Kapitel 44: Colin

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31. Dezember

Lieber Noah,

Gleich ist Silvester. Ich habe dir zwei Monatsmieten für Januar und Februar überwiesen. Ich denke das reicht, um eine*n neue Mitbewohner*in zu finden.
Es tut mir leid, dass ich lange nicht auf deine Nachrichten und Anrufe reagiert habe. Vielleicht finden wir irgendwann mal den Punkt, an dem wir einfach darüber reden können, was mit uns passiert ist.
Momentan bin ich dafür aber noch nicht bereit. Ich hoffe das ist ok.
Momentan bin ich wütend. Und verletzt. Und verzweifelt, das bin ich auch. Ich bin wirklich so wütend auf dich! Und irgendwie auch auf mich. Keine Ahnung. Ich würde es dir gerne erklären, aber momentan ist in meinem Kopf alles noch ein großes Chaos.
Irgendwie dachte ich lange, dass das mit uns nie enden würde. Und ja, mir ist durchaus bewusst wie naiv das vielleicht war. Ich versuche zu verstehen, was da wirklich mit uns passiert ist. Ich habe selbst in den letzten Monaten nie wirklich an ein Ende geglaubt. Vielleicht, weil wir so kämpfen mussten, um das was wir hatten. Keine Ahnung.
Ich weiß nicht, ob ich diesen Brief hier wirklich abschicke. Vielleicht wird das auch einfach so eine Art Therapie mit mir selbst, während ich hier in meiner neuen Wohnung sitze. Ich bin heute erst eingezogen. Draußen knallen schon die ersten Silvesterraketen, und ich frage mich, wo du wohl steckst. Ich wüsste so gerne wie es dir geht, aber gleichzeitig kann ich mir einfach nicht vorstellen mit dir zu sprechen. Paradox, oder?
Weißt du, ich lasse diese letzten Wochen im November oft Revue passieren, und versuche irgendwie zu verstehen, an welcher Stelle wir einander verloren haben. Vielleicht war es wirklich erst an dem Abend im Island. Womöglich war es aber auch schon früher? Vielleicht war es irgendwie schleichend, und am Ende dann mit einem lauten Knall.
Die letzten Jahre habe ich an Silvester immer glücklich in das kommende Jahr geblickt. Ich wusste, dass wir einander hatten, und das war genug.
Und jetzt? Jetzt habe ich Angst wie noch nie. Ich wohne zum ersten Mal ganz alleine. Alles hier wirkt noch kühl und unbewohnt. Und ein Teil von mir befürchtet, dass das vielleicht nie richtig verschwinden wird, weil es ohne dich eben immer ein bisschen unbewohnt sein wird. Selbst an Weihnachten bei meinen Eltern habe ich diese Lücke so sehr gespürt, die du hinterlassen hast.
Noah... Ich weiß nicht, was ich dir fürs neue Jahr wünsche, was ich mir wünsche oder vielleicht uns.

Pass auf dich auf.
Colin

somewhere in between Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt