Kapitel 48

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Die nächsten Tage vergehen quälend langsam. Der Unterricht scheint doppelt so lang zu sein als normal und in mir breitet sich eine Müdigkeit aus. Die letzten Nächte habe ich nicht so gut oder lange geschlafen und heute kann ich kaum die Augen offen halten. Jeder braucht Schlaf, das kann ich nicht leugnen, aber ich bin schwach und kann nichts dagegen tun. Alpträume plagen mich, in denen schreckliche Dinge passieren, Sorgen und Ängste schnüren mir Nachts die Kehle zu. Aber das ist ein Problem, welches ich allein bewältigen muss.
Den Nachmittag verbringe ich mit Schreiben, denn Enid unternimmt heute etwas in Jericho mit ein paar Freunden.
Und als es endlich Abend ist, lege ich mich ins Bett. Aber wie erwartet kann ich noch lange nicht einschlafen. Und als es dann endlich so weit ist, suchen Alpträume mich heim und ich wache mehr als dreimal auf. Jedes Mal in Schweiß gebadet.
,,Kann die Woche nicht einfach Vorbeigehen? Kann es nicht einfach losgehen? Ich kann das nicht mehr lange durchhalten...“ flüstere ich mir in einer Nacht zu. Gebe ich auf? Gebe ich, Wednesday Addams, die in etwa allem gut ist, auf, weil sie nicht schlafen kann? ,,Nein... Ich schaffe das.“ Ich atme tief durch. ,,Ich bin Wednesday Addams und kein depressiver Teenie. Ich kann alles schaffen.“
Ich gehe duschen und lege mich dann wieder zu Enid. Unbewusst presse ich mich eng an sie, dass wohl kaum ein Blatt Papier zwischen uns passt. Ich ziehe Arme und Beine an und bin so ein Ball in ihren schützenden Armen. Ich atme tief ein und aus und schlafe langsam ein.





Ein kalter Wind weht durch das offene Fenster und lässt mich zittern. Ich schlage die Augen auf und merke, dass Wednesday nicht bei mir ist. Schnell ziehe ich mir etwas warmes an, um nicht mehr länger zu frieren, dann gehe ich auf den Balkon und stelle mich zu Wednesday. ,,Guten Morgen,“ lächele ich warm. Doch Wednesday ist sehr beunruhigt.
,,Schon eine Stunde und 43 Minuten stehe ich hier und habe die Wolken beobachtet. Anfangs waren sie milchig-grau, wurden dann größer und dunkler und jetzt... Jetzt schneit es.“ Zunächst verstehe ich ihre Beunruhigung nicht, doch dann begreife ich: Ab jetzt kann es jederzeit so weit sein. In Wednesdays und Xaviers Visionen war Schnee, als der Kampf stattfand, das heißt, dass es jetzt die Zeit reif ist.

Wednesday ist noch fertig. ,,Sie sind hier, wusstest du das? Da hinten im Wald hat es immer geraschelt und geknurrt, dann konnte man die ersten Gestalten erkennen. Sie haben die Schule umstellt, warten auf die Dunkelheit. Heute gibt es keine Patruillen draußen. Alle haben sich drinnen postiert, jederzeit bereit. Und sobald es dunkel wird...“ Sie macht eine lange Pause, atmet langsam und tief ein, schnippst mit den Fingern, als wäre das irgendein Signal und sagt: ,,sobald es dunkel wird, gehen wir nach draußen. Alles steht fest. Heute Nacht ist es soweit.“ Sie drückt sich vom Geländer ab und macht Anstalten, wieder rein zu gehen. ,,Warte!“ Ich greife nach ihrem Handgelenk und ziehe sie zu mir. ,,Falls etwas passieren sollte...“ Ich nehme ihre Hüften, ziehe sie näher heran und küsse sie sanft. Falls heute unser letzter gemeinsamer Tag ist, dann will ich ihre Lippen noch wenigstens ein letztes Mal spüren.

Das erste, was sie nach unserem Kuss sagt, ist: ,,Ich werde alles tun, dass du nicht stirbst. Und wenn es mein Leben kostet.“ ,,Sag das nicht!“ Ich umarme sie voller Liebe, sie erwidert sie nicht, aber das ist egal. Wir beide brauchen das. ,,Du bist müde, das weiß ich. Und wenn du Schlafmangel hast, kannst du nicht kämpfen. Ruh' dich aus.“ Sie schüttelt kräftig den Kopf und drückt sich von mir weg. ,,Nein!“ ,,Wieso? Du brauchst den Schlaf.“ ,,Ich...“ ,,Was ist los?“ ,,Enid... Jede Nacht werde ich von Alpträumen geplagt. Ich kann nicht schlafen. Wenn ich jetzt schlafe, und wieder... träume, dann werde ich erst Recht nichts schaffen können. Mach dir keine Sorgen um mich. Bitte.“ Sie atmet tief durch, als habe sie etwas losgeworden, dass sich wie eine eisige Kralle um sie geschlungen hat. ,,Erzähle mir davon.“ fordere ich sie auf. ,,Nein. Nicht jetzt. Es gibt viel zu tun, komm mit. Wir essen jetzt etwas und dann beraten wir uns mit Bianca und den anderen.“ Ich seufze, sie wird wahrscheinlich nie einen Teil ihres kühlen Stolzes ablegen. Ich liebe sie trotzdem - bis ins Mark meiner Knochen.

Nach dem Essen treffen wir uns mit Bianca, Yoko, Divina, Kent, Eugene, Xavier und Ajax. Xavier und Wednesday werden sich gelegentlich Blicke zu, aber das hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Wir unterhalten uns. ,,Wir sind umstellt, das heißt, sie können von überall her angreifen.“ Wir reden lange, aber finden keine Lösung, außer geradewegs in den Wald zu gehen. Es wäre zu gefährlich, in der Schule zu kämpfen wegen der Einsturzgefahr. Ein Brüllen aus dem Wald unterbricht uns. Es ist erst Mittag, aber die Sonne wird früh untergehen und sobald es dunkel ist, kann der Feind mit den Schatten verschmelzen.

,,Bianca! Bianca! Zwei von ihnen sind direkt vor dem Eisentor. Sie beobachten uns und Brüllen die ganze Zeit.“ Ein kleines Mädchen mit Fangzähnen stürmt auf Bianca zu und diese nimmt das Kind schützend in den Arm. Kent und Ajax werden mit Divina zu euch gehen. Ist das okay?“ Letzteres fragt sie die drei ausgewählten Personen, welche nicken und dem Mädchen zum Eingang folgen. ,,Wer war das?“ Frage ich neugierig. ,,Das war Sophia, sie ist ein Mischling aus Vampir und Werwolf.“ ,,Verstehe. Alles klar...“ ,,Wednesday, beobachtest du den Wald weiterhin?“ ,,Mache ich.“ Bianca fährt fort: ,,Enid, die Werwölfe brauchen dich. Noah hat dort das Kommando.“ ,,Wer ist Noah?“ fragen Wends und ich gleichzeitig. ,,Der zuverlässigste Werwolf, den man finden kann. Groß, kräftig, dunkelbraune Haare, du erkennst ihn, wenn du ihn siehst. Er wird dir eine Aufgabe geben.“ ,,In Ordnung.“ Wednesday wirft mir einen vielsagende Blick zu, der in etwa so viel heißt: Stirbst du, töte ich dich! Rein theoretisch ist das nicht möglich, aber ich nicke ihr trotzdem beruhigend zu.

Dann gehe ich zu den Werwölfen auf den Hof. Sämtliche Wölfe trainieren und ein großer junger Mann weist alle an. Die sonst so kopflosen, verspielten Wölfe sind geordnet und diszipliniert. ,,Enid. Schön, dass du dich uns anschließt. Wir dehnen unsere Muskeln ein letztes Mal vor dem großen Kampf.“ ,,Verstehe. Ich mache mit.“ Ich muss ohnehin Adrenalin loswerden.

Stundenlang üben wir, dann kommen langsam andere Leute zu uns und wir üben, in bunten Truppen zu trainieren. Es klappt gut, anfangs sind wir holprig, aber wir lernen schnell, uns an unsere jeweiligen Fähigkeiten anzupassen.
Schließlich ist es so weit. Die Sonne geht unter. Zeitgleich ertönt ein Brüllen aus hunderten von Monsterkehlen.

WenclairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt