Versöhnung

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Persönlich:

Als meine sterbende Mutter um Vergebung bat, habe ich es nicht geschafft, sie zu besuchen. Ich habe sie nicht mehr gesehen.

Die Versöhnung kam - nach ihrem Tod, als ich ihr nachspürte in den Räumen, die sie bewohnte, und den Menschen begegnete, die ihr Umgebung waren. Da begriff ich, sie war zurück gekehrt zu sich, zu dem, was sie einmal war, lange bevor mein Vater sie schändete. Sie war zurückgekehrt zu ihrem verschütteten Selbst, ihrer verschütteten Fülle, die auf manchen alten Fotos sichtbar wird. Mit diesem Teil von ihr konnte ich mich verbinden und alles andere, was mich belastete, ziehen lassen.

Hindernisse:

Wenn ich das so schreibe, schäm ich mich noch heute, dass ich damals nicht bei ihr war. Doch als ich neulich Unterlagen aus jener Zeit durchging, sah ich, dass damals parallel zu dieser Geschichte andere Dinge mein Leben blockierten, die mich überforderten.

Als die Nachricht kam: Es gab einen Darmschluss. Die Operation ist gelungen, aber der Krebs ist zurück und nicht operabel. Sie ist nun im Hospiz und wird sterben. Und - sie möchte sich mit uns versöhnen. Da ging bei mir eine Lawine von Emotionen los, mit denen ich nicht gerechnet habe.

Alles, was vorher fest erschien, kam nun ins Rutschen und ins Rollen. Sie hatte mich kalt erwischt. Nie zuvor hatte sie irgend ein Signal gesendet, das in diese Richtung ging.

Wir waren ihre Kinder, hatten zu ertragen, was sie uns antat. Es gab kein Ausweichen, keine Widerworte. Wir hatten zu funktionieren. Wenn nicht, war es unsere Schuld. Die Idee von der Schuld der Mutter, dass die zwischen uns verhandelt werden könnte, lag außerhalb des Universums, das wir mit ihr bewohnten. Wollten wir dergleichen auch nur formulieren, so mussten wir ein Parallel-Universum erschaffen für uns allein oder uns und unsere Freunde. Sie hatte an diesen Überlegungen keinen Teil.

Und nun das: Erdrutsche von bislang festgetretenen Emotionen ereigneten sich, und ich kam mir selbst nicht hinterher. War ich fähig, in diesem Zustand und über diesen Zustand mit ihr oder auch nur mit meinen Geschwistern zu sprechen? Nein. Ich musste die Worte erst finden, die Konzepte erst formen, um zu verstehen, wie mir geschieht.

Ich befand mich plötzlich auf offener See, der Wut der Elemente ausgesetzt. Und dann explodierte ein verborgener Vulkan aus Wut und Verzweiflung. Ich glaube, ich brauchte zwei bis drei Wochen, um ans andere Ende des Chaos zu gelangen. Als ich endlich friedliche, versöhnliche, für sie verständliche Worte gefunden hatte, die ich ihr schicken konnte, erfuhr ich von ihrem Tod. Sie hatte sich beeilt. Von zwei bis drei Monaten war die Rede. Sie hatte nach zwei bis drei Wochen genug.

Umgekehrt:

Umgekehrt erging es meiner älteren Schwester. Sie war vor Ort und ließ sich auf das Angebot ein. Zunächst war sie recht angetan. Doch nach dem Tod der Mutter brach es Feuer speiend aus ihr heraus: Dieses schmutzige Haus. Sie wollte es nie mehr betreten. - und, und, und.

Nun war ich diejenige, die sich kümmerte. Ich fand Baupläne und Verträge, die meine Schwester brauchte, um geeignete Maßnahmen in die Wege zu leiten. Ich habe für den großen Gummibaum und andere Pflanzen ein neues Zuhause und für die vielen Dinge, die entsorgt werden sollten, ein Sozialunternehmen gefunden, habe Bücher für die Bibliothek des Altenheims, in dem unsere Tante lebte, zusammengestellt, ein Bild des Großvaters gefunden, von dem die Tante nichts wusste und von dem sie begeistert war. Ich habe Bilder und Dokumente aus unserer Familiengeschichte evakuiert, die sonst einfach auf dem Müll gelandet wären.

Bin ich deshalb die große Heldin und meine Schwester die Looserin? Nein. Ihr ist das passiert, wovor ich mich gefürchtet habe: Ich dachte mir: "Wenn ich jetzt einfach hingehe und der Mutter einen Blankoscheck ausstelle, damit sie in Frieden und mit dem süßen Geschmack der Versöhnung sterben kann. Wenn ich dabei über meine Gefühle hinweg gehe, werde ich dafür für den Rest meiner Tage bezahlen. Ich werde unversöhnter leben als zuvor.

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