Verzicht Ist Uncool

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A. Die gesellschaftliche Dimension:

Es war - wenn ich mich recht entsinne - inzwischen vor einigen Jahren, als ich einem Technik-Podcast der FAZ lauschte und in etwa dieser Satz fiel: "Verzichten ist uncool." Die beiden Gesprächspartner waren sich einig, dass eine technische Lösung für all die Probleme her muss. Es kann nicht sein, dass wir bei unserem Lebensstandard und Konsumverhalten Abstriche machen müssen. Und wenn ich es richtig sehe, hat eben diese Stimmung in einem Teil der Bevölkerung die FDP in die Regierung gespült.

Christian Lindner glänzte in TV-Wahlkampfschlachten sinngemäß mit dem Versprechen: "Es wird alles gut! Ihr braucht euch überhaupt nicht ändern oder umstellen. Wir werden natürlich unsere Klimaziele erreichen - aber bitte - technologieoffen! Vertrauen wir doch einfach unseren genialen Ingenieuren." (Inzwischen spielt diese Rolle - mit etwas anderem Spin und wesentlich erfolgreicher - Sarah Wagenknecht.)

Aus seiner Sicht war schon der Verzicht auf den Verbrennermotor oder ein Tempolimit des Teufels und ein eindeutiges Zeichen dafür, dass da jemand nicht an technischen Fortschritt glaubt.

Wenn jemand ihn fragte, wie er sich das denn konkret vorstelle, sagte er lächelnd und überlegen, er habe keine Ahnung. Und ehrlich gesagt, das war auch mein Befund vor meinem digitalen Endgerät: Der Typ hat keine Ahnung und davon jede Menge - Container-Schiff-Weise. Mindestens. Und er verkaufte diese Ahnungslosigkeit mit großem Geschick und in großen Mengen an Leute, die genau diese Botschaft brauchten: Es wird sich nichts ändern. Es braucht sich nichts ändern. Wir können bleiben, wie wir sind, machen, was wir wollen und es wird sich schon jemand finden, der unsere Probleme für uns löst.

Technischer Fortschritt:

Man verstehe mich nicht falsch. Ich bin ein großer Fan von genialen technischen Lösungen - egal ob Hightech oder Lowtech - und habe Jahre damit verbracht, Berichte über spannende technische Innovationen zusammen zu tragen.

Ich habe epische Diskussionen von Tech-Nerds zu den Leistungsgrenzen von Verbrennermotor, Elektroauto und Wasserstoff verfolgt, habe mir angehört, was Experten zu Energiesystemen oder Baustoffen der Zukunft zu sagen haben, oder die Bedeutung von Ökosystemen für die Landwirtschaft der Zukunft erkundet.

So sehr habe ich mich mit diesen Fragen befasst, dass mein Nervensystem anfing, sich eine ganze utopische Gesellschaft mit einer utopischen Wirtschaft, utopischen Warenströmen, sozialen Innovationen, also Lösungen aus aller Welt zusammen zu reimen.

Die Falle:

Ich glaube an Technologie. Aber jede technische Lösung muss sich im konkreten Anwendungsfall in ein System komplexer Wechselwirkungen einfügen und dort funktionieren.

Wenn ich als Porsche-Fahrer als besonderes Angebot künstliches Benzin nutze, das über x Verfahrensschritte quasi aus Wasser und CO2 entsteht, mag das für Porsche ein praktikables Geschäftsmodell sein und für mich ein angenehmes Gefühl, weil ich mit meinem Verbrenner die Luft weniger verschmutze als andere und kein zusätzliches CO2 verursache, zumindest, wenn die Firma, der ich vertraue, nicht mogelt.

Was aber passiert, wenn ich versuche, dies Angebot für alle interessierten Bürger:Innen auszurollen, die wie ich gerne bei ihnem Verbrenner bleiben würden? Dann wird es ziemlich schnell ziemlich teuer - oder herausfordernd.

Wollten wir in Deutschland all das zusätzliche künstliche Benzin herstellen, das dafür gebraucht wird, bräuchten wir so ziemlich allen erneuerbaren Strom, den wir haben, und kämen mit der Dekarbonisierung der anderen Bereiche nicht mehr voran. Würden wir mit der gleichen Menge Strom Batterie-Autos betreiben, kämen wir wesentlich weiter und hätten geringere Kosten, weil E-Autos energieeffizienter sind und all die aufwendigen Arbeitsschritte, die auf die Stromproduktion folgen, hier wegfallen.

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