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Matt liege ich am Boden und warte ab. Sie müssten bald kommen, das habe ich im Gefühl. Denn sie sind in einem regelmässigen Rhythmus hier, den ich inzwischen gut kenne. Die Zeiten dazwischen sind auch leichter im Auge zu behalten. 
Jetzt wäre es wieder Zeit für ihren Besuch. Vielleicht noch ein paar Augenblicke. 
Die Zeit messe ich längst nicht mehr in Minuten, Stunden, Tagen oder Monaten. Dafür habe ich dieses Gefühl verloren. Ich verlasse mich nur noch auf mein Gefühl, welches mich inzwischen kaum noch in die Irre führt. 

Aber anstelle dem grellen Licht, welches ihr Eintreten ankündigt, färbt sich das Licht  rot. Ein lauter Alarm erklingt und ich zucke scharf zusammen. Diesen habe ich hier noch nie gehört. 
Die Reibung zwischen den Flügeln und den Seilen lässt mich zischen. Es brennt und surrt schnell und ich kneife meine Augen zusammen. 

Der Alarm dauert lange, genauso wie das rote Licht. Aber es kommt keiner. Weder Schmidt noch Zola. Nicht einmal ihre Helferlein. 
Was ist los? Brennt es? Fliehen sie, während sie mich hier zurücklassen?
Aber sie haben doch einmal gesagt, ich wäre das einzige Experiment das überlebt hat! Stimmt das nicht mehr? Gibt es ein zweites Experiment? Eines das wichtiger ist für sie?  
Lassen sie mich wirklich im Stich? Muss ich sterben? Ist es endlich soweit? Sie lassen mich gehen, zwingen mir keine Schmerzen mehr auf? Nur noch die des Verbrennens, wenn das Feuer den Würfel durchbrochen hat? 
Ist es dann vorbei? 

Lange leuchtet nur das rote Licht und die Sirenen heulen. Alleingelassen mit meinen Gedanken und der immer weiter verwesten Leiche liege ich in dem Glaskasten und warte. Ich warte, bis das Feuer mich endlich erreicht und erlöst. 

Aber zuvor geht die Tür auf. Sofort sehe ich auf. Retten sie mich vielleicht doch noch? 
Ich weiss nicht, was dieser Gedanke mit mir macht. Mein Überlebensinstinkt freut sich, aber meine zerstörte Psyche nicht. Ich weiss, dass ich das nicht mehr lange aushalten würde. 
Doch anstelle von Schmidt, Zola oder Helfern treten vermummte Gestalten ein. Sie tragen schwarze Ausrüstungen, dunkle Helme und grosse Gewehre. 
Angst schnürt sich in meinem Bauch und ich muss leer schlucken. Einerseits ist ein direkter Kopfschuss die schnellste Methode zu sterben. Aber andererseits glaube ich nicht, dass sie zum Labor gehören. Oder sie hätten mich bei meinem Aufstand schon niedergestreckt. 

Akribisch arbeiten diese Leute sich durch das Labor. Die Waffen immer schussbereit gehoben. So still wie möglich verfolge ich sie mit den Augen. 
Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was hier abgeht. Mein Herz pumpt, wie es das nur noch bei Experimenten tut. Die Umluft wird kühler, durch den Angstschweiss auf meiner Haut. 
Als die Unbekannten sich schliesslich davon überzeugt haben, dass ausser mir keine Seele mehr im Labor ist, wenden sie sich mir zu. Verängstigt rolle ich mich ein wenig mehr zusammen und versuche ihren Blicken stand zu halten. 
"Ruft Captain Wilson. Das muss er sich ansehen", ruft einer über das Glas hinweg. 
Eine andere Gestalt zieht sich den Helm über den Kopf. Zum Vorschein kommt eine braunhaarige Frau. 
Fasziniert sehe ich sofort nur noch zu ihr. Seit Ewigkeiten habe ich keine Frau mehr gesehen. Hier im Labor gibt es nur Männer. 
Vorsichtig kommt die Frau auf mich zu, geht dabei sogar um den Würfel herum. Zaghaft drehe ich mich ihr entgegen, bis uns nur noch das Glas trennt. Der Schmerz dabei ist aushaltbar. 
"Hallo, ich bin Maria. Wir holen dich hier raus, ja? Kannst du uns sagen, wo die Tür ist?", stellt sie sich mir sanft vor. 
Beinahe weine ich, bei der himmlischen Weichheit ihrer Stimme. Sie ist so zart und ungewohnt. Und sie will mir helfen. 
Vorsichtig sehe ich zum Tisch und versuche ihr mit ihrem Blick zu zeigen, was sie braucht. Tatsächlich richtet sie sich ein wenig auf und ruft einer weiteren Gestalt zu, dass sie dorthin soll. Diese gehorcht augenblicklich und nimmt zwei Fernbedienungen von dem Pult. Eine ist für den Würfel, die andere für die Maske. 
"Welche ist es? Was müssen wir tun?", fragt die vermummte Person. 
Ebenfalls eine Frau. Wie viele Frauen sind hier? Sind das alles Frauen? Bei diesem Gedanken beruhigt sich etwas in mir. 
Auf ihre Frage habe ich aber keine Antwort. Beide sehen für mich gleich aus. Bis jetzt wusste ich nicht einmal, dass es zwei verschiedene gibt. 
Ahnungslos sehe ich zu Maria und zucke mit den Schultern. Die Bewegung schmerzt in den Flügeln und ich beisse auf den Kiefer. 
"Na gut", murmelt sie nicht mehr ganz so selbstbewusst. "Probiere es aus, Natasha." 
Doch die andere Frau widerspricht: "Was wenn ich die falsche erwische? Was passiert dann?" 
Maria seufzt und sieht besorgt zu mir. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich dann nur das Bewusstsein verliere. 
"Dann machen wir es anders. Wir schlagen das Glas ein", entscheidet sie. 
"Sollen wir nicht lieber auf Captain Wilson warten?", widerspricht eine andere Person. 
Diesmal ist es ein Mann. Beinahe sofort schiesst mein Puls wieder in die Höhe. 
"Na gut", stimmen Maria und diese Natasha zu. 
Maria wendet sich wieder an mich: "Halte durch, ja? Das hier ist bald vorbei. Wir bringen dich hier raus, okay?" 
Zitternd nicke ich und beginne ebenfalls wieder zu hoffen. Ist es tatsächlich vorbei? Haben sie mich gefunden und werden mich auch freilasen? Muss ich nicht mehr länger leiden? 
Aber was wird noch von meinem alten ich übrig bleiben? Würde ich mich in dieser Welt überhaupt noch zurechtfinden? 
Wie lange war ich hier? 

Die Tür öffnet sich ein weiteres Mal. In dem roten Licht taucht eine weitere Gestalt auf und ich spanne mich an. Es ist wieder ein Mann. 
Immerhin ein schwarzer. Diese gab es hier auch nicht. Nur weisse. 
"Was ist los?", will er über die Sirenen hinweg wissen.
Natasha, welche noch zwischen uns steht, macht einen Schritt zur Seite und weist auf mich. Der Mann kommt näher. Ich kann sehen, wie ihm in dem Moment, in dem er mich sieht, die Kinnlade herunterfällt. 
Mit offenem Mund sieht er zu mir, während ich mich unter seinem Blick ducke. Ich kann seinen Schock deutlich erkennen und frage mich insgeheim, wie schrecklich ich aussehen muss. 
Immerhin stecke ich in einer Zwangsjacke, welche teils Blutgetränkt ist. Dazu liege ich nur in Unterwäsche hier und der Kot- sowie Urinbeutel hängen sichtbar heraus. Nicht zu vergessen meine fettigen, viel zu langen Haare. 
Und die Leiche, die auch noch hier liegt. 

He is a fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt