somewhere in between

Kapitel 49: Noah

Frau Wörning ist 87 Jahre alt, und wie sie selbst sagt "von bester Gesundheit". Sie ist eine meiner liebsten Bewohnerinnen. Sie ist hat vieles erlebt. Ihr Mann ist an Krebs gestorben, da war sie gerade einmal 50 Jahre alt. Ihre zwei Kinder gingen noch zur Schule, der jüngere von beiden war gerade einmal 12 Jahre alt. Beide Männer besuchen sie regelmäßig. Der jüngere ist mit einem Mann verheiratet der Arzt ist. Er ist auch häufig dabei. Es schmerzt mich die beiden zu sehen, weil sie mir jene Zukunft vor Augen führen, die ich mir lange Zeit ausgemalt habe. Bis ich sie eigenhändig zerstört habe.
Frau Wörning hat mir erzählt, wie es in den 90ern war, als ihr jüngster sich geoutet hat, und Frau Wörnings Eltern seitdem keinen Kontakt mehr zu beiden Enkeln und ihr hatten, bis sie schließlich ohne Versöhnung verstarben.
Ich denke ihre Offenheit war für mich der Grund, ihr zumindest oberflächlich von mir zu erzählen. Von meinem Vater und auch von Colin. Als ich gerade ihr Tablett abräumen wollte hatte sie nach meiner Hand gegriffen. Ihre Hand, die schon zahlreiche Falten dieses Lebens trugen, Falten, die Geschichten flüsterten von Händen die Schutz gegeben und getröstet haben.
Sie hatte meine Hand nur gedrückt, aber diese eine Berührung war das tröstlichste, was ich seit langem gespürt hatte.
Als ich an diesem Abend nach Hause kam habe ich zum ersten Mal wirklich haltlos geweint. Ich glaube nicht, dass ich schon einmal so viele Tränen in mir hatte, und alle sind sie aus mir heraus gesprudelt. Es war ein atemloses schluchzen, ein beinah am Schmerz ersticken. Unansehnlich und verzweifelt, mit Rotz der dir aus der Nase fließt und roten Augen die dick geschwollen sind. Dein Brustkorb und dein Bauch schmerzen, und deine Muskulatur im Rücken verkrampft. Ich lag irgendwann in der Embryostellung auf dem Teppich im Wohnzimmer. Wenn es das Broken heart Syndrom gibt, dann war dies wohl mein persönlicher Infarkt gewesen.