35 | offen und ehrlich

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H a n n a h

Durcheinander und aus dem einfachen Grund, weil meine Hände eine Aufgabe brauchen, habe ich mich nach wie vor völlig verkatert daran gemacht, das Bett abzuziehen, das alte Bettzeug in die Waschmaschine zu stopfen und, gegen meine eigentliche Mentalität, alles neu bezogen und ordentlich hingelegt. Dann habe ich alle Fenster und die Türen zur Dachterrasse aufgerissen, um die gesamte Studiowohnung durchzulüften.

Keine Ahnung was auf einmal in mich gefahren ist. Doch bei dem bloßen Gedanken auch nur einen Moment still zu stehen und mich mit dem Gedankenkarussell auseinanderzusetzen, das seit Ians Anruf mein Denken im Würgegriff hat und mir langsam aber sicher die Luft zum atmen raubt, sträubt sich alles in mir. Gestern habe ich deshalb den Scotch getrunken, doch das kommt heute nicht infrage. Also verfalle ich in alte Muster. Mache einfach weiter. Beschäftige mich irgendwie und halte auf gar keinen Fall inne.

Schnaufend und ausgelaugt von der kurzen Nacht und dem Restalkohol, schrubbe ich schließlich auch noch das Badezimmer einmal komplett von oben bis unten, bis der penetrante Geruch von hochgewürgtem Scotch und meinem traurigen Absturz, durch einen angenehmen Eukalyptus Duft ersetzt wurde. Fünfzehn Minuten stehe ich unschlüssig in dem gefliesten Raum, sobald auch die allerletzte Spur meines Feuchtfröhlichen Abends beseitigt ist.

Kleo beobachtet mich die ganze Zeit schon aus sicherer Entfernung, vom Bettende aus, und traut sich offenbar nicht näher zu kommen, als könnte ich jeden Moment um mich schlagen und einen Hollywood reifen Nervenzusammenbruch erleiden. Dabei könnte sie gar nicht so falsch liegen. Ich merke, wie die Gedanken sich wie düstere Sturmwolken erneut über mir zusammenbrauen und ich ganz automatisch wieder daran denke, was in den letzten Zwölf Stunden alles passiert ist.

Der wütende und verletzende Streit mit Matt, war nur der krönende Abschluss der vorherigen Katastrophen. Klar, war es anmaßend von ihm, mir mein Verhalten vorzuhalten und sich aufzuspielen, auch wenn er im Recht war und ich es mehr als verdient habe. Doch er sollte mich mittlerweile besser kenne und wissen, dass ich mich bei zu viel Druck in die Enge getrieben fühle, mich dann instinktiv zurück ziehe und dazu neige niemandem mehr emotional an mich ran zu lassen.

Das es ihn also noch zorniger gemacht hat und er einfach so aus seiner eigenen Wohnung gestürmt ist, nur weil ich ihn von mir gestoßen habe, hätte für ihn keine große Überraschung sein sollen. Doch vielleicht ist das alles sogar ganz gut. Also unser Streit und das er offenbar genau von mir hat. Jetzt kann er wieder zu der altbekannten Abneigung zurückkehren, die ihm meine gerade getroffene Entscheidung leichter machen wird.

Denn ich werde mein Zeug zusammenpacke und verschwinde. Aus Chicago. Aus dem Leben meiner Freunde. Aus Matthews Leben.

Natürlich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich kurz nach Ians Rückkehr auf dem Boden hinter meiner Wohnungstür saß und mir selbst eingeredet habe, das ich nicht wieder einfach so die Flucht ergreifen und mein Leben hinter mir lassen werde. Das es hier zu viel zu verlieren gibt. Aber genau das ist der Punkt. Es gibt hier so viel Personen, die mir was bedeuten und was ist das für ein Leben, wenn ich jeden einzelnen dieser tollen, selbstlosen und liebenswürdigen Menschen in ernsthafte Gefahr bringe und zwar nur durch meine bloße Anwesenheit. Ich muss gehen, egal wie wenig ich das will. Es ist höchste Zeit und für jeden einzelnen besser und vor allem... sicherer.

Entschlossen sammele ich meine wichtigsten Utensilien im Badezimmer zusammen und trage alles ins Ankleidezimmer. Ich ziehe die Spottasche, mit der ich damals hierher gekommen bin, von einem der Schränke und greife willkürlich irgendwelche Klamotten von der rechten Seite -meiner- Seite. Ja, Matt hat mir eine ganze Seite seines Ankleidezimmers abgetreten, nachdem er nach und nach meine alten Wohnung geleert hat und ich all mein Zeug unterbringe musste.

Bittersweet EnemiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt