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Mister Pierce hat uns allein gelassen, während ich noch immer auf dem Boden knie. Brock lässt Mister Pierce mit demütig gesenktem Kopf an sich vorbei.
Kurz darauf sieht er zu mir. Verängstigt sehe ich ihn an, während er langsam auf mich zu kommt.
Vor mir geht er dann in die Hocke. Um Hilfe ersuchend sehe ich zu ihm hoch und suche den Augenkontakt. Mein Gesicht ist zu einem Flehen verzogen.
"Bitte... Hilf mir zu entkommen... Ich gehöre nicht hierher... Ich habe ein Leben...", flüstere ich verzweifelt.
Brock schluckt, bleibt ansonsten jedoch regungslos.
"Das hatte ich auch einmal. Aber du wirst sehen, es ist nicht so schlimm, wie du jetzt vielleicht denkst", wispert er mir zurück.
Ich wimmere lauter und eine Träne verlässt mein linkes Auge. Meine Schultern sacken ein und ich verstärke meinen Blick der Not noch einmal.
Brock bleibt jedoch kalt: "Komm jetzt, wir müssen schlafen gehen. Der Meister will sein Frühstück morgen pünktlich."

Wieder am Oberarm werde ich auf die Beine und dann durch das Haus gezogen. Von aussen ist es vielleicht süss und herzlich, aber innen ist es eine Designerwohnung, die nur so nach Geld schreit.
Meine Sicht ist von den Tränen verschwommen, dennoch sehe ich mich bestmöglich um. Es hat keine übergrossen Fenster, welche es Nachbarn erlauben würde, hereinzusehen. Die Fenster sind aber auch alle abgeriegelt, womit eine Flucht erschwert wird.
"Denk nicht einmal dran. Glaub mir, du willst nicht ins Labor", zischt Brock mir zu.
Wie ein kleiner Junge nicke ich weinend und lasse mich von ihm weiter durch die Wohnung ziehen.

Bis zu einem begehbaren Schrank. Darin würde ich schlafen?
Am Boden liegen zwei dünne Luftmatratzen, welche absolut nicht bequem sein würden. Meine eigene Matratze zuhause war nicht einmal sonderlich weich.
Aber auf dem Boden schlafen?

Unsicher sehe ich zu Brock, welcher sich schweigend auf eine legt.
Eigentlich habe ich erwartet, dass er wenigstens Kissen und Decken irgendwo aus einer Decke herauszieht. Im September sind die Nächte nicht mehr so warm, als dass ich ohne schlafen könnte...
Brock bemerkt meinen Blick und sieht zurück. Unwillkürlich stelle ich mir die Frage, wie lange er schon hier ist.
"Was ist los?", will er wissen.
"Gibt es keine Decken und Kissen?"
Brock schüttelt den Kopf, als wäre es selbstverständlich.
"Das steht nur dem Meister und seinen Gästen zu. Wir sind einfache Arbeitskräfte, die es nicht wert sind, so viel Aufwand von ihm zu erhalten", erklärt er mir.
Schluckend nicke ich und versuche klarzukommen. Ich meine, ich bin nicht verwöhnt oder so. Ich möchte nur nicht hier sein, als Gefangener oder Sklave.

"Leg dich hin, die ersten Tage sind die anstrengendsten. Vertrau mir", meint Brock.
Verunsichert gehorche ich und lege mich auf die zweite Matte. Nur ist das Problem, dass ich wirklich direkt auf dem Boden liege. Und es ist wirklich nicht bequem.
"Mit der Zeit gewöhnst du dich daran. Ich bin auch nicht freiwillig hier, aber es ist das Beste, was ich noch bekommen kann", murmelt mir Brock zu. 
"Warum haust du nicht ab?", erkundige ich mich. 
"Warst du mal bewusstlos? Bei den Händlern meine ich", stellt er mir eine Gegenfrage. 
"Einer hat mir eine reingehauen, danach war es eine Weile dunkel", gebe ich ihm zu. 
Brock seufzt und ich drehe meinen Kopf zu ihm um. 
"Dann hattest du Glück. Sie pflanzen vor einer Auktion jedem Neuling einen Chip unter die Haut. Bei allen an einem anderen Ort, sodass sie nur schwer zu finden sind.
Wenn wir verkauft werden, erhalten unsere neuen Besitzer den Zugriff zu diesen Chips. Würdest du abhauen, könnten sie dich damit orten und wieder zurückholen. Wenn sie dich wieder haben, kommt es nur darauf an, ob du gesprochen hast. Wenn du sie verpetzt hast, töten sie dich. Ansonsten verstümmeln sie dich einfach, sodass du nicht mehr weglaufen kannst. Oder sie bringen dich in die Labore." 
Nachdenklich schliesse ich die Augen. Ich hatte Glück, dass man mir eine reingehauen hat? 
"Woher weisst du das?", hake ich nach. 
Brock seufzt und ich höre es neben mir rascheln. Doch es ist zu dunkel, um etwas zu sehen. 
"Dein Vorgänger, Tony, hat sich nicht brechen lassen. Eines Nachts ist er geflohen. Als sie ihn wieder fanden haben sie ihm Splitter aus Metall ins Herz eingepflanzt. Beschützt wurde er nur noch von einem ebenfalls eingebauten Magneten. 
Meister Pierce hat die Bedienung dafür. Würde er es wollen, könnte er Tony qualvoll sterben lassen, indem er zulässt, dass die Splitter sein Herz zerstören." 
Ich schaudere bei dieser Geschichte. Diese Typen haben wirklich keinen Skrupel. 
"Wo ist Tony jetzt?" 
"Im Labor. Ich weiss nicht genau was sie dort mit ihm tun. Aber ich bekomme regelmässig mit, wie Meister Pierce die Todeszahlen der Personen, die bei Experimenten dort starben, absegnet." 

Schluckend lege ich den zweiten Arm unter meinen Kopf. 
"Und damit ich dort nicht lande, muss ich Pierce gehorchen?", versichere ich mich. 
"Meister Pierce, möchte er genannt werden. Und ja. Es ist anstrengend und nicht wirklich schön. Aber besser, als bei irgend einem Experiment zu sterben", antwortet Brock mir. 
Schweigend nicke ich und versuche die Verarbeitung der neugewonnenen Daten voranzubringen. So sieht mein Leben ab jetzt also aus. 
Gehorche oder stirb. Mit viel Leid. 

"Was ist Meister Pierce für ein Typ?" 
Brock lacht abfällig und schnaubt. Ich glaube vor meinem inneren Auge sehen zu können, wie er verächtlich die Augen verdreht. 
"Er stellt dir gerne Fallen. Fällst du hinein, bestraft er dich, weil du zu dumm bist. Entgehst du ihr, bestraft er dich, weil du ihm nicht gehorcht hast. Er findet immer einen Grund, um dich zu bestrafen. Und er liebt es, wenn du dich dumm und nutzlos fühlst." 
Meine Brust verkrampft sich bei diesen Worten. Also leide ich auch hier. Und es gibt keine Chance zu entkommen. 
"Vergewaltigt er dich? Oder zwingt er dich zu ähnlichen Sachen?", wage ich die schlimmste meiner Fragen auszusprechen. 
Brock schweigt kurz, was ich als ja nehme. Na super. Das war wirklich das goldene Los. 
"Er tut es manchmal. Nicht mehr so oft, aufgrund seines Alters und seiner unendlichen Arbeit. Aber es gibt Tage, da komme ich nicht drum herum. Und wenn er Gäste da hat, bin ich die Unterhaltung. Egal, wie sie unterhalten werden wollen." 

He is a fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt