Nikolaus von Kues

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Heiliger Mathematiker:

Nikolaus von Kues, Mathematiker, Theologe, Philosoph, Kirchenrechtler, Kirchenpolitiker, Bischof, Kardinal gehört zum Kanon der katholischen Heiligen, ist aber als Heiliger wenig bekannt. Geboren im idyllischen Mosel-Städtchen Kues, wo bis heute sein Geburtshaus und seine bis heute funktionierende Stiftung für arme Mitbürger zu besichtigen sind, ist er viel herum gekommen und hat Einfluss und Ämter erworben in der katholischen Kirche. Er hat sich als kirchenpolitischer Diplomat einen Namen erworben und als unbeugsamer Kirchenfürst blamiert. Mir aber ist er als mathematischer Mystiker begegnet.

Als sich vor Jahren die Gelegenheit ergab, habe ich die kleine Moselstadt besucht, die gemäß dem Brauch seiner Zeit Teil seines Namens geworden ist, habe die hellen, großzügigen und doch nicht überladenen Gebäude aus dem Spätmittelalter besichtigt. Das war ich einem der Helden meiner Jugendtage schuldig.

Ankunft:

Er ist still in mein Leben eingetreten und hat sich nachhaltig und dauerhaft dort niedergelassen, nicht als Heiliger oder bedeutende historische Gestalt, sondern als Philosoph, Theologe und mathematischer Mystiker. Er wartete auf mich in einer Buchhandlung meiner Heimatstadt in Form einer preisreduzierten Reclam-Ausgabe von 'De possesse', 'Vom Seinkönnen' (dt Reclamtitel) - oder 'Von der Möglichkeit des Seins'. Das ist eine theologisch metaphysisch mystische Schrift, die mit mathematischen Gleichnissen die Natur Gottes zu erkunden sucht.

Das war meine erste bewusste Begegnung mit verschrifteter Mystik. Und entsprechend war mir zu Mute: Mir war als betrete ich ein verborgenes Heiligtum voll tiefer Weisheit. Noch heute ist mein Gefühl, wenn ich mich in Gedanken an dieses Buch erinnere, das Gefühl dankbarer Ehrfurcht und Anbetung - nicht gegenüber Nikolaus von Kues sondern gegenüber Gott.

Das Gleichnis:

Zentral wurde für mich ein mathematisches Gleichnis, das Gleichnis vom Kreisel. Es beginnt mit der Beobachtung, dass ein Kreisel, der sich sehr schnell dreht, zu stehen scheint. Könnte ein Kreisel sich unendlich schnell und lang drehen, was physikalisch zumindest in dieser Welt nicht möglich ist, würde er noch mehr den Eindruck vollständigen Stillstandes vermitteln. Die Gegensätze von Bewegung und Stillstand fielen unter diesen Umständen zusammen. Denn jeder einzelne Punkt auf diesem Kreisel würde zu jedem Zeitpunkt zugleich am Ausgangspunkt und jedem anderen Punkt auf der gleichen Höhe des Kreisels sein.

Natürlich hat der Gedanke physikalisch und mathematisch einen Haken, denn in einer Welt, wo dergleichen möglich wäre, würde zugleich Raum und Zeit nicht mehr existieren und damit auch keine Geometrie und kein Kreisel, keine Oberfläche, auf dem der Kreisel in unendlich schneller Bewegung quasi unbegrenzt still und gerade stehen könnte.

Aus Kreisel wird Kreis:

In diese Welt, dieses Vexierbild paradoxer, einander aufhebender Vorstellungen entführt uns der Autor im zweiten Schritt seines Gedanken-Experimentes. Er lässt uns virtuell von oben auf den vorgestellten Kreisel schauen und ihn vereinfacht zweidimensional als Kreis erfassen. Ein Kreis, der sich unendlich schnell um den eigenen Mittelpunkt dreht.

Umgeben ist dieser Kreis mit einem konzentrischen Kreis, der in sich ruht. Das heißt, ein Kreis mit dem gleichen Mittelpunkt, der sich nicht bewegt. Wenn wir nun virtuell auf dem ersten Kreis zwei gegenüber liegende Punkte einzeichnen (A und B) und das gleiche mit dem konzentrischen Kreis machen (A' und B'). A' befindet sich bei A und B' bei B. Dann sind die Punkte A und B auf dem sich unendlich schnell bewegenden ersten Kreis, sobald dieser sich bewegt, jeweils gleichzeitig bei Punkt A' auf dem ruhenden Kreis und jeweils gleichzeitig bei Punkt B', denn bei unendlich schneller Bewegung ist der zeitliche Abstand zwischen dem Eintreffen von A und B gleich Null. Das heißt, unter diesen Umständen, fallen zwei Punkte mit der maximalen Entfernung voneinander, die einander normalerweise nicht berühren können, in eins. Unter diesen Umständen fallen alle Gegensätze zusammen. Sie werden aufgehoben. Und mit ihnen Raum und Zeit.

Gott als Punkt:

Die gegenüber liegenden Punkte auf dem Kreis/el sind ein Gleichnis für die Gegensätze dieser Welt, die sich aus Zeit, Raum, Entfernung und Grenzen in dieser Welt ergeben. Der sich unendlich schnell drehende Kreis, in dem Raum und Zeit und alle Gegensätze zusammen fallen, ist ein Gleichnis für Gott. In Gott existiert weder Raum noch Zeit. In Gott fallen alle Gegensätze zusammen. Gott ist mathematisch gesehen ein Punkt, erklärt Nikolaus von Kues. Zugleich ist Gott nach Nikolaus von Kues, gerade weil Zeit und Raum in ihm nicht existieren, immer und überall. Gottes paradoxe Existenzform ist zum einen die alles, was wir kennen, aufhebende Einheit von allem und die verborgene Anwesenheit in allem.

Gott ist in der Vorstellung von Nikolaus Cusanus offenbar vor Raum und Zeit, nach Raum und Zeit, jenseits von Raum und Zeit und gerade darum in Raum und Zeit immer und überall.

Der Blick Gottes:

In einer anderen Schrift, die ich erst dank meines Besuchs in seiner Heimatstadt für mich entdeckt habe, nutzt Nikolaus Cusanus ein anderes Gleichnis, um seine Vorstellung von immer und überall zu entwickeln. In diesem Fall schreibt er für eine Ordensgemeinschaft und nutzt eine Erfindung seiner Zeit, um der Gemeinschaft zu erklären, dass Gott immer alle gleichzeitig sieht.

Im 15. Jahrhundert, als Cusanus sein Leben zwischen Deutschland und Italien verbrachte, war in Italien die Renaissance in voller Blüte, während in Deutschland die Renaissance allmählich das Spätmittelalter ablöste. Eine Errungenschaft jener Zeit waren realistische Porträts, darunter auch solche, die den Eindruck erweckten, jeden Betrachter immer anzuschauen, egal wo diese Betrachterin gerade stand.

Stellt euch vor, sagt Nikolaus zu der Gemeinschaft, ihr steht einem solchen Bild gegenüber. Jeder von euch hat dann den Eindruck, das Bild schaut ihn an. Genau so ist es mit Gott. Er sieht jeden einzelnen immer überall.

Meister Eckart:

Bei Wikipedia erfahre ich, dass Nikolaus von Kues von den Schriften des Meister Eckart beeinflusst wurde. Den habe ich nach Nikolaus Cusanus kennen und schätzen gelernt. Er begegnete mir in der Form seiner mittelhochdeutschen Schrift von der Abgeschiedenheit.

Das Tür-Gleichnis:

Der zentrale Gedanke bei 'von der abegescheidenheit' ist, dass Christen in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt sind. Sie folgen anderen Spielregeln. Und diese anderen Regeln transformieren ihr Leben, heben es auf eine andere Funktions-Ebene.

Meister Eckart bringt viele Gleichnisse, um die Idee der inneren unbewegten Stille in beständiger Anschauung Gottes, die er für die einzig adäquate Existenz-Form für Christen hielt, verständlich zu machen. Mir in besonderer Weise in Erinnerung ist das Gleichnis von der Tür. Er unterscheidet Tür und Angel. So ruht die Gott gefällige Seele - seine Beispiele sind Jesus und Maria - zu jeder Zeit in Gottes Anwesenheit, auch wenn äußerlich betrachtet viel los und einiges an irdischen Handlungen erforderlich ist.

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