Lily

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Fast die gesamte Woche war Hermine wie ein Geist durch das Schloss gelaufen. Ihre Gedanken stets bei Harrys Notiz und dem Buch, welches er hinterlassen hatte. Als dann am Donnerstag die Schüler scharenweise Hogwarts verließen, war sie abends nochmal in ihr Büro geschlichen, nur um sicherzugehen, dass das Buch noch genau dort war, wo sie es hingestellt hatte.

Bis zu den Waden stand Hermine heute am Karfreitag im schlammigen Wasser vom großen See. Sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Es war der erste Tag der Osterferien und nur wenige Reinblutkinder verbrachten ihre Ferien in Hogwarts – nur die, deren Eltern im Ausland arbeiteten oder durch eine etwaige Verpflichtung anderweitig eingebunden waren.

Das traf auch auf die Lehrer zu. Die Todesser verbrachten Ostern nicht im kalten, staubigen Schloss. Hermine allerdings schon.

Zumindest davor – bis zu den Waden im eiskalten Seewasser.

Draco war nicht einmal persönlich vorbeigekommen, um die von Fawley bereits angekündigten Anweisungen für die Ferien zu übermitteln. Am Mittwoch nach ihrem Gespräch mit der Schulleiterin lag ein Pergament auf ihrem Schreibtisch:

Während der Osterfeiertage ist es dir gestattet dich frei auf dem Schlossgelände von Hogwarts zu bewegen. Hogsmeade eingeschlossen. Einen Großteil deiner Zeit solltest du deinen Zaubertrankstudien widmen. Wenn dieses Schuljahr rum ist, wirst du eine Prüfung im Zaubereiministerium ablegen, bei der zusammen mit Professor Fawley entschieden wird, ob du Professorin in Hogwarts werden darfst.

D. Malfoy

Hermine nahm Dracos Worte einfach nur hin. Sie hatte sich in der letzten Woche aufgehört, zu fragen, wieso er sie zu ignorieren schien, auch wenn er täglich in Hogwarts herumgeisterte und Hermine trotzdem das Gefühl hatte, ständig beobachtet zu werden.

Sie beschlich zunehmend das Gefühl, paranoid zu werden, weil sie ein wichtiges und lang verborgenes Geheimnis unter der Nase der Todesser aufgedeckt hatte.

Nachdenklich grub sie ihre Zehe in den Schlamm. In den letzten zehn Jahren konnte sie nichts tun, außer ihre Situation hinzunehmen. Etwas, was sie nun fortzuführen schien: Sie akzeptierte. Sie hörte zu. Sie nickte artig.

Diese Seite mochte Hermine am allerwenigsten an sich, nicht weil sie grundlegend rebellieren wollte, sondern weil sie sich zwischen all dem Hinnehmen und Akzeptieren und brav nicken langsam selbst verlor.

In der Mitte des großen Sees brach die schimmernde Wasseroberfläche auf. Der Kraken reckte einen einzigen riesigen Fangarm in die Höhe und Hermine hatte ihre Augen geöffnet, um ihn zu beobachten. Er griff nach einem Vogel und wartete, bis die Flügel ihn etwas weitertrugen, reckte sich dann nochmal nach ihm und griff wieder – daneben. Es schien, als wenn er mit dem Vogel spielte und ihn gar nicht richtig zu fassen kriegen wollte.

Hermine fühlte sich wie dieser Vogel.

Ein kleiner Spielball, der panisch nach links und nach rechts flog, obwohl nach oben hin genug Platz wäre, um vor dem Fangarm zu flüchten.

Hermine wollte nicht wie dieser Vogel sein. Sie wollte den Platz nutzen, der ihr zur Verfügung stand.

Dass ihre Füße hier im See steckten, hatte keinen bestimmten Grund. Sie war heute Morgen aufgewacht und wollte etwas anderes unter ihren Fußsohlen spüren als den Holzboden ihrer Hütte. Und weil sie sich frei auf dem Schlossgelände bewegen durfte, war sie zum See gegangen, hatte ihre Stiefel und Wollsocken ausgezogen und sich ins Wasser gestellt.

Hermine malte sich gerade aus, wie sie nach Hogsmeade spazieren würde um zu Frühstücken, als sich eine kalte feste Hand mit langen Fingern um Hermines Knöchel schloss und kräftig an ihr zog.

MaliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt