Moskau

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'Moskau' ist der Titel eines wenig bekannten Buches von Theodor Plivier. Es ist ein dokumentarischer Roman und einer von mehreren Gründen, warum ich- anders als ein großer Teil der Experten - fest vom kommenden Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine überzeugt war.

Pliviers 'Moskau' und 'Die Wohlgesinnten' von Jonathan Littell beginnen mit der großen deutschen Armee, die sich 1941 - ein Jahr, bevor meine Eltern geheiratet haben - an der langen Grenze zwischen deutschem Reich - samt staatsähnlicher Gebilde, die faktisch dem deutschen Reich gehörten - und Sowjetunion versammeln. Es gibt nichts mehr zwischen diesen Gegnern, die bis zu diesem Einmarsch Verbündete waren und sich nun unausweichlich in einen Vernichtungskrieg verstricken, wo nur einer bestehen kann, der andere untergeht.

In kleinerem Format und anderer Konstellation hat sich das zu meinen Lebzeiten wiederholt, in Irak und Afghanistan. Genauso unbegründet, rechtlos, unvernünftig und teilweise ähnlich verheerend in den Auswirkungen. Irak und Afghanistan haben keinen Weltkrieg ausgelöst, aber einen dauerhaften Flächenbrand im Nahen Osten, einen brutalen Aufstieg weltweit agierender Terror-und Mafia-Organisationen und einen tiefen Riss der Verunsicherung, Dysfunktionalität und des verlorenen Vertrauens in die regelbasierte internationale Ordnung.

Wohlgemerkt, die Vereinigten Staaten sind da meines Wissens nicht einmarschiert, um sich dauerhaft fest zu setzen und Kolonien zu errichten, wie Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Niederlande und England das lange getan haben. Aber sie haben sich als selbsternannte Schutzmacht internationalen Rechts und internationaler Verträge - zumindest mit Irak - kaltblütig über Recht und Verträge hinweg gesetzt und damit die internationale Ordnung, auf die wir alle angewiesen sind, in Frage gestellt.

Es war eine Steilvorlage für all jene, die an Moral, Spielregeln und Rechte anderer nicht glauben, sondern an Macht, Gier, Selbstbereicherung und Versklavung. Dieses Geschwür hat sich um den gesamten Globus verbreitet. Mit dem Einmarsch in die Ukraine ist es an einer Stelle aufgebrochen. Mit dem 7. Oktober und dem brutalen Einmarsch von israelischen Truppen in Gaza an einer anderen. Der Riss hat sich in Abgründe verwandelt, die uns zu verschlingen drohen, wenn wir nicht unsere Gedanken geordnet bekommen und etwas tun.

Literatur:

Ich war mit meiner eigensinnigen Wahrnehmung, dass der Einmarsch bevor steht, nicht allein. Zu Beginn des vollen Krieges zeigte mir im FAZ Literatur-Podcast ein Interview mit einer Verlegerin oder Lektorin für osteuropäische Literatur, dass auch sie mit dem unaufhaltsamen Unheil aus Moskau rechnete. Sie war auf ähnliche Weise wie ich zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Meine Beschäftigung mit Texten, die die vergangene Welt meiner Eltern zum Leben erwecken, haben mich zusammen mit eigenen Erfahrungen sensibilisiert für bestimmte Muster, die sich in der Geschichte der Menschheit wiederholen. Ihre Beschäftigung mit zeitgenössischer Literatur hat sie aufmerksam gemacht auf die Katastrophe, die sich in Moskau zusammen braut.

Geschichte:

Timothy Snyder, ein Historiker und Yale-Professor ist auf ähnlichen Wegen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Er ist Osteuropa-Experte, spricht die Sprachen der Region und ist bei seinen Forschungen zum Holocaust auf all die anderen Völkermorde gestoßen, die in den gleichen Ländern zuvor, danach oder parallel stattgefunden haben.

Laut Snyder waren es zuerst Überlebende des Holocaust, die ihn auf den Holodomor, das gezielte Verhungern-Lassen der Landbevölkerung, besonders in Kasachstan und Ukraine mit Millionen Toten allein in der Ukraine, aufmerksam machten. Die Deportationen, Versklavung, Folter, Erschießungen mit Millionen Opfern aus unterschiedlichen Volksgruppen unter Stalin kamen später hinzu.

Seine Forschung zu Struktur und Ideologie des Nationalsozialismus hat ihn sensibilisiert für strukturelle und ideologische Entwicklungen in Moskau, die das Zeug haben, die ganze Welt in Brand zu setzen.

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