Kapitel 10: Colin

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* Ein Montag Ende September *

Die große Hitze des Sommers ist verflogen, und langsam spürt man, dass der Herbst bald Einzug hält. Ich sitze an einem der Fensterplätze des Coffeeshops in der Bibliothek. Gerade habe ich meinen Studierendenausweis abgeholt und meinen Bibliothekszugang aktiviert. In wenigen Wochen beginnt mein erstes Semester. Ich bin wirklich aufgeregt vor diesem neuen Lebensabschnitt. Noah ist gerade im Island, um den neuen Dienstplan zu besprechen.
Ich weiß, er freut sich über diesen Job. Und ich bemühe mich das gleiche zu fühlen. Trotzdem ist da ein kleiner egoistischer Teil in mir, der sich wünscht, dass wir diesen Start ins Studierendenleben gemeinsam erleben würden. Ich hatte mir das im letzten Schuljahr oft ausgemalt, wie wir gemeinsam eine Universität entdecken, uns abends von unseren Vorlesungen erzählen, und die Studiparties in den ersten Wochen zusammen besuchen. Erst kurz vor Schulende hat er mir erzählt, dass er noch nicht bereit ist, und noch nicht weiß, ob, oder auch wenn was, er studieren wollen würde. Ich habe mir die Enttäuschung darüber nicht anmerken lassen, weil ich mir blöd und selbstbezogen vorkam. Es war immerhin mein Traum, nicht seiner. Und ich möchte natürlich, dass er den Weg geht, der sich für ihn richtig anfühlt.
Die offene Fensterfront an dieser Seite erlaubt einen Blick über den Park des Hauptcampus.
Das rechtswissenschaftliche Institut ist direkt links von mir, in einem alten barocken Gebäude mit zahlreichen Stuckverzierungen und Fresken im Eingangsbereich. Auf der weiten Wiese vor mir sitzen trotz der windigen Temperaturen immer noch viele Studierende, vereinzelt oder in Gruppen. Einige essen gemeinsam, andere hängen mit den Köpfen in ihren Büchern. Bald werde ich einer von ihnen sein.
Ich schaue auf die Uhr. Das Gespräch scheint länger zu gehen, also entscheide ich mich dafür, mir noch einen Kaffee zu holen.
Gerade hat sich der Coffeeshop ziemlich geleert. Als ich vorhin hier rein kam war es laut und voll. Vermutlich war das die Zeit zwischen den Vorlesungen. Jetzt sitzen nur noch vereinzelt Menschen an Tischen, die meisten tippen in ihre Laptops oder tablets. Neben ihnen stehen Tassen oder manchmal auch ein Croissant oder ein Muffin. Seit ich den Vormittag auf dem Campus verbracht habe spüre ich dieses Gefühl. Es ist wie ein ankommen an einem Ort, von dem du spürst, dass du dich wohl fühlen wirst, das er etwas an sich hat, das euch verbindet.
Diese ganze Atmosphäre, dieses Wissen das hier zwischen den Mauern liegt, das alles fasziniert mich.
"Noch einen Kaffee, bitte", sage ich dem Barista hinterm Tresen, und lege meine neue Studierendenkarte auf das Lesegerät. Nichts passiert.
Da greift der Typ nach meiner Karte und legt sie anders herum hin.
"So rum ists richtig", sagt er und lächelt. Seine Arme sind beidseitig dicht tätowiert, und das schwarze Shirt das er trägt zeichnet einen athletischen Körper ab. Seine schwarzen Haare fallen ihm in die Stirn, als er zu mir aufsieht, und ich muss kurz schlucken. Der Typ ist heiß, huscht es mir kurz durch den Kopf.
Ich nehme den Kaffee und setze mich wieder an meinen Platz am Fenster. Noch immer keine Spur von Noah.

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