Kapitel 17

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Elli

Lisa saß auf meinem Bett, und gemeinsam lernten wir für die bevorstehende Prüfung,  die wir noch vor Weihnachten hatten. Es war Freitagabend, und Lisa war gleich nach der Uni mit mir mitgekommen. Pear hatte uns versprochen, dass sie heute wieder für uns Thailändisch kochen würde, und ich konnte es kaum noch erwarten, denn mein Magen knurrte schon bei dem Duft, der zu uns ins Zimmer hineinzog.

"Elli?"

Ich schaute zu meiner Freundin, die meinen Namen ziemlich seltsam ausgesprochen hatte. "Ja?", fragte ich daher und legte mein Buch zur Seite. Ich nahm an, dass es nichts mit der Uni zu tun hatte.

"Als wir letztens mit den anderen im Fantastica waren, da ..." Sie machte eine Pause und ich sah sie gespannt an. "Also, dieser Julian hat mich innerlich ziemlich in die Enge getrieben, und ich will nur, dass du weißt, dass es mir richtig unangenehm ist, dass ich es früher auch mit einem Mann probiert habe." Sie lächelte mich leicht an. "Meine Mama ist in dieser Hinsicht nicht einfach. Ich bin ihr einziges Kind, und sie hat mir nachdem ich mich bei meinen Eltern geoutet habe, Vorwürfe gemacht. Sie versteht bis heute nicht, was sie in der Erziehung falsch gemacht hat, und sie will doch unbedingt Enkelkinder." Lisa klammerte sich an ihre Lernunterlagen.

Ich stand von meinem Schreibtischsessel auf, und setzte mich neben meine Freundin. "Deine Mutter hat wohl noch nie etwas von künstlicher Befruchtung gehört." Ich legte meine Hand über ihre. "Aber es tut mir leid, dass deine Mutter so zu dir ist. Und, dass du einmal etwas mit einem Mann am Laufen hattest, muss dir nicht peinlich sein, denn es gehört zu deiner Vergangenheit."

"Ich weiß. Aber ich hätte mir gleich eingestehen sollen, dass das männliche Geschlecht einfach nicht zu mir passt. Stattdessen habe ich es ausprobiert, und habe lange nicht verstanden, was denn mit mir falsch ist. Meine Mama hat mich einfach anders erzogen, vielleicht hat es deswegen so lange gedauert." Lisa schaute mich an und lächelte gequält. "Wenn mein Papa nicht wäre, hätte sie mich wahrscheinlich damals, als ich es ihnen gesagt habe, aus dem Haus geworfen. Mein Papa sieht mein Outing nicht so schlimm, aber ich würde auch nicht so weit gehen, zu sagen, dass es ihm gefällt."

"Es muss ja auch nicht ihm gefallen", meinte ich. "Es ist dein Leben."

"Ja." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Ich habe jemanden kennengelernt", sagte sie dann plötzlich.

Meine Augenbrauen wanderten nach oben. "Erzähl! Ich will alles wissen."

"Ihr Name ist Johanna", begann sie. Und dann erzählte mir Lisa vollends glücklich, dass sie sich schon dreimal miteinander getroffen hätten, und dass Johanna im Tierheim angestellt war. Sie hatten sich beim Fortgehen getroffen, und sofort gut miteinander reden können.

Es freute mich meine Freundin so fröhlich zu sehen. Ich hätte ihr noch stundenlang zugehört, wäre ihre Erzählung nicht durch ein Klopfen meiner Zimmertür unterbrochen worden.

Pear stand im Türrahmen und lächelte uns an. "Das Essen ist fertig."

Auf diese Worte hatte ich gefühlt schon den ganzen Abend gewartet, und wie auf Knopfdruck knurrte auch mein Magen nochmal. Also standen Lisa und ich auf und  gingen zu den anderen dreien ins Wohnzimmer hinüber, die auch ausgelassen miteinander quatschten. Wir fanden uns schnell in das Gespräch ein, und so wurde es noch ein ziemlich netter Abend. Bis ich dann wieder alleine war und grübelnd in meinem Bett lag. Morgen würde ein anstrengender Tag werden, das wusste ich.

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"Liebling, wie geht es dir?" Meine Oma rief an. Ihr gefiel es nicht, dass ich dieses Jahr alleine war. Denn normalerweise war sie immer bei mir. Auch voriges Jahr, war ich zu ihr nach Salzburg gekommen, doch dieses Jahr schaffte ich es alleine. Es war schließlich ein Tag wie jeder andere auch.

Visible Miracle | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt