Geliebter Sohn | Kapitel 30.

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Geliebter Sohn | Kapitel 30.

Gwi-nam, zwei Tage vor dem Ausbruch

Er rannte, rannte so schnell er konnte, wobei er sich verzweifelt nach einem geeigneten Versteck umsah. Schwer atmend und bereits vollkommen durchnässt vom vielen Regen bog Gwi-nam in die nächstgelegene Seitengasse eines doch schon recht heruntergekommenen Kiosks. Schnaufend lehnte sich der großgewachsene Junge an die kalte Hauswand, er brauchte einen Moment um zu verschnaufen und um das ebene Geschehen zu verarbeiten.

Wie konnte dieser dämliche Jin-su nur diesen Sturz überleben? Das ganze grenzt ja schon an ein Wunder. Wie dem auch sei, spätestens im Krankenhaus würde der Junge tot sein, nicht unbedingt das, was Gwi-nam wollte, aber besser so, als wenn Jin-su ihn wieder verpfeifen würde. Grübelnd betrachtete Gwi-nam seine Handinnenflächen, sie zwirbelte immer noch etwas, aber genau das war es, was ihn so gut fühlen ließ. Ein perfides Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht, als er an das Knacken der Knochen des Jungen dachte, wie Jin-su mit verheulten Augen um Gnade winselte und verzweifelt versuchte, sich zu wehren.

So schnell wie sein Grinsen kam, so schnell verschwand es auch, als er mit müden Augen auf sein Handy starrte. Er hatte etliche Nachrichten von Myeong-hwa und Chang-hoon, doch das eigentlich schlimmste für Gwi-nam war der verpasste Anruf seines Vaters. Der Junge schluckte schwer, so ungern er auch wollte, aber es war an der Zeit, nach Hause zu gehen und sich endlich seinem Vater zu stellen. Gwi-nam konnte nicht länger bei Hyeon-ju unterkommen, die Gefahr war einfach zu groß, dass Myeong-hwa es herausfinden würde. Myeong-hwa und Hyeon-ju hatten zwar gerade so etwas wie eine Beziehungspause, welche Gwi-nam auch gekonnt ausnutzte, aber mal ehrlich, Myeong-hwa kommt letztlich endlich eh immer wieder bei ihr angekrochen. So sehr Gwi-nam die Zeit und vor allem das Ficken mit ihr auch genossen hatte, es war an der Zeit endlich seinen Mann zu stehen.

Mit seinen Händen in den Hosentaschen schlenderte er müde durch die Straßen von Hyosan. Die Stadt war bereits vollkommen von der Dunkelheit verschlungen worden. Die Straßen waren weitestgehend leer, nicht sonderlich belebt, was vermutlich dem Unwetter zu schulden kam. Auch in der Wohnanlage war alles erschreckend ruhig, es brannte nirgendwo mehr Licht und Gwi-nam konnte regelrecht seinen eigenen Herzschlag hören. Mit leicht zittrigen Händen nestelte er am Schloss der Haustür, Gwi-nam war sichtlich überrascht. Sonst war es so, dass sein Vater das Türschloss auswechseln ließ, sobald Gwi-nam für mehrere Wochen verschollen blieb.

Langsam, fast schon wie in Zeitlupe zog Gwi-nam seine schwarz weiß karierten Schuhe aus, kaum als er das Haus betrat. Er zögerte im ersten Moment, entschied sich dann aber doch dazu, seine Schuhe vorsichtig ins Regal zu seinen anderen Schuhen zu stellen. So weit, so gut, dachte er. Wie spät es wohl schon sein mochte? Er wusste es nicht. Ob sein Vater schon schlief? Mit Sicherheit. Schließlich musste er morgen früh raus und wieder irgendwelchen Geschäftsleuten auf den Sack gehen.

Mit lautlosen Schritten schlich er durch den kalten und dunklen Flur der Wohnung. Gwi-nam schluckte schwer, als er vor der verschlossenen Küchentür stand. Jetzt heißt es, konzentrieren und bloß keine hektischen Bewegungen machen! Er holte noch einmal tief Luft, bevor er seine Hand auf den runden Türknauf legte und diesen ganz langsam drehte. Lautlos, ohne jegliches Knarren oder Quietschen, ließ sich die Tür problemlos öffnen, er öffnete die Tür einen kleinen Spalt breit und kurz darauf erstarrte Gwi-nam, als ihm der Geruch von Zigaretten und Whiskey entgegen peitschte. Sofort schossen ihm die Tränen in die Augen, als er enttäuscht feststellen musste, dass noch Licht in der Küche brannte. Mit glasigen Augen ließ er seinen Blick durch die Küche gleiten, bis sein Blick am Küchentisch verweilte. Weitere heiße Tränen stiegen in ihm auf, als er den breiten Rücken seines Vaters erkannte.

»Setz dich.« hörte er die tiefe, kratzige Stimme seines Vaters sagen.

Noch immer starrte Gwi-nam auf das breite Kreuz seines Vaters. Am liebsten wollte er umkehren, einfach weglaufen und am besten nie wieder kommen. Doch was würde es ihm bringen? Wo sollte er hin? Joo-won war keine Option, er war zu sehr mit den Vorbereitungen seines Restaurants beschäftigt. Überhaupt glaubte Gwi-nam sich zu erinnern, dass der Gute zurzeit ein volles Haus hatte. Wieso wusste er nicht mehr. Gwi-nam hatte es vergessen. Zu lange war das letzte Gespräch mit Joo-won bereits her. Zögerlich schlich Gwi-nam um den Küchentisch herum, nur um dann mit kleinen Schritten an den Tisch heranzutreten, ehe er sich seinem Vater wie befohlen gegenüber setzte. Er ließ einen heimlichen Blick durch die Küche bis hinüber zum offenen Wohnzimmer schweifen. Es schien, als hätte selbst die Reinigungskraft das Handtuch geschmissen und sich auf und davon gemacht. Die Bude war das reinste Chaos, überall stand schmutziges Geschirr herum und es lag dreckige Wäsche wahllos auf dem Boden. Gwi-nam erstarrte regelrecht, als er seinen Blick über den Küchentisch schweifen ließ. Prompt rutschte ihm sein Herz in die Hose, als er einen Brief mit gelbem Umschlag neben der Whiskyflasche seines Vaters entdeckte.

All Of Us Are Dead | Nur dieses eine Leben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt