mehr Fragen stellst, ich fahre jetzt meine Katzen holen. Sonst verhungern sie im Haus meiner Oma. Sie bekommen heute sowieso schon viel zu verspätet ihr Abendessen. Hoffentlich randalieren sie nicht und zerstören das ganze Haus." Sie schien beinahe erleichtert, das alles ausgesprochen zu haben.

"Soll ich dich begleiten?" Elli schüttelte den Kopf. Erst dann kam mir, dass sie ja mit dem Zug fahren wollte. "Ich werde dich fahren."

"Ganz bestimmt nicht", protestierte sie.

Visible Miracle | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt