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Trigger Warnung: Selbstverletzung

Mitten in der Nacht werde ich wach. Bucky liegt nicht neben mir in dem grossen Doppelbett. 
Verwirrt blinzelnd richte ich mich ein wenig auf und sehe mich in dem Raum um. Es ist dunkel und ich kann ihn nirgend entdecken. 
Es kommt jedoch ein Rascheln aus dem Bad, welches ich erst nach einer gewissen Zeit höre. Es ist sehr leise. 
Seufzend stehe ich auf und folge den Geräuschen. Bucky ist eigentlich noch immer in seiner Klammerphase. Normalerweise hätte er mich geweckt, wenn er mitten in der Nacht auf die Toilette muss. Inzwischen merkt er es ja wieder. 

"Bucky?" 
Vorsichtig schiebe ich die Tür zum Bad auf und strecke meinen Kopf hinein. Es raschelt ein weiteres Mal. 
Achtsam trete ich ein und sehe in die Badewanne. Bucky kauert in der Ecke und sieht mit grossen Augen zu mir. Tränen kullern unaufhaltsam über seine Wangen. 
Er hat die Beine angezogen und die Arme darum gelegt. Seine Flügel bilden eine Art Kokon um seinen Körper. 
"Hey, Buddy. Was ist los?", flüstere ich ruhig und setze mich neben ihn auf den Wannenrand. 
Bucky schluchzt und drückt seine Augen gegen die Knie. Ich höre etwas klirren und beuge mich besorgt weiter nach vorne. 
Zwischen seinen Beinen kann ich eine kleine Rasierklinge glänzen sehen. Natürlich, darauf hätte ich selbst kommen können. 
"Hast du dich verletzt?", frage ich so ruhig wie möglich nach. 
Bucky zittert und denkt offensichtlich nach. Man merkt ihm an, dass er sich vor meiner Reaktion fürchtet. 
"Du kannst es mir sagen, Bucky. Das ist nicht schlimm, ich werde nicht wütend sein. Ich würde nie wütend auf dich sein", versichere ich ihm. 
Zittrig sieht Bucky zu mir auf. Seine strahlend blaue Augen treffen auf meine. Möglichst beruhigend lächle ich ihm zu. 
Schluckend lässt er seine Beine los und streckt sie aus. Buckys Oberschenkel sind mit Schnitten übersäht. Aus manchen tropft sogar noch Blut. Andere sind schon beinahe verheilt. 

So gefasst wie möglich sehe ich darauf. Es scheinen keine tiefen Schnitte zu sein. Nur solche, die einfach sehr weh tun. 
"Kannst du mir die Klinge geben?", bete ich ihn. 
Wimmernd streckt Bucky sie mir entgegen und ich nehme sie behutsam entgegen. Sofort lege ich sie aus seiner Reichweite auf das Lavabo. 
"Komm her, Bucky", weise ich ihn betrübt an und strecke meine Arme aus. 
Zusammengesunken rutscht er zu mir herüber und lässt sich mit dem Rücken zu mir in die Arme nehmen. Seufzend beuge ich mich zu ihm herunter und lege meinen Kinn auf seiner Schulter ab. 
"Willst du mir sagen, wieso du das getan hast? Welcher Gedanke hat dich dazu getrieben?", hake ich leise nach. 
"Ich habe ihn getötet. Ich war so verzweifelt, weil ich glaubte nie mehr herauszukommen. Dann bin ich durchgedreht und habe sie angegriffen. Ich habe ihn getötet und um mich zu bestrafen haben sie ihn zu mir in den Würfel gelegt", erzählt er mir schlotternd. 
Schluckend umklammere ich ihn fester und vermittle ihm damit, dass ich da bin. Ich bin für ihn da und er muss das nicht mehr allein durchstehen. 
"Du hast dich gewehrt. Du wolltest das nicht mehr weiter über dich ergehen lassen und hast dich gewehrt, so gut du noch konntest. Und ja, dabei kam jemand um sein Leben. Aber du hast um dein Leben gekämpft, Bucky. Das darfst du nicht vergessen", beruhige ich ihn. 
Lebhaft kommen mir die Bilder seiner Befreiung auf. Die Leiche, die neben ihm lag, halb verwehst, sticht mir dabei ins Auge. 
Bisher bin ich davon ausgegangen, dass er ein Mitgefangener von Bucky war. Aber offensichtlich, war das eines dieser Schweine, dass ihn so grausam gefoltert hat. 
Und Bucky hat ihn getötet. Aus lauter Angst und Verzweiflung. 
"Aber ich habe einen Menschen umgebracht", widerspricht Bucky mir flüsternd. 
Sofort schüttle ich den Kopf und reibe ihm tröstend über die Brust. 
"Nein Bucky. Ein Mensch hätte dir so etwas nicht angetan. Kein Mensch, würde so etwas tun. Er war ein Monster. Du hast es nur nicht verdient, jemanden umbringen zu müssen, um dein Überleben zu sichern", widerspreche ich ihm direkt. 
Doch Bucky bleibt still und bewegt sich nicht weiter in meinen Armen. 
"Ich hätte auch so überlebt. Ich hätte nur weiter gehorchen und es ertragen müssen", erzählt er mir wispernd. 
"Aber das schafft keiner. Das was du durchgemacht hast, war schlimmer, als alles was ich mir auch nur vorstellen kann. Jeder, der deine Geschichte hören würde, würde mir zustimmen, dass du unschuldig bist. Bitte glaub mir das", versuche ich ihn weiter aufzumuntern. 
Zweifelnd sieht er zu mir auf. So ruhig wie ich kann, lächle ich bestätigend. 
"Ich kann mir vorstellen, dass es dich stark belastet. Aber jetzt weiss ich, was passiert ist. Und ich gebe dir nicht die Schuld. Du warst verzweifelt und verängstigt. Du musst dir dafür nicht die Schuld geben. Für nichts von all dem." 
Bucky nickt schwach und schliesst die Augen. Sein Kopf lehnt sich gegen meine Schultern und er atmet laut aus. 
"Na komm, wir gehen zurück ins Bett", schmunzle ich liebevoll. 
Vorsichtig helfe ich Bucky auf, welche zischt und zu seinen Wunden hinuntersieht. Einige sind wieder aufgerissen und frisches Blut sickert heraus. 
"Okay, setz dich wieder hin. Ich verarzte das kurz, okay?", beschliesse ich kurzerhand. 
Bucky nickt und lässt sich auf den Rand fallen. Ich hole den Erste Hilfe Kasten aus dem Schrank und schnappe mir das Desinfektionsmittel. 
Als ich es aufsprühe zischt Bucky erneut auf und krallt sich in meinem Arm fest. Murmelnd entschuldige ich mich bei ihm , während ich seine Oberschenkel mit Verbänden umwickle. 

Auch wenn es falsch ist, bewegt das Bild von Buckys gespreizten Beinen etwas in mir. Ich muss mich zwingen in der Gegenwart zu bleiben und nicht darüber nachzudenken, was ich mit Bucky in dieser Position alles tun würde. 
Es wird sowieso nichts passieren, weil eine Beziehung zwischen uns verboten ist. Ich bin Buckys Bezugsperson und bis zu einem gewissen Grad sein Therapeut. Eine Beziehung die weiter geht, als dass ich für ihn sorge, ist zu schädlich für ihn. 

Als ich fertig bin und alles wieder versorgt habe, sehe ich zu ihm auf. Er sitzt vor mir und sieht müde auf mich herunter. 
Lächelnd stehe ich auf und führe ihn stützend zurück in unser Schlafzimmer. Erschöpft lässt Bucky sich auf das Bett fallen und zieht mich dabei sogleich mit. 
Lachend lande ich neben ihm auf der Matratze und werde von ihm sofort in eine Umarmung gezogen. Bucky lacht ebenfalls und umklammert mich mal wieder mit all seinen Gliedmassen. 
"Gute Nacht, Bucky. Und wenn wieder etwas ist, zögere nicht, mich aufzuwecken", flüstere ich ihm zu. 
Bucky gähnt und nickt. Kurz darauf ist er auch schon eingeschlafen. 

He is a fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt