2.) Charming (Nadia)

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2.) Charming (Nadia)

In frischen Klamotten und leicht geschminkt stand ich vor meinem Spiegel im Zimmer und blickte mich an.
    Meine braungrünen Augen stachen durch den schwarzen Mascara, den Lidstrich und der Sonne die in mein Zimmer knallte, golden hervor.
Meine Haut war Braun von der Sonne Kaliforniens. Ich war schlank wie meine Mom, hatte aber einen ganz kleinen Bauch.
Meine hellbraunen langen Haare -die durchgestuft sind- Band ich zu einem Pferdeschwanz nach hinten zusammen. Ich trug eine Jeanshotpants mit Fransen und ein dunkelgraues enges Top, was meine Figur betonte. Und vor allen Dingen betonte das Grau, meine große Oberweite.
  Aus einem kleinen Notizbuch, was ich auf meinem unordentlichen Schreibtisch versteckte -da lagen noch Arbeitsblätter aus der siebten Klasse- zog ich das einzige Foto meines Vaters heraus was ich behalten hatte. Mama hatte damals vorgeschlagen - ich war 15- das wir als kleine Therapie alle Fotos von ihm verbrennen sollen, die sie von ihm hatte. Ich wollte das nicht. Ich hab das nur getan damit sich Mama gut fühlt, weil ich es nicht leiden konnte, wenn sie sich schlecht fühlt.
   Aber das von meinem 13 Geburtstag, wo er mich auf seinen Arm hält und mich angrinste -und ich ihn- das habe ich behalten. Ich suchte nach etwas, was ich mit Filip gemeinsam hatte. Er war ein wirklich gut aussehender Mann und ich hätte ihn sicherlich als Frau hinterhergeschaut. Filip hatte auf den Foto dunkelblondes fast hellbraunes Haar. Und einen leichten Bart am Kinn. Man kann es eine Art Ziegenbart nennen. Für mich sah er auf den Foto aus, als würde ich nicht der eine Fehler in seinem Leben sein. Außenstehende würden denken, dass er die ganze Zeit in meinem Leben war und ich das totale Daddy-Kind bin. Aber leider war es nicht so.
Ich blickte auf die Narbe auf der linken Gesichtsseite meines Vaters. Sie zog sich vom Mundwinkel bis fast zu seinem Ohr. Ich wusste das auch auf der anderen Seite seines Gesichtes eine Narbe war. Aber die war nicht so lang wie die andere.
Ich hatte dasselbe Gesicht, Dads zierliche Nase. Er hatte schmale Augen, aber ich hatte ein wenig größere.
    Vielleicht haben wir beide irgendwelche Macken, die wir uns teilten. Ein Lebensmittel das wir nicht mögen, gemeinsames Lieblingsbier?
    Ich erinnerte mich nur vage an meinen 13 Geburtstag, als er aufgetaucht war. Er hatte mir eine Lederjacke gekauft und dazu eine Mini-Harley in Pink. Ich hatte sie immer noch. Sie stand in meinem Zimmer, genau neben der Badezimmertür.
Seufzend faltete ich das Foto wieder zusammen und steckte es in meine Hosentasche.
Meine Reisetasche hatte ich gestern schon gepackt, also war ich abfahrbereit.
  Mit meiner Handtasche und Reisetasche bewaffnet, trat ich aus meinem Zimmer heraus und ging direkt in die Küche, wo meine Mutter am runden Holztisch saß und in der Oakland News las.
Ich stellte meine Reisetasche auf den Boden ab und legte meine Handtasche darauf.
"Willst du nicht vorher frühstücken?" Fragte Mom mich. Sie blickte von der Zeitung zu mir auf.
"Ich glaub ich mach mir nur einen Kakao. Wenn ich Kaffee trinke, werde ich nur noch nervöser."
Mama seufzte und ich konnte in ihrem Gesicht das ablesen was sie gerade dachte: "selbstverständlich das du nervös bist, da du deinen Vater von Arschloch einfach so besuchen gehst. Mach dich doch einfach darauf gefasst enttäuscht zu werden."
"Klar wenn du meinst." Sagte ich und Mama wandte sich wieder der Zeitung zu.
Ich schnappte mir meine AC/DC Tasse aus dem oberen Schrank. Dann schüttete ich mir Kakao aus dem Glas in die Tasse.
"Und du bist sicher, dass du auch ohne mich auskommst?" Fragte ich mit sarkastischen Unterton.
"Ich bin die ersten 21 Jahre meines Lebens klargekommen. Doch dann hab ich Fil kennengelernt und es ging bergab..."
"Es ist eigentlich wieder bergauf gegangen." Korrigierte ich Mom. "Du hast mich und bist aus Charming weg- zurück nach Oakland."
"Du kannst froh sein, dass das Geld was ich den Club geklaut habe, nur für Oaktown gereicht hat."
    Als Mom wusste das sie mit mir schwanger war und dann noch erfahren hat, das Filip verheiratet ist, hat sie in ihrer Nacht und Nebelaktion den Clubsafe aufgebrochen und 10 Riesen mitgehen lassen. Ich glaube die Sons wissen es heute immer noch nicht, wer es war. Aber mit meiner Mom sollte man sich lieber nicht anlegen. Das mussten schon einige erfahren. Vor allen ihre Ex-Freunde und meine Stiefväter.
"Wo wären wir dann gelandet?" Fragte ich und setzte mich gegenüber von Ma.
"Ich wäre mit dir zurück nach Deutschland geflogen. Zu meinem Vater und deinen Großvater. Er kennt dich nur von Fotos und Videos."
Als Mama 12 war, hatten sie meine Großeltern das erste Mal in ihrem Leben getrennt. Daraufhin ist Oma mit Mama in ihre Heimat nach Fresno gezogen. Als Mama ihren Highschool Abschluss gemacht hatte ist sie nach Oakland und hat da Jura studiert, bis sie und ihre beste Freundin wegen Haschischkonsum vom College geflogen sind. Und da Moms beste Freundin mit einem der Sons eine On und Off Beziehung am Laufen hatte, ist Mom mit nach Charming und von da an nahm alles seinen Lauf.
Ich weiß das Grandma Helen immer noch in Fresno lebt. Mittlerweile ist auch meine Tante von Deutschland zurück gekehrt, nachdem Großvater an Lungenkrebs gestorben war.
Grandma hatte zwischendurch wieder geheiratet. Arnie starb vor ein paar Jahren an Darmkrebs und seitdem lebt Oma in einem Pflegeheim in Fresno.
"Ich weiß." Nickte ich. "Ich kenne Grandpop auch nur von Fotos und Videos."
Ich trank einen Schluck vom Kakao und bekam fast einen Schokoladenschock. So stark schmeckte er nach Schokolade.
Mom nickte. "Und du bist dir deswegen immer noch sicher?"
Zack, hatte Momma das Thema wieder gewechselt.
"Ja, ich bin mir deswegen sicher. Auch wenn du tausend mal das Thema ansprichst, du kannst mich nicht umstimmen. Ich will nach Charming und die Chance ergreifen."
"Sorry, ich will nur nicht, dass dir etwas zustößt." Sie machte eine kurze Pause, schmunzelte und schaute dann wieder bitter. "Du bist genauso stur wie dein Alter."
"Hm, jetzt wissen wir ja, von wem ich das hab." Nickte ich.
Dann saßen wir wieder schweigend da. Mama las in der Zeitung und ich trank meinen Kakao aus, konnte an nichts denken. Einfach an nichts.
    Ich spülte die Tasse unter dem warmen Wasserstrahl aus und stellte die Tasse in die Spülmaschine.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, das es gleich neun Uhr war. Damn. Ich sollte mich mal auf den Weg machen.
"Okay, ich werde dann fahren." Verkündete ich.
Ich ging zu Ma, die die Zeitung bei Seite gelegt hat und aufgestanden war. Sofort würde ich von ihr in eine Umarmung gezogen, die ich erwiderte. Mom zitterte. Kein gutes Zeichen. Das hieß, dass sie kurz davor war in Tränen auszubrechen.
"Mensch, Ma." Murmelte ich.
"Pass bloß auf. Lass dich nicht so doof von den Bikern ansprechen..."
"Von den Bikern ansprechen... ich weiß." Sprach ich mit. "Mach ich schon nicht."
Ich drückte Ma einen Kuss auf die Wange. Sie wich meinen Blick aus, kämpfte weiter hin mit den Tränen.
"Ich bin bald wieder da. Versprochen."
Ich drückte ihr noch einen Kuss auf die Wange. Noch bevor ich es mir dann doch anders überlegte, schnappte ich mir meine Handtasche, Reisetasche und die Autoschlüssel von Moms Altem Collegeschlitten, den sie mir geschenkt hatte als ich 16 wurde und verschwand nach draußen.
    Draußen vor unserem kleinen Familienhaus, blickte ich zu dem mattschwarzen Camaro Yenko und dachte daran, das Filip den auch kennen muss. Vielleicht ist er ja auch mal damit gefahren, wenn er freiwillig auf seiner Harley verzichtet hat.
Ich warf die Reisetasche auf die Rückbank aus schwarzem Leder- meine Handtasche landete auf den Beifahrersitz.
Als ich auf den Fahrersitz Platz nahm, schloss ich mein iPhone an dem Auto an und ging auf die Navi-App. Ich tippte die Route Oakland Richtung Charming an. Das iPhone stellte ich laut und in die Autohalterung. Ich wusste das ich ein wenig südlich fahren musste. Sogesagt Richtung Fresno. Aber dann auch nicht zuuuuuuu weit südlich. Charming lag zwischen Lodi und Stockton.
    Eine Stunde und 34 Minuten vergingen und dann sagte die Sprecheinlage in meinem iPhone: "Sie haben ihr Ziel erreicht."
Und die Stimme hatte Recht. Nur keine Sekunden später tauchte vor mir ein Holzschlild auf. Es war eher eine Holzscheibe.

Charming - Our Name Says It All!

Stand dort eingeritzt. Ein kleines zufriedenes aber müdes Schmunzeln überkam meinen Lippen. Ich war hier. Hier in Charming. Und jetzt musste ich nur noch dieses Clubhaus der Sons of Anarchy finden. Meinen Vater.

[1] Lean On Me [SOA] ✔️. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt