Kapitel 4

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Der Abend ist noch nicht vorbei. Es ist erst kurz nach 20:00 Uhr, die Mädchen haben noch viel Zeit, bevor sie ins Bett müssen. Aber der langweilige Horrorfilm und Enids nicht gerade unangenehme Position machen Wednesday müde, wobei sie sich einredet, dass es eher an ersterem liegt.

Irgendwann schließt Wednesday dann entspannt die Augen, will aber wach bleiben. Das klappt eher nicht. Enids ruhige Atmung und die nun angenehme Stille (Der Film ist zu Ende und der Laptop ist dann ausgegangen, weil ihn niemand benutzt hat) wiegen Wednesday sanft in einen traumlosen Schlaf...

Als Wednesday am nächsten Tag aufwacht, sehen ihre Augen das knallbunte Lesbian-T-Shirt von Enid. Erschrocken reißt sie sie noch weiter auf und zuckt zurück, um die Situation in Augenschein zu nehmen. Sie, Wednesday, liegt in Enids Arm und sie kuscheln. Ein Kribbeln breitet sich in ihr aus und ein Wärmestrom durchzuckte sie wie ein Blitz. Das Gefühl ist positiv... Es ist positiv. Ich empfinde das als... gut. Wednesday kann kaum glauben, was sie da fühlt und denkt. Wie unangenehm...

Wednesday steht auf um zu duschen. Im Bad löst sie ihre pechschwarzen geflochtenen Zöpfe und stellt sich nackt unter das Wasser, welches so kalt ist wie ihre Persönlichkeit. Das frische Wasser klärt ihren Kopf und umnebelt ihn nicht, wie bei heißem Wasser. Wednesday hat gerne einen klaren Kopf, aber zurzeit muss sie viel verarbeiteten und nachdenken. Bin ich krank? Was sind das für... Symptome, die ich aufweise? In Enids Anwesenheit wird mir übel und heiß und mein Körper prickelt, wenn Enid ihn berührt... Bin ich allergisch gegen Werwölfe?

Wednesday würde gerne ihren Kopf gegen die Wand schlagen, aber Enid würde das hören und dann nachfragen, was passiert wäre. Das will sie nicht riskieren. Also geht sie einfach aus der Dusche und wickelt sich in ein Handtuch ein, welches gerade so das nötigste Bedeckt. Wednesday schaut in den Spiegel. Ihre offenen Haare hängen seitlich von den Schultern herunter und kleben an ihrem Körper. Ich werde Enid nicht sagen, dass ich womöglich allergisch gegen sie bin. Das würde sie verletzen.

Kann sie Gedanken lesen? fragt Wednesday sich, als Enid wie gerufen hereinkommt. Und das zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden. Dann realisiert sie die Lage. Enid steht halb nackt vor ihr, sie ebenfalls halb nackt. Sie starren sich an. Enids blaue Augen scheinen den ganzen Raum zu füllen und Wednesday bekommt einen Luftmangel. Es ist wahr! Ich ertrinken hier in ihrem herrlichen Blau! Dann merkt sie, was der eigentliche Grund ist und atmet aus. Und bevor noch irgend etwas passieren kann, geht Wednesday aus dem Bad, schließt die Tür, zieht sich an und geht zum Wochenend-Frühstück. Als sie draußen im Pentagon - sie weigert sich, es "viereckiger Hof" zu nennen - einen Platz gefunden hat, atmet sie zittrig ein und aus. Ich. Habe. Vergessen. Zu. Atmen. Denkt sie immer wieder. Das Frühstück ignoriert sie völlig.

Dann kommt Enid auf den Hof. Die meisten Plätze sind schon besetzt, es scheint nur noch neben Wednesday ein Platz frei zu sein. Wahrscheinlich finden die Leute sie zu gruselig. Enid anscheinend nicht. ,,Kann ich mich zu dir setzen?“ fragt sie hinter Wednesday. Diese nickt geistesabwesend und legt ihre Hände rechts und links neben ihren leeren Teller. ,,Hast du keinen Hunger?“ fragt Enid sie, während sie sich ein Brötchen nimmt. Wednesday schüttelt den Kopf. Ihr ist nicht nach reden. Ihr ist übel. ,,Hey, es tut mir leid, was im Bad passiert ist. War ne ziemlich peinliche Aktion...“ ,,Ist okay.“ Wednesdays Stimme ist kalt und emotionslos. Enids gute Laune lässt sich dadurch nicht herunterziehen. Die ganze Zeit plaudert sie fröhlich mit Ajax, der neben ihr sitzt. Wednesday würde ihm gerne ein Messer in die Brust stechen. Mehrmals.

Ein Gefühl an ihrer Hand lässt sie hochfahren. Enids Hand berührt ihre ganz Sachte, während sie mit Ajax redet. Wednesday ist wie verzaubert von Enids wunderschöner, makelloser Hand. Ihre Nägel sind perfekt lackiert, die Farbe hat nicht einmal die Haut drumherum erwischt. Fasziniert beobachtet Wednesday den Beweis von Enids Übung mit Nagellack. Wednesdays Nagellack ist nicht schlechter aufgetragen, aber Enids ist eine wahre Kunst mit mehrmaligem Auftragen mit verschiedenen Farben. Ihre Haut ist im Vergleich zu Wednesdays heller, was fröhlicher wirkt. Kein Makel verunstaltet Enids wunderschöne Hand.

Erschrocken über sich selbst steht Wednesday auf. ,,Wednesday?“ fragt Enid, die ebenfalls davon aufgeschreckt wurde. ,,Ich gehe in den Wald. Hier sind zu viele Menschen.“ Enid nickt. ,,Kann ich mitkommen?“ Wednesday überlegt. ,,In Ordnung.“

Beide stehen auf und verlassen das Nevermore-Schulgelände.

WenclairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt