4.) Lass die Hose an (Nadia)
Nur nach sechs Minuten (wir mussten wegen dem Yenko langsamer fahren) fuhren wir eine kleine Einfahrt hinein.
Das erste was mir in die Augen sprang war die Werkstatt. Teller-Morrow. Vor der Werkstatt standen einige Autos. In der Werkstatt arbeiten gerade zwei Mechaniker, in grauen Arbeitskutten je an einem Auto. Erst dann sprangen wir die vielen Harleys die alle fein säuberlich nebeneinander geparkt in einer Reihe standen auf. Dann der Sportwagen von Gemma. Von ihr aber war nichts zu sehen.
Der Abschleppwagen hielt vor der Werkstatt. Dann verstummte der Motor und wir drei stiegen aus. Eins fragte ich mich aber schon. Welcher normale Mensch heißt Half-Sack, oder war das ein bescheuerter Spitzname?
Die Frage brannte mir solange unter den Fingernägeln, bis ich um den Wagen herum gegangen war und zu einem weiteren Gebäude blickte. Nein, nicht das Gebäude hatte es mir angetan, sondern einer der vielen Schriftzüge war es, was mich zusammenzucken ließ. In weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund stand tatsächlich: SONS OF ANARCHY.
Neugierig blickte ich mich um. Sah aber außer den typischen Bikern mit Walross-Bart und Bierbauch niemanden.
"Du müsstest nur ins Büro, um bei Gemma die ganzen Papiere auszufüllen." Sagte der mit dem Iro und stellte sich dicht vor mich.
Erst jetzt nahm ich seinen gut riechenden Aftershaveduft war, was leichte Schwindelgefühle bei mir auslöste. Verdattert blickte ich zu ihm und nickte.
"Ich glaub die brauchst du noch?" Sagte er und hielt mir die Reisetasche unter die Nase. Darauf lag mein iPhone.
"Ja, danke." Sagte ich höflich und nahm ihn die Sachen ab. "Wie lange wird das mit dem Wagen dauern?" Fragte ich während ich mein iPhone in meine Hosentasche steckte.
Ich sah zu wie Half-Sack mit der Steuerung des Abschleppers überfordert war.
"Wir haben viel zu tun. Aber ich nehm den Morgen bei meiner Schicht als erster dran, weil du so nett bist."
"Daran liegt es also." Grinste ich. "Vielleicht..." Gab Juice verlegen zu. "Zwei oder drei Tage, werden es trotzdem sein. Brauchst du ein Ersatzwagen, oder so?"
"Nee, ich muss nur zu 'Mansons Motel'."
"Okay, ich bring dich zu Gemma und dann ruf ich dir ein Taxi."
Auch wenn ich das Büro ganz alleine gefunden hätte, konnte ich seine Hilfe einfach nicht abschlagen.
Ich warf noch mal einen Blick zur Schulter. Direkt zu Half-Sack.
"Du kannst ihn alleine damit lassen, ohne das mein Auto gleich in Schrott verwandelt wird?" Flüsterte ich zu ihm rüber.
Der Mann drehte sich auch um. "Nah, der packt das schon." Winkte er ab und wir gingen weiter.
"Wieso heißt der überhaupt Half-Sack?" Fragte ich irritiert.
"Das musst du ihn schon selber fragen." Grinste er und öffnete die Tür zum Büro. Er trat als erstes ein. Ich drehte mich noch mal zu den Harleys und gab's seufzend auf.
"Hey, Gem. Kannst du mit ihr den Papierkram erledigen?" Hörte ich ihn fragen.
"Die Kleine mit dem Yenko?" Stellte Gemma die Gegenfrage.
"Japp, die." Sagte ich und trat ein.
"Okay, dann ruf ich dir ein Taxi." Meinte er und lief erstmal leicht verpeilt gegen das Regal. Der schräge Papierturm kippte vom Regal und rieselte auf den Boden.
"Juice!" Mahnte Gemma.
"Sorry, seit wann steht das Ding da?" Fragte er gereizt aber das nur weil er peinlich berührt war.
"Seit der Eröffnung dieser Werkstatt." Meinte Gemma belustigt. Ich half Juice dabei die Zettel aufzuheben.
"Ich mach das schon. Ich mach das schon." Sagte er und nahm mir die Blätter ab.
"Okay." Meinte ich, nachdem wir auch noch mit der Stirn aneinander geditscht waren und stellte mich wieder gerade hin, wandte mich zu Gemma.
"Trotzdem Danke." Sagte Juice mit leicht rotem Kopf, legte die Blätter auf den Regal zurück. "So jetzt ruf ich dir ein Taxi, falls ich nicht wieder irgendwo gegen laufe." Lachte er nervös.
Damit war er aus dem Büro verschwunden und ich wandte mich wieder zu Gemma, als die Tür zu fiel.
"Setz dich." Bat sie mich.
"Okay." Nickte ich und stellte meine Sachen ab.
Es ging eigentlich ganz schnell, die ganzen Papiere auszufüllen und meine ID-Card zu scannen.
Zwischendurch war Juice aufgetaucht und hat gesagt, dass mein Taxi erst in zwanzig Minuten da sein wird. Früher ginge es nicht. Ich bedankte mich wieder bei ihm.
Er wäre fast wieder gegen den Regal gelaufen, aber hat noch die Kurve gekriegt. "Nicht mit mir!" Grummelte er, lief dann aber gegen die Tür, was mich zum Lachen brachte. Gemma schaute belustigt zu mir.
"Dann bringt dich das Taxi zu deinem Vater. Kann er dich nicht abholen."
"Er weiß nicht das ich da bin. Ist ne Art Überraschungsangriff."
Es klopfte an der Tür die wenige Sekunden auf ging. Eine Frau in Blazer steckte ihren Kopf durch die Tür. "Entschuldigung, dauert das noch lange. Ich will mein Auto abholen."
"Ja wir sind eh fertig." Meinte Gemma höflich.
Ja waren wir. Ich schnappte mir meine Taschen und die Blazer-Frau mit dem A-Körbchen öffnete die Tür ganz. Sie ließ mich aus dem Büro raus gehen und musterte mich skeptisch. Dann schüttelte sie ihren Kopf und machte die Tür hinter sich zu.
Was eine dumme Blazer-tragende Kuh. Half-Sack schob mein Auto neben die anderen und ich kam mir verloren vor. Ich setzte mich auf eine Bank vor der Werkstatt und blickte wieder zu den Harleys.
Juice parkte den Abschleppwagen um, direkt neben Gemmas Sportwagen. Als er ausgestiegen war, steuerte er direkt mich an.
"Siehst gelangweilt aus." Bemerkte er fröhlich grinsend und ließ sich neben mich auf die Bank nieder. Aus seiner Hosentasche holte er eine Zigarettenschachtel hervor und hielt sie mir hin.
"Nein, danke. Nichtraucher." Winkte ich nett ab.
"Okay, richtige Einstellung." Lobte er mich und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
"Ich will ja nicht an Lungenkrebs drauf gehen." Fügte ich noch hinzu. Gerade als Juice sich die Zigarette anstecken wollte, klappte er das silberne Feuerzeug zu und steckte es weg. Dann schmiss er Zigarette und Schachtel in den Metallmülleimer neben sich.
"Hast recht. Früh an so was zu sterben ist kacke. Ich sollte wirklich mal aufhören." Sagte er nachdenklich.
"Das ist die richtige Einstellung." Gab ich zu.
Juice nickte. "Was bringt dich nach Charming?"
"Mein Dad." Antwortete ich.
"Und dann pennst du in einem Motel." Juice schien aus der Sache nicht ganz schlau zu werden.
"Ja, er weiß ja noch nichts von seinem Glück oder seinem Pech." Murmelte ich.
"So kompliziert?" Fragte er mitfühlend.
"Kann man sagen." Sagte ich und schluckte leicht.
"Dann wünsch ich dir viel Glück das das alles gut verläuft."
"Danke dir." Sagte ich.
"Das ist selbstverständlich." Juice machte eine Pause und ließ seinen Blick zu meinem Yenko schweifen. "Cooles Ding. Ist zwar alt, aber trotzdem cool."
"Den hat mal meiner Ma gehört..." Sagte ich und blickte zu meinem Yenko, der mal wieder seinen Geist aufgegeben hatte.
"Ist sie... tot?" Fragte Juice und blickte mich mit seinen brauen Augen mitfühlend an.
"Nein." Sagte ich belustigt. "Das jeder glaubt, dass sie tot ist... Sie hat mir den Yenko zum 16ten geschenkt."
"Achsooooo." Sagte Juice und kratzte sich am kahlen Hinterkopf. Ich blickte auf sein Unterarm und erkannte ein Tattoo. Ein Totenkopf, der in seiner knochigen Hand eine Kugel mit einem Anarchisten A hielt. Und in der anderen ein Gewehr, dessen Lauf eine blutige Axt war. Das Anarchisten A. Er könnte doch nur zu den Sons gehören. Also kannte er wie jeder hier meinen Vater.
"Hast du auch welche?" Fragte Juice, der bemerkt hatte, das ich auf das Tattoo blickte.
"Ein paar. Was bedeutet das?" Fragte ich und wollte auf Nummer sicher gehen.
"Wenn ich dir das sage, läufst du angsterfüllt von mir weg." Sagte er verspielt.
"So schnell laufen kann ich auch wieder nicht. Es sei denn es gibt irgendwo reduzierte Klamotten oder ich bin in Schwierigkeiten." Grinste ich. Juice lachte leise.
"Okay, das ist das Zeichen von dem MC in dem ich bin."
"Du in einem MC? Du siehst aus wie einer, der wenn er Welpen sieht im positiven Sinne die Fassung verliert."
"So sehe ich für dich aus, ja?" Fragte er und zog die dunklen brauen zusammen. Er konnte sich kein schmunzeln verkneifen.
"Bin ich vor dir weggelaufen?" Stellte ich die Gegenfrage.
Juice schüttelte seinen Kopf. "Und die Tribals, warum hast du die?"
"Ach die. Ich hatte Geburtstag, wir hatten gefeiert und am nächsten Tag hatte ich die Dinger auf meinem Kopf."
"Oh." Lachte ich amüsiert. "Und den Iro?"
"Den hab ich seit ich elf bin." Grinste er.
"Wie wäre es, wenn du mal arbeitest, anstatt mit der Kundin zu flirten." Sagte Half-Sack und stellte sich vor uns.
"Sie sitzt hier alleine, reg dich ab. Ich nehm ihr nur die Langeweile." Rechtfertigte Juice sein Vergehen.
"Wieso heißt du überhaupt Half-Sack?" Fragte ich einfach gerade aus.
"Mir wurde ein Ei weggeschossen." Antwortete er als wäre es das normalste der Welt. Erschrocken blickte ich ihn an und nahm gar nicht wahr, dass er gerade dabei war, in aller Öffentlichkeit seine Hose runter zu lassen.
"Gott verdammt, lass die Hosen an, Mann!" Rief Juice.
"Was, sie wollte es sehen." Sagte Half-Sack.
"Ehrlich gesagt hm-Hmm." Sagte ich kopfschüttelnd und blickte Half-Sack angestrengt ins Gesicht, weil die Hose gerade -plus Boxershorts- runtergerutscht war.
Juice schüttelte seinen Kopf und ließ diesen dann hängen.
"Hey, zieh die Hose wieder an!" Sagte Juice höflich aber man konnte Ungeduld und leichte Gereiztheit heraushören.
"Willst du's echt nicht sehen?" Vergewisserte Half sich noch mal.
"Pack bitte dein einziges Ei ein. Damit ist allen geholfen." Bat ich.
"Okay. Gut." Sagte er und zog sich die Hose wieder hoch. "Das Angebot steht aber noch."
Damit ließ uns Half-Sack wieder alleine.
"Ich bin mir gaaaanz sicher, dass ich es nie annehmen werde." Murmelte ich.
"Ich muss mich für ihn entschuldigen." Sagte Juice und blickte zu mir. Ich war noch immer leicht verstört und seufzte ein: "Okay."
"Er ist ein Idiot." Redete Juice weiter. "Ich meine, ich hab Mitleid mit ihm, weil er nur ein Ei hat. Aber es gleich jeden wortwörtlich ins Gesicht zu klatschen..." Juice schauderte und ich lachte leise.
"Hitler hat auch nur ein Ei, mit dem hat keiner Mitleid... Könnten wir das Thema wechseln, sonst verfolgt mich das noch im Schlaf, Juice." Bat ich.
"Okay, wie heißt du überhaupt?"
"Nadia." Sagte ich und hielt ihm lächelnd die Hand hin.
"Wie du vielleicht schon mitbekommen hast, heiße ich Juice." Gab er grinsend zurück und legte seine große Hand vorsichtig in meine. Wir schüttelten kurz die Hände und er war beeindruckt von meinem Handdruck. Da ich ein ziemlich zweideutiges Gedächtnis hatte, musste ich lachen. Juice war zunächst verwirrt und lachte dann auch.
"Okay, deine Zweideutigkeit reagiert schneller als meine." Sagte er und hatte es anscheinend auch kapiert.
"Als ob du gerade nicht an etwas Zweideutiges gedacht hast, als ich zugedrückt habe."
Juice wurde leicht rot. "Okay, erwischt. Aber du hast wirklich einen festen Händedruck. Man, beeindruckend."
"Tja, Übung macht eben die Meisterin." Sagte ich und sah wie ein gelbes Taxi sich langsam näherte. Juice schaute mich verblüfft und schockiert gleichzeitig an, musste dann aber frech Grinsen. Als das Taxi hupte, sprang ich auf und schnappte mir meine Taschen.
"Dann bis die Tage, Juice." Sagte ich und drehte mich lächelnd zu ihm um.
Er grinste breit und erst jetzt fiel mir das Glänzen in seinen Augen auf.
"Hat mich gefreut, Nadia!" Gab er zurück. Aus dem Taxi dröhnte mexikanische Musik, als die Tür auf ging und der Taxifahrer mir meine Reisetasche abnahm um den Kofferraum zu stecken. Ich setzte mich auf den Rücksitz. Als der Taxifahrer drehte, um den Hof zu verlassen, schaute ich noch mal ganz heimlich zu Juice, der seinen Blick auf dem Taxi nicht abwenden konnte. Gemma schlich sich neben ihn und schaute ebenfalls auf das Taxi, stämmte ihre Hände in die Hüften und sagte irgendwas. Da Juice nur aufs Taxi konzentriert war, fuhr er erschrocken herum und wäre fast über seinen eigenen Füße gestolpert. Grinsend wandte ich meinen Blick auf das Handy in meiner Hand. Ich überlegte ob ich Mama jetzt eine SMS schreibe oder das ich die vom Hotel aus anrief. Ich entschied mich fürs letzte und genoss die kurze Fahrt zum Motel.
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[1] Lean On Me [SOA] ✔️.
FanfictionLean On Me hält sich an die erste Staffel von Sons of Anarchy und dreht sich um Nadia Kramer, die sich eines Tages auf den Weg nach Charming eine kleine Stadt in Nord Kalifornien begibt, um ihren richtigen Vater kennenzulernen. Als sie in Charming a...