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Als ich das nächste Mal aufwache, hat Sam ein Feldbett gestellt bekommen. Jetzt gerade liegt er auch darauf und schläft tief und fest.
Ausserhalb des Fensters ist es dunkel, weshalb ich die Bestätigung habe, dass Nacht ist. Es erleichtert mich ungemein wenigstens wissen zu können welche Tageszeit wir haben. 
Ich habe keine Ahnung, was für ein Datum wir haben. Nicht einmal die Uhrzeit kann ich erahnen. Aber die Tageszeit ist schon ein riesen Fortschritt. 

Schwankend kämpfe ich mich aus dem Bett und halte mich zur Stabilisierung am Rahmen fest. Kurz dreht sich die Welt wieder, dadurch dass ich so lange auf dem Boden oder dem Bett gelegen habe. 
Sobald das gebessert hat, wage ich die ersten Schritte. Vorsichtig humple ich um das Bett, den Metallständer mit dem Infusionsbeutel am Haken, nutze ich als Stütze. 
So leise wie möglich, um Sam nicht aufzuwecken, bewege ich mich auf das Fenster zu. Vor Anstrengung zitternd schiebe ich die Vorhänge zur Seite und blicke nach draussen. 
Beinahe beginne ich wieder zu weinen. Das erste Mal seit Ewigkeiten kann ich nach draussen sehen. Die Nacht ist dunkel und die Strassenlaternen spenden das einzige Licht. 
Es ist beinahe wie ein Traum. Ein unglaublich realistischer Traum, von dem ich dachte nur noch fantasieren zu können. 
Lange sehe ich nur hinaus und nehme diesen wunderschönen Anblick in mir auf. 

Meine Beine zittern vor Erschöpfung. Ich habe viel zu lange vor dem Fenster gestanden und die Freude genossen mehr als nur einen Raum sehen zu dürfen. 
Doch nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich zusammenbreche. Die Flügel werden immer schwerer und meine Beine drohen jeden Moment nachzugeben. Verzweifelt realisiere ich, dass ich nicht mehr zum Bett komme. 
Hilflos sehe ich mich um, nach einer Möglichkeit zurück zu kommen. Aber es gibt keine. Die Stühle sind noch weiter weg und auf der näheren Seite des Bettes schläft Sam. 
Ich würde auf dem Weg dahin zusammenbrechen! 

Irgendwie scheint Sam mein Dilemma bemerkt zu haben. Denn plötzlich regt er sich und sieht auf. Kurz blickt er sich hektisch um, als er das leere Bett bemerkt, bis sein Blick auf mich trifft. Um Hilfe ersuchend starre ich ihn an. 
"Hey Bucky, alles in Ordnung? Geht es dir gut?", bemerkt er schnell. 
Ich wimmere als Antwort und versuche das Gleichgewicht zu halten. Auch wenn ich gerade beginne zu schwanken und meine Knie gleich wegknicken. 
Sam scheint das Problem zu begreifen. Direkt springt er auf und kommt mit vorsichtig gehobenen Händen auf mich zu. 
"Okay, schon in Ordnung, ja? Du kommst nicht mehr zurück, oder?", errät er. 
Ich nicke wehleidig. 
"Alles klar, ich helfe dir. Na los, gib mir deine freie Hand. Ich unterstütze dich", bietet er mir an. 
Dankbar nicke ich und greife nach seiner ausgestreckten Hand. Er nimmt sie sanft und stellt sich neben mich. So vorsichtig er kann greift er nach meinem unteren Rücken, kurz über meiner Hüfte. 
Es tut weh, aber mit Sams Hilfe schaffe ich es zurück zu dem Bett. Erschöpft breche ich auf der Matratze wieder zusammen und bleibe schwer atmend liegen. Verdammt, was ist mit meiner Kondition passiert? 
Sam setzt sich vorsichtig auf das eigene Bett und ich drehe mich mühselig zu ihm um. Der Dunkelhaarige lächelt, was ich in der Dunkelheit nur spärlich erkennen kann. 
"Du wolltest einfach durch das Fenster nach draussen blicken, nicht wahr?", errät er. 
Beschämt nicke ich und senke den Blick. Das war dumm. Ich schaffe es kaum aufs Klo und wieder zurück. Warum habe ich diese Aktion gestartet? 
"Hey, ist doch nicht schlimm. Es ist völlig verständlich, dass du die Welt sehen wolltest. An deiner Stelle hätte ich es genauso getan", beruhigt er mich. 
Schüchtern hebe ich meinen Blick wieder und sehe zu ihm. Sam lächelt und legt sich wieder in das Bett. Er mummelt sich unter die Decke und legt sich bequemer hin. 
Flüsternd melde ich mich zu Wort: "Sam? Danke, dass du mir geholfen hast. Und es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe." 
Meine Stimme ist krächzend und rau. Man merkt, dass ich sie lange nicht benutzt habe. Aber im Labor hat mir nie jemand zugehört. Also habe ich nach einer Weile aufgehört zu betteln. Manchmal schrie ich nur noch. 
"Aber natürlich Bucky. Deswegen bin ich bei dir", erwidert Sam genauso leise. 
Eilig nicke ich, während mir wieder Tränen kommen. Er hört mir zu. Er hilft mir und fügt mir keine Schmerzen zu. Er ist nett zu mir. 
Möglichst lautlos schnappe ich nach Luft und versuche ein Jammern zu unterdrücken. Ein Schluchzen durchbricht dennoch meine Lippen. 
Sofort sitzt Sam wieder aufrecht und ist näher an mich herangerückt. Verzweifelt versuche ich mich hinter meinen Armen zu verstecken. 
Aber Sam hält sie bereits sanft fest und mustert mich besorgt. Gefangen in dem Gefühl von Körperkontakt sehe ich ihn nur an. Sam scheint nicht daran zu denken, meinen Blick nicht zu erwidern. 
Starr sehen wir uns in die Augen und ich könnte weinen. Diese Augen sind wunderschön und mit so viel Liebe gefüllt. 
Die Augen von Schmidt oder Zola waren das nie. Sie waren kalt, abweisend und distanziert. 

"Wir bekommen das hin, Bucky. Ja? Wir bekommen das hin", verspricht er mir auf einmal. 
Ich nicke und rolle mich müde weiter zusammen. Dabei kratzen die Flügel wieder in den Seilen. Ein schmerzjammernder Laut entkommt mir und ich drücke meine Augen zusammen. 
Sam rückt eilig noch etwas näher an mich heran. 
"Was ist los?", fragt er auch sogleich nach. 
Beschämt sehe ich zu ihm auf. Dabei versuche ich aber den grössten Schmerz herauszuhalten. 
"Das Netz tut weh. Es ist zu eng", gebe ich leise zu. 
Sam beugt sich zur Seite um es besser sehen zu können. Schweigend warte ich sein Urteil ab. 
Tatsächlich denkt er kurz nach, starrt dabei aber weiterhin auf den Federball auf meinem Rücken. 
"Wirst du damit jemanden angreifen, wenn ich es loslöse?", hakt er nach. 
Sofort schüttle ich den Kopf. Ich habe es gelernt. Ich möchte nicht wieder neben einer Leiche liegen müssen. 
"Okay, ich lasse das Netz morgen entfernen. Morgen bist du es los, ja?", verspricht er mir. 
Dankbar nicke ich und sehe zu ihm. Sam seufzt und legt sich selbst auch wieder hin. Augenblicklich kralle ich mich an seine Hand, damit er nicht loslässt. Er lässt es ohne Beanstandung zu und bald schlafen wir beide wieder ein. 

He is a fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt