°°°40°°°

34 5 0
                                    

Bis Silvester hat sich unser Verhältnis wieder normalisiert. Bucky besteht zwar auf noch intimeren Körperkontakt als bis vor Weihnachten, aber das halte ich aus. Ich bin froh, dass er sich wieder wohler fühlt.
Auch wenn er den ganzen Tag schon ein wenig verschwiegen wirkt. Ich kann mir vorstellen, dass es für ihn belastend sein könnte. Immerhin ist Silvester immer der Tag, an dem man das letzte Jahr noch einmal Revue passieren lässt. 
Und dieses Jahr hat er zum ersten Mal seit drei wieder die Aussenwelt gesehen. Er muss sich bewusst machen, was er in den letzten Jahren erlebt hat. Keine einfache Aufgabe, das weiss ich. 

Vorsichtig trete ich in das Wohnzimmer und sehe zu dem Braunhaarigen. Mehr oder weniger regungslos sitzt er auf der Couch und schaut durch das Fenster nach draussen. Zu meinem Bedauern muss ich zugeben, dass er heute sehr abwesend wirkt. 
Seufzend lehne ich mich an den Türrahmen und beobachte Bucky. Überraschenderweise blinzelt er und dreht sich zu mir um. Er war also doch nicht in einer Dissoziation. 
Sobald ich das verstanden habe, lächle ich und murmle: "Hey, was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?" 
Schweigend schüttelt Bucky den Kopf und ich setze mich wieder in Bewegung. Kaum habe ich mich neben ihn gesetzt, kuschelt er sich wieder einmal an mich heran. Sein Blick ist noch immer trüb, aber er gibt sich Mühe. Das spüre ich. 
Behutsam lege ich ihm einen Arm um seine Schultern. Bucky seufzt daraufhin wohlig aus. 
"Ich kann mir vorstellen, dass der heutige Tag nicht leicht für dich ist. Aber ich bin bei dir und bin jederzeit erreichbar", flüstere ich ihm zu. 
Schweigend nickt Bucky und schliesst erschöpft die Augen. Ob es davon kommt, dass er in den letzten Tagen nur schlecht geschlafen hat, oder ob seine Gedanken heute so anstrengend sind, kann ich nicht sagen. 
Alles, was ich tun kann, um ihm meinen Beistand zu zeigen, ist ihm einen Kuss auf die Stirn  zu drücken. Zufrieden seufzt Bucky und kuschelt sich bequemer an meine Schulter heran. Seine Flügel schaudern kurz und drücken zusätzliches Wohlbefinden aus. 

Nach einer Weile vernehme ich ein Schluchzen neben mir. Besorgt sehe ich zu Bucky herunter, welcher sich von mir weggedreht hat und hinter den langen haaren versteckt. 
Beim nächsten Schluchzend erzittert sein Körper und er bricht ein wenig in sich zusammen. Vorsichtig umgreife ich seinen Oberkörper mit meinen Armen und ziehe ihn zu mir hoch. 
Wimmernd und kraftlos lehnt Bucky sich an mich heran und klammert sich an meinen Armen fest. Seufzend drücke ich mein Gesicht in seine Haare und versuche ihm Beistand zu vermitteln. 

°°° 

"Ich will sie abschneiden. Die Haare, meine ich... Ich möchte sie wieder kurz haben", flüstert er mir lange nachdem er sich beruhigt hat zu. 
Seufzend sehe ich auf ihn herunter. Bucky hat den Blick auf den Baum auf der gegenüberliegenden Strassenseite gerichtet. Aber seine Augen funkeln klare Entschiedenheit aus. 
"Okay, dann tun wir das. Willst du zum Friseur oder soll ich es machen?", murmle ich ihm leise zurück. 
Etwas überrascht sieht Bucky zu mir und blinzelt. Seine Lippen sind ein wenig geöffnet und laden nur so zum Küsse ein. Ich muss mich zusammenreissen, um diesem Gedanken nicht nachzukommen. 
"Kannst du das?", fragt Bucky verwundert bei mir nach. 
"Ja, ich wurde für beinahe alles ausgebildet. Wenn es sein müsste, könnte ich sogar ein Baby zur Welt bringen", erkläre ich ihm sanft. 
Bucky blinzelt erneut und beginnt dann zu lächeln. 
"Dann sollst es du machen. Geht jetzt?", fragt er hoffnungsvoll nach. 
"Sicher." 

Bucky springt auf und fegt mich mit seinen Flügeln beinahe vom Sofa. Er scheint es jedoch nicht einmal zu bemerken, denn er rennt bereits in die Richtung des Bades. Überrascht sehe ich ihm hinterher. 
Seufzend erhebe ich mich ebenfalls und folge dem jungen Mann. Bucky hat bereits eifrig alle Scheren und Kämme herausgelegt. Mit strahlenden Augen sieht er zu mir und ich kann nicht anders, als auch zu lächeln. 
"Okay, setz dich auf den Hocker." 
Ich weise auf den Stuhl, den ich mit gebracht habe und stelle ihn vor dem Spiegel ab. Schnellstmöglich lässt sich Bucky darauf fallen und sieht zum Spiegel. 
"Wie hast du es dir vorgestellt?", frage ich ihn. 
Vorsichtig dreht Bucky seinen Kopf in beide Richtungen und betrachtet sich im Spiegel. 
"Hast du ein Foto, wie ich früher ausgesehen habe?", fragt er dann nach. 
Nickend bestätige ich es ihm durch den Spiegel. 
"Kannst du es so machen, wie damals?" 
"Sicher doch." 
Auf meinem Handy suche ich kurz Buckys Vermisstenakte, mit dem Bild, das Steve und damals gegeben hat. Bucky hatte kurze, lockige Haare und sah verführerisch gut aus. Nicht, dass er jetzt nicht mehr gut aussieht oder so. 
"Okay. Bereit?", flüstere ich ihm gespannt zu. 
Bucky nickt aufgeregt und atmet noch einmal tief durch. Währenddessen nehme ich die Schere in die Hand und schnappe mir einige Strähnen. Vorerst schneide ich nicht zu viel ab, um allfällige Fehler noch zu korrigieren. Ich habe lange nicht mehr solch lange Haare gestylt. 

Die ganze Prozedur über sitzt Bucky regungslos auf dem Hocker und sieht gebannt in den Spiegel. Hin und wieder tropft eine Träne über seine Wange. Er weint jedoch nicht. 
Ich kann mir denken, dass es für ihn eine Art symbolische Abgrenzung oder so ähnlich ist. Immerhin wuchsen seine Haare beinahe dreieinhalb Jahre lang und diese Zeit verbrachte er in Höllenqualen. Das Abschneiden der Haare könnte für ihn also ein Ende dieser Zeit bedeuten. 
Lächelnd versuche ich ihn durch mein Spiegelbild zu beruhigen. Bucky lächelt zwar etwas unsicher und zittrig zurück, aber er wirkt nicht viel entspannter. 
"Wir können jederzeit eine Pause machen, wenn du es benötigst", versichere ich ihm. 
Bucky nickt kurz und sieht dann wieder zu seinem Spiegelbild. Inzwischen sind seine Haare deutlich kürzer und ich bin kurz davor den Rasierer her vorzunehmen, um ihm den Undercut zu verpassen. 

Als ich diesen auch sogleich nach vorne hole, atmet Bucky tiefer durch. Sein Blick wird von der kleinen Maschine in meiner Hand eingenommen. Buckys Augen sind starr und konzentriert auf den Rasierer. 
Er zuckt zusammen, als ich ihn anschalte. Jedoch fasst er sich gleich wieder. 

°°° 

Zwanzig Minuten später sieht Bucky zufrieden lächelnd in den Spiegel. Stolz dreht er den Kopf hin und her und bewundert meine Arbeit. 
"Danke Sam", meint er leise, während neue Tränen über seine Wangen kullern. 
"Sehr gerne doch", erwidere ich. 
Aber ich merke, dass ihm noch etwas auf der Seele liegt. Abwartend sehe ich ihn an, während seine Finger spielen und er um Worte ringt. 
"Gibt...Gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass ihr mich morgen operieren könnt? Die Flügel entfernen, meine ich..." 

He is a fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt