H a n n a h
„Du bist gekommen.", hallt mir Ians Stimme entgegen, sobald ich aus dem Auto steige und die Tür schließe. Intuitiv zucke ich zusammen und weiche einen großen Schritt zurück, um so viel Abstand wie irgend möglich zu ihm zu behalten.
Wir sind in einem verlassenen Parkhaus, das laut der Schilder am Eingang schon bald einem Wohnkomplex oder so weichen wird und wahrscheinlich auch sollte. Denn die Betonwänden sind teilweise rissig, in der gegenüberliegenden Ecke tropft Wasser von der Decke und die wenigen Leuchtstoffröhren die funktionieren, flackern unbeständig summend vor sich hin.
Um es also anders auszudrücken. Es ist düster, kalt und wirkt alles andere als freundlich. Oder ... hätte ein Bond-Bösewicht, einen Schauplatz für seinen letzten Showdown gesucht, hätte er ihn hier definitiv gefunden.
„Und du hast sogar noch zwei Minuten, bevor die Frist abläuft.", durchschneidet mein Ex ein weiteres Mal die gespenstische Stille.
Meine Augen behalte ihn ganz genau im Blick, als er sich von einer dicken Betonsäule abstößt und soweit aus dem Schatten heraustritt, dass ich ihn in allen Einzelheiten erkenne. Er ist komplett in schwarz gekleidet, das Haar wie immer mit so viel gel nach hinten gekämmt, das selbst ein Tornado Stufe 5 wahrscheinlich nichts verändert hätte und mit einer Zigarette zwischen den Lippen. Er zieht an dem krebserregendem Glimmstängel und bläst den Rauch bedächtig aus, während seine Augen hart und begierig über mich wandern.
Innerlich winde ich mich, doch äußerlich zwinge ich meinen Körper zur Regungslosigkeit, bleibe einfach still stehen und suche mit den Augen nach Jamie. Doch ich kann ihre vertraute Gestalt nicht sehen. Neben Ian steht jedoch das einzige andere Auto hier. Ein alter Kombi, der ebenfalls schon bessere Tage gesehen hat und mich einen Augenblick von Ians bedrohlicher Gegenwart ablenkt.
„Du hast mir ja keine andere Wahl gelassen ! Es geht um Jamie, sie ist Teil meiner Familie. Also wo ist sie ?", frage ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und trete gegen jede rebellierende Zelle in meinem Körper ankämpfend langsam vorwärts.
Ein winziger Schritt nach dem anderem nähere ich mich meinem Ex und dem Wagen, in dem Jamie sein muss. Es gibt einfach keine andere Möglichkeit. Das Mädchen muss in dem Auto sein und auch wenn ich mir im Augenblick lieber selbst den Arm mit einer rostigen Säge amputieren würde, als hier zu sein oder den Anstand zu verringern, habe ich keine andere Wahl. Denn Jamie kann nur in dem Auto sein und für dieses kleine Mädchen würde ich noch so viel mehr in betracht ziehen, als eine bloße Exartikulation.
„Bis auf mich, hattest du doch noch nie eine richtige Familie.", übergeht er meine Frage mit seiner gewohnt belehrenden Art und Weise. Dazu setzt Ian dieses fiese Lächeln auf, das mir sagt, dass er noch nicht fertig ist, jeden Moment zum nächsten verbalen Schlag ausholt oder in alten Wunden rumstochert, von denen er genau weiß, wie empfindlich sie noch sind. „Deine Mutter ist Tod, dein Vater nicht existent und-"
„Wo. Ist. Sie.", unterbreche ich ihn prompt und betone jedes einzelne Wort, doch er überhört es gekonnt.
„-bevor ich mich dir angenommen habe, warst du ein niemand und andere Menschen erkennen auch, was du in Wirklichkeit immer warst. Nämlich eine bedauernswerte Waise, die früher oder später wieder in der Gosse landet.... Auch deine sogenannte ‚Familie' wird das früher oder später durchschauen und dann verstehen, dass sie dich nicht in ihrem Leben brauchen. Ganz im Gegenteil.", meint er verächtlich und verspottend und bringt mich dazu, das ich unbewusst zucke.
Gott, dieses verdammte Arschloch. Er hat doch keinen Schimmer, wovon er spricht ! Er kennt niemanden von meinen Leuten und mich offenbar auch nicht ! Denn sonst wüsste er, dass ich und so ziemlich jeder andere der McCannens und Evans die Hölle durchqueren und das restliche Leben in Qualen verbringen würde, um Jamie sicher nach Hause zurück zu bringen. Aus dem einfachen Grund, weil man das so in einer Familie macht !
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Bittersweet Enemies
RomanceSie sind wie Hund und Katz oder Feuer und Benzin, -höchst explosiv und immer Gefahr laufend, sich gegenseitig umzubringen. *** Auf den eigenen Beinen zu stehen, ist für die toughe, manchmal etwas kühle und grundsätzlich sehr direkte Hannah Collins...