Kapitel 41: Noah

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Das Milano market ist ein Edelitaliener in der Innenstadt. Anstelle einer anständigen Pizza bekommt man hier gegrillte Anchovies auf Tomatenconfit, und die Portionen sind so klein wie ein Fingernagel.
Mein Vater hat mir sogar angeboten, dass ich "meinen Mitbewohner Herr Thewes" mitbringe. Wusste nicht, ob ich lachen oder weinen soll als ich das gelesen habe.
Nun sitze ich also hier, trinke Wein dessen Name ich nicht aussprechen kann, und warte gespannt auf die Vorführung, die mich erwartet.
"Meine Frau und ich bekommen beide das marinierte Kobe-Fleisch auf Artischocke", ordert mein Vater bei der Servicekraft, und dann sieht er mich erwartungsvoll an.
"Für mich bitte die Limonenspaghetti."
Mein Vater hebt eine Augenbraue, lässt es dann aber ausnahmsweise mal kommentarlos stehen.
"Herr Thewes hat mir abgesagt", sagt er da streng, und ich glaube mich verhört zu haben.
"Bitte was?"
"Ich habe erfahren, dass ihr nicht mehr miteinander verkehrt."
Ich blinzle, weil ich das Gefühl habe, dass ich wieder in einem dieser Paralleluniversen gelandet sein muss.
"Du hast mit Colin gesprochen?"
"Ich habe mir erlaubt dem Herrn eine Nachricht zu verfassen, da ich auf Deine Antwort ja warten kann bis ich das Zeitliche segne. Und vermutlich sogar darüber hinaus. Wenigstens hatte er den Anstand abzusagen."
"Wie meinst Du das?"
Ich hasse es, dass es gerade mein Vater ist, der mir vielleicht ein paar Infos über Colin geben kann. Wie es ihm geht, was er gesagt hat. Fuck ja, wirf mir jeden Krümel hin um den ich zu betteln bereit bin alter Mann!
"Er hat mich informiert, dass ihr nicht mehr verkehrt, und er folglich nicht anwesend sein wird."
Ich glaube einen Schlag von einem Preisboxer in meine Magengegend erhalten zu haben, denn der Schmerz, den diese Worte in mir auslösen, der lässt sich anders nicht mehr erklären. Ich trinke einen großen Schluck von dem Wein, der irgendwie echt zum kotzen schmeckt, aber der wenigstens den Kloß in meiner Kehle ein wenig lindert. Vor meinem Vater am Tisch loszuheulen wäre womöglich mein Untergang.
"Ich begrüße dies, wie du dir denken kannst. Ich hätte ihm zwar das reizvollere Angebot gegeben, aber so ist es wohl für alle am unkompliziertesten und ich erspare mir Arbeit."
Ich verstehe eigentlich gar nicht was er redet, aber um fair zu bleiben, tue ich das bei ihm ja meistens nicht. Ich trinke noch einen großen Schluck und schenke mir dann nach.
"Durstig?", fragt mein Vater spitz und räuspert sich.
In meinem Kopf springen wieder einmal die Gedanken Springseil. Das erinnert mich an früher. Wann immer ich durch meinen Vater verunsichert wurde, konnte ich im Kopf die Gedanken nicht mehr still halten. Es war, als würde jemand auf einer Leinwand bunt Farbe übereinander schmieren. Und je größer mein Durcheinander im Kopf wurde, umso wütender schien er zu werden, und umso stärker wurde das gedankliche Chaos. Es war ein Teufelskreis, aus dem ich jedes Mal als Verlierer heraus ging.
Ich trinke nochmal einen großen Schluck. Meine Mutter tippt mich unter dem Tisch mit dem Fuss an, und da stelle ich das Glas ab.
"Was für ein Angebot?" frage ich ihn dann doch mit etwas trägerer Stimme.
Ich erkenne, wie er und meine Mutter kurz Blicke tauschen, und sie daraufhin zu Boden schaut. Innerlich wappne ich mich ab diesem Zeitpunkt eigentlich schon für irgendeines seiner Manöver, aber einmal mehr schafft er es trotzdem, mich im schlechtesten Sinne zu überraschen.
Er räuspert sich, und umgreift den Stiel seines Weinglases, lässt es sanft durch seine Finger rollen, sodass der Wein in leichten Wellen durchs Glas treibt.
"Ich habe erfahren, dass Herr Thewes einen interessanten akademischen Weg einschlägt." Die Art wie er das Wort "interessanten" betont bereitet mir Gänsehaut. Mein Herzschlag beschleunigt sich, und meine Habdinnenflächen werden feucht. Ich fühle mich zurück versetzt zu dem Abend, als Tim und ich von ihm erwischt wurden.
"Jura kann ein Haifischbecken sein, Junge. Da können dich die richtigen Beziehungen weit bringen. Ich wäre hier sehr kulant gewesen in meiner Bereitschaft ihm weiterzuhelfen. Mit Vitamin B und auch finanziell. Ich bin gewiss, wenn er die Vorteile dahinter erkannt hätte, die dies für ihn und seine Zukunft bedeutet hätte, wäre er im Gegenzug bereit gewesen, dieses... ".
Er scheint nach Worten zu suchen, als er mich ansieht, und schließlich mit wegwerfender Handbewegung sagt: "Dieses alberne Techtelmechtel hinter sich zu lassen."

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