Kapitel 24: Colin

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"Hast du mich vermisst?!" fragt Philipp, als er mich lachend von hinten anfällt.
Ich erschrecke mich mehr als ich zugeben möchte, bin aber im selben Moment auch erleichtert, dass sich zwischen uns offenbar nichts, verändert hat. Ich bin mir inzwischen sicher, dass er Noah und mich am Bahnhof gesehen hat.
"Hättest du wohl gerne", sage ich lachend.
"Dann sag mir wenigstens, dass du aufgeregt bist! Ich mach mir hier nämlich echt ein bisschen ins Hemd."
Ich muss grinsen, weil Philipp einfach ein so riesiger und breiter Hüne ist, einer, vor dem die Menschen vermutlich sogar unberechtigterweise viel eher Angst haben.
Wir bummeln langsam in Richtung der ersten Vorlesung, und vor uns tut sich ein großer Saal auf, der von oben nach unten abgestuft, und von quer verlaufenden dunklen langen Tischen und herunterklappbaren Stühlen gesäumt ist. Immer mehr junge Menschen strömen in den Raum, einige von uns kennen sich von der Hütte, andere sind einem noch unbekannt. Das ist jetzt also, denke ich mir. Der Startschuss.

Am Ende gab es gar keinen Grund für Aufregung oder Angst. Der erste Tag an der Uni bestand aus zwei ersten Vorlesungen und einem Tutorat am Abend. Mittags waren Lena, Philipp und ich in der Mensa essen, und jetzt, nach dem Tutorat, schlägt Philipp vor, dass wir doch noch was essen gehen könnten. Da Noah sowieso schon um 18 Uhr ins Island aufbricht, weil neue Bestellungen geliefert wurden, hätte ich heute sowieso alleine essen müssen. Nochmal in die Mensa zu gehen spricht uns aber alle nicht an, also gehen wir stattdessen in den Coffeeshop in der Bibliothek um Paninins und Muffins zu essen.
Lena verschwindet erstmal auf der Toilette, und Philipp und ich erledigen die Bestellung. Der tätowierte Barista steht hinterm Tresen, und zwinkert mir grinsend zu. Ganz schön schamlos denke ich, aber ich muss trotzdem lächeln.
Philipp und ich transportieren unsere voll beladenen Tabletts suchend durch den Shop.
"Ich glaube der Typ steht auf dich", sagt er, als wir uns an einen der Ecktische am Fenster setzen.
Ich merke sofort, wie mein Herzschlag beschleunigt. Ich kann meinen Puls in meiner Kehle klopfen spüren, und ich hasse es. Ich weiß, dass es keinen Grund für Angst gibt, und trotzdem sitzt sie mir im Nacken, weil ich eben nie sicher wissen kann, wie ein Gegenüber reagiert.
Wir setzen uns, und ich spüre, dass Philipp meinen Fuss unterm Tisch antippt und grinst.
"War das dein Freund am Bahnhof?"
Er fragt ganz beiläufig und normal, so wie man sich eben nach möglichen Partner*innen erkundigt.
Ich trinke einen Schluck von meinem großen Cappuccino und nicke flüchtig.
"Tja, das ist dann wohl Pech für Tattoo Boy", sagt er, und beißt genüsslich in einen Schoko Muffin mit Zuckerglasur.
Da stößt Lena auch wieder zu uns, und wir verbringen einen wirklich schönen ersten Abend als offizielle Studierende. Wir erzählen uns von unserer Schulzeit, unserer Familie, und ich erzähle auch von Noah. Lena reagiert ebenso unspektakulär, und ich fühle mich richtig beflügelt auf dem Weg nach Hause. Ich spüre ein Gefühl von Aufbruch und gleichzeitig von Ankommen, das irgendwie eine Aufregung und gleichzeitig eine Ruhe in mich hinein bringt. Eigenartig ambivalent, aber wunderschön. Als ich zuhause ankomme, und von der stillen Wohnung empfangen werde, da fehlt mir etwas. Ich würde so gerne mit Noah sprechen. Er ist nunmal der erste Mensch, dem ich berichten möchte, wenn ich etwas Gutes erlebe. Ich gehe in die Küche, setze mich an den Holztisch, den wir auf einem Flohmarkt ergattert haben, und logge mich in alle Onlinebereiche meiner Kurse ein. Auf Instagram warten mehrere neue Anfragen, alle von Kommiliton*innen. Ich nehme aber vorerst nur die von Philipp und Lena an, weil mein Insta eben ganz offen mein Leben mit Noah zeigt.
Mein letzter post ist ein Foto vom Campus, das ich am Samstag gemacht habe, als ich alleine dort war. Es fängt echt gut diese Herbst Stimmung ein, und hat einen Dark academia vibe. Noahs letztes Bild zeigt ihn mitten in einer Partymenge, mit raus gestreckter Zunge und Glitter im Haar. Er ist verschwitzt vom Tanzen und er sieht irre heiß aus. Und obwohl mir alles an diesem Gesicht vertraut ist, fühlt er sich trotzdem für mich so weit weg an. Frustriert mache ich das Handy für heute aus, gehe duschen und lege mich ins Bett.

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