Schwester

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Als der Zusammenbruch mich überrollte und mein gewohntes Leben plötzlich davon schwamm, gab es eine monumentale Figur, die mich aus dem Wasser zog. Es war eine zarte, schmale Ordensfrau, Seelsorgerin in dem Krankenhaus, wo ich arbeitete.

Sie nannte sich selbst "die Bittere". Für mich war sie die Wunderbare. Im Gesicht schwer gezeichnet von einem unbekannten Unheil, das sie vielleicht vor, vielleicht irgendwann nach der Geburt ereilt hatte, strahlte sie Wärme, Gewissheit und Gnade aus. Ihr Verhältnis zu Gott, Patienten, Angehörigen und Personal war zärtlich, umsichtig und klug. Ihre überragende kommunikative Kompetenz ließ keinen Raum für Verunsicherung oder Fragen nach ihrem merkwürdigen Geschick.

Ich habe mich mit ihr angefreundet, als sie mir zufällig begegnet war, als ich zu früh für mein Vorstellungsgespräch im Haus angekommen war. Sie war mir zugefallen, noch bevor der Countdown begann. Das war ein gutes Los. Es war meine Rettung. Als ich die Kündigung erhielt, begegnete sie mir wieder - wie so oft zuvor, nahm sich Zeit und breitete ihre geistigen Arme aus. Sie stellte viele Fragen, hörte lange zu und erklärte mir schließlich meine Situation.

Sie sprach von scheinbar verschollenen Gefühlen aus der Kindheit, die plötzlich hervor treten und viel zu groß zu sein scheinen für die Gegenwart, erzählte von ihrer Therapie und den Schwierigkeiten des Lebens. Sie sagte mir: "Sie können nicht mehr pflegen. Sie müssen sich jetzt erst um sich selbst kümmern.", empfahl mir, mir Hausarzt/Ärztin und Therapeut/in zuzulegen. Als ich in Schwierigkeiten geriet, weil der Arzt meine Situation nicht verstand und die Therapeutin meinen Glauben ablehnte, fand sie für mich geeignete Leute. Und dann gab sie mir eine Telefonnummer, unter der ich sie Tag und Nacht erreichen konnte. Ich machte davon so selten wie möglich Gebrauch, denn ich wusste, sie hatte viel zu tun. Aber das war eine entscheidende Brücke zum Leben.

Noch Jahre später gab es gelegentliche Telefonate, nun entspannter und zu zivilen Zeiten. Zuletzt vertraute sie mir an, was ich selbst lange geahnt hatte: Sie war selbst eine Überlebende von schwerster Gewalt, Misshandlung und Ausbeutung in Kindheit und Jugend. Inzwischen war ihre Gesundheit angeschlagen, die Fülle ihrer Aufgaben nicht mehr leicht zu bewältigen. Doch um sich zu retten, ihre Situation zu verbessern, hätte sie die Seelsorge im Krankenhaus aufgeben müssen. Das konnte sie nicht. Das war ihr Baby, ihr Lebenswerk. Sie konnte es nicht loslassen und starb wohl daran. Als ich sie wieder einmal erreichen wollte, erfuhr ich von ihrem Tod. Ihre Nachfolgerin sang ihr Lob - wie ich es hier tue. Und wenn es einen Grund gibt, dass ich dieser Kirche treu geblieben bin, auch wenn ich sie nicht mehr besuche, dann sind es Menschen wie diese Frau, denen ich mein Leben verdanke.

Wenn sich in mir das Konzept gebildet hat von 'dem Leben dienen', dann verdanke ich das gewiss dieser Schwester und anderen Ordensleuten, deren selbstloser Dienst mich durch die Zeit getragen hat.

Die Fülle des Lebens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt