somewhere in between

Kapitel 22: Colin

Mein letztes Wochenende vor dem Unibeginn verbringe ich wieder zum größten Teil alleine. Noah schläft tagsüber meistens und arbeitet nachts, und ich nutze die letzten Tage, um mich vorzubereiten. Ich habe mir einen altmodischen Papierkalender gekauft, weil ich mir irgendwie einbilde, dass ich das ab sofort brauche. Außerdem habe ich mir schon die Gesetzesbücher organisiert, die wir benötigen werden, und ich habe mir beim Frisur wieder etwas mehr Schnitt in meine Haare bringen lassen.
Danach bin ich noch einmal eine Weile über den Campus spaziert, einfach um mich mit der Umgebung vertraut zu machen. Irgendwie nimmt es mir die Angst, wenn ich mich mit einem Ort vorher ein wenig akklimatisieren kann.
Ich setze mich auf eine der kleinen Steinmauern, die sich beinah überall über den Campus ziehen. Ich habe mir an einem Kaffeewagen einen Coffee to go geholt, und schaue jetzt einigen Studigruppen dabei zu, wie sie plaudernd auf den Stufen vor den Gebäuden sitzen. Man spürt den Herbst immer deutlicher, und die großen Bäume, die an den Wegen und am Rand des Campus verteilt wachsen, werfen langsam ihre verfärbten Blätter ab. Ich hole meine earpods aus meiner Tasche, und lasse "beautiful mess" von Kristian Kostov in mich hinein laufen wie warmes Wasser, und fühle mich in diesem Moment ziemlich alleine.

Als ich später nach Hause komme, und Noah noch immer schläft, erwische ich mich dabei, wie ich extra laut bin. Ich fange an Staub zu saugen, räume kleppernd den Geschirrspüler aus und trete extra laut auf wenn ich durch den Flur laufe.
"Alter, ist das eigentlich dein Ernst?!", schmeißt er mir irgendwann im Flur entgegen. Seine Haare sehen wild aus, und er ist echt ziemlich angepisst. Soll mir recht sein, denke ich mir. Keine Ahnung, warum ich den Frust, der mich zugegeben schon eine Weile irgendwie begleitet, heute so deutlich spüre, aber ich will dass er wütend ist, weil ich selbst es auch bin. Und ich fühle mich so hilflos mit diesem Gefühl, weil ich es eigentlich ungerecht finde, ganz so, als würde es mir nicht zustehen. Noah darf sein Leben so gestalten wie er das möchte, und für mich gilt das gleiche. Warum also tue ich es mir so schwer damit?