Hyosan-Oberschule | Kapitel 2.

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Hyosan-Oberschule | Kapitel 2.

Lydia 

Die Dinge, die Lydia in Deutschland erleben musste, haben Spuren hinterlassen. Sie wollte ihre Vergangenheit zurücklassen und in Südkorea wie von neu angefangen. Jedenfalls war es das, was sie sich stets einzureden versuchte …

Wäre es nach ihr gegangen, hätte ein Schulwechsel allein wahrscheinlich schon vollkommen gereicht. 

Die Sache mit gestern Abend lag ihr noch immer wie ein Stein im Magen. Es brachte nichts, sich weiterhin deswegen verrückt zu machen und sich Schuldgefühle einzureden. Ihr hatte damals auch keiner geholfen, als sie jemanden gebraucht hat. Und hatte jemand deswegen Schuldgefühle? Nein. Warum auch? Sie war den anderen völlig egal gewesen.

Noch eine Ewigkeit lag sie im Bett und grübelte, doch nach einer Weile entschloss sie sich endlich aufzustehen. Lydia konnte es deutlich in der Küche rumpeln hören und es roch bereits nach dem ersehnten Frühstück. Langsam rappelte sie sich auf und schlenderte in Richtung Badezimmer, um sich frisch zu machen. Als sie sich im Spiegel betrachtete, musste sie feststellen, dass die schlaflose Nacht sich in ihrem müden Gesicht widerspiegelte. 

Doch plötzlich bemerkte sie etwas ganz anderes, sie griff sich an ihrem Hals nur, um mit Entsetzen festzustellen, dass ihre Kette nicht mehr da war. So eine Scheiße! Nein, keine Kraftausdrücke mehr! Schließlich war das ihr Neuanfang! 

Wo konnte sie nur sein? Wäre es nach Lydia gegangen, dann hätte sie sich jetzt einfach mitten auf den Boden geschmissen und angefangen zu weinen und zu schluchzen. Aber wie schon erwähnt, wollte sie neu anfangen, vollkommen neu. Also nichts mehr mit sinnlosem Rumheulen und den ganzen Selbstzweifeln.

Lydia war eine starke, unabhängige Frau, jedenfalls versuchte sie, sich das einzureden. Doch sie musste gestehen, dass der Verlust ihrer Kette sie doch sehr traurig stimmte. Es war das Abschiedsgeschenk ihres Vaters und sie bedeutete ihr schon etwas. Sie vermisste ihn sehr und sie war traurig, dass er es nicht mehr für nötig hielt, auf ihre Nachrichten oder auf ihre Anrufe zu reagieren. Mittlerweile war sie sich auch schon gar nicht mehr sicher, ob er überhaupt vorhatte, den Kontakt mit ihr aufrechtzuerhalten. Vielleicht hatte er ja bereits eine neue Partnerin? Sie wusste es nicht.

Kopfschütteln versuchte sie, ihre negativen Gedanken zu vertreiben. Heute sollte ein guter Tag werden, vielleicht sogar der beste. Lydia musste sich nur zusammenreißen und nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Vielleicht hatte sie ja vor der Schule noch genügend Zeit, nach ihrer Halskette zu suchen.

Schnell schlüpfte sie in ihre Schuluniform und Lydia musste zugeben, dass sie ihr sehr gefiel. So eingebildet wie es auch klingen mochte, Grün war absolut ihre Farbe. Schnell entknotete sie ihre langen hellblonden Haare und überschminkte rasch ihre Augenringe. Hastig trug sie noch etwas Lidschatten auf, der ihre blauen Augen betonte und schlenderte dann zum Frühstückstisch.

So wie es aussah, frühstückte Joo-won schon seit einer Weile und wie immer hatte er sich sehr viel Mühe mit der Zubereitung des Essens gegeben.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte Joo-won mit vollem Mund und schaute sie erwartungsvoll an.

»Nicht wirklich«, erwiderte sie mit gekonntem Lächeln, während sie in ihrem Frühstück rumstocherte. Ihr war so schlecht vor Nervosität, dass sie eh nichts runterbekommen würde, und das, obwohl das Essen wirklich köstlich aussah.

»Der erste Tag ist immer schwer. Aber vertrau mir, in einer Woche ist alles schon normal für dich und wer weiß, vielleicht findest du heute sogar schon Freunde.« sagte er begleitet von einem Augenzwinkern. Ein kläglicher Versuch, sie zu ermutigen.

All Of Us Are Dead | Nur dieses eine Leben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt