Es gibt Dinge, die sich vollkommen unterschiedlich zeigen, je nachdem ob du sie bei Nacht oder bei Tag siehst. So ist es auch mit dem Island. Der kleine Kellerclub, der nachts bis zum Anschlag gefüllt ist, durch den meistens harte Technobässe wummern, und in dem alles in einer Art verruchtem Nebel liegt, sieht tagsüber eher aus wie eine abgeranzte Garage oder so. Der Zauber der hier nachts tobt, von dem siehst du bei Tageslicht nichts mehr.
Ich stehe am Rand der langen Holztheke, und Jimmy, der Besitzer des Islands, erklärt mir gerade die genauen Arbeitszeiten. Das Island hat seinen Namen nicht grundlos. Jimmy ist Mitte der 80er mit nur 16 Jahren von der damaligen DDR nach Westdeutschland geflohen. Als er mit gerade mal 19 Jahren dann, zusammen mit seinem damaligen Freund, das Island eröffnet, da war es eine Art Fluchtinsel, vorwiegend für schwule Männer. Die Aidspandemie war zu jener Zeit für viele Menschen in der Gesellschaft ein Syonym für schwule Liebe, der § 175 war noch immer Teil des deutschen Strafgesetzbuchs, und die taz titelte zu jener Zeit, von zunehmender Gewalt gegen Schwule.
Diese Wände hier, die haben viel gesehen. Ängste und Wut, aber auch Glück und Liebe, Blut und Schweiß, Konfetti und Champus, und ja auch Sex. Jahrzehnte von Geschichte, die eine ganze community bis heute prägt.
Ich bin irgendwie stolz hier arbeiten zu dürfen. Auch wenn mein Vater vermutlich das Zeitliche segnen würde, wenn er das hier wüsste. Wie vermutet hatte ich all die Wochen nichts mehr von meinen Eltern gehört. Bis gestern Abend. Colin war gerade einkaufen, und ich erwartete, dass er vielleicht schreibt, weil er plötzlich Lust auf chinesisch bekommen hat, und deshalb noch beim Imbiss um die Ecke Halt machen würde. Stattdessen erschien eine Nachricht von der Nummer meines Vaters.
<Boris hat gefragt, wie es dir geht. Habe dann von deinem sehr guten Abitur berichtet.>
Ich habe etwas ungläubig auf diese Nachricht gestarrt. Boris ist mein Onkel. Er hat die Geschäftsführung des Unternehmens meines Großvaters übernommen, und ist meinem Vater ziemlich ähnlich. Beide sind geprägt durch konservative und strenge Werte. Dass mein Vater aber ein gutes Haar an mir gelassen haben soll, sogar eine Leistung von mir anerkennt hat, erscheint mir zweifelhaft. Ich habe dennoch nicht darauf reagiert.
Colin habe ich nichts davon erzählt. Ich möchte unter keinen Umständen, dass meine Familie noch einmal in unsere Beziehung eindringt und ihn verunsichert. Noch immer trage ich die nagenden Schuldgefühle in mir, was damals mit Tim passiert ist, dem ersten Jungen mit dem ich etwas hatte. Als mein Vater uns knutschend im Geräteschuppen erwischt hatte, hat er seine Beziehungen spielen lassen, und Tim und seine Mutter sind wegen einer neuen Stelle in die Schweiz ausgewandert. Ich habe nie wieder von ihm gehört. Auch wenn Colin und ich jetzt älter sind, die Tatsache, dass er Jura studieren wird versetzt mich diesbezüglich manchmal in Unruhe. Mein Vater ist nicht nur angesehener Richter, er ist Mitglied in wichtigen Gremien und Vereinen und er hat fachlich gute Verbindungen im ganzen Land. Ein Grund mehr, ihn von meiner Beziehung und am besten von meinem ganzen Leben fern zu halten.
DU LIEST GERADE
somewhere in between
RomanceSomewhere in between Das ist eine Fortsetzungsgeschichte zur Nolin Fanfiction "ein Stein ist hart zu brechen". Noah und Colin sind inzwischen fertig mit der Schule, und es beginnen die ersten Schritte in ein unabhängiges, erwachsenes Leben. Doch bei...