Hanna Mandel

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Hanna Mandel war eine ungarische Jüdin und ich hatte das große Glück, ihr zu begegnen.

Das bedarf einer Erklärung: Ich habe mir die Bezeichnung 'ungarische Jüdin' nicht ausgedacht. Es war das Label, unter dem sie selbst in der Öffentlichkeit auftrat. Und es wog schwer.

Hanna Mandel verdankte ihr Leben dem Aufeinandertreffen widersprüchlicher Impulse aus Berlin. Einerseits war man dort fanatisch damit beschäftigt, die Juden, das Judentum und alles Jüdische auszurotten. Erbarmungslos.

Andererseits verschlang die Maschinerie der Vernichtung und des Vernichtungskrieges Unmengen an Arbeitskräften, und man wusste kaum mehr, wo man sie alle her holen sollte.

Juden in Ungarn:

Ungarn mit seinem autoritären Regime gehörte ursprünglich zu den Verbündeten Deutschlands. Denn die ungarische Regierung versprach sich von diesem Pakt Landgewinn.

Solange dieser Pakt hielt, waren die Juden in Ungarn sicher. Denn ihr Staat lieferte sie nicht aus. Die Leute fühlten sich offenbar so sicher, dass sie nicht versuchten, das Land zu verlassen. Und die Regierung ließ sie weitgehend in Ruhe. (Genaueres erfährt man beispielsweise im Film 'Sunshine' - deutsch 'Ein Hauch Sonnenschein'.)

Als jedoch die Regierung die Seiten wechseln wollte, wurde das Land von deutschen Truppen besetzt und die Juden - die letzte große jüdische Population unter deutscher Herrschaft - landeten nahezu alle in Auschwitz.

Weg der Vernichtung:

Auschwitz war nicht allzu lange Zeit davor entstanden und die jüdischen Populationen Europas, die den ungarischen Juden auf dem Weg der Vernichtung voraus gingen, waren an ganz unterschiedlichen Orten und auf sehr unterschiedliche Weise gestorben.

Es begann mit Massen-Erschließungen über Osteuropa verteilt. Dann experimentierte man mit mittelalterlichen Methoden wie dem Anzünden von Gebetshäusern und anderen Aufenthaltsorten. Dann entwickelte man Gaswagen, in deren Laderaum die Abgase eingeleitet wurden. Auf dieser Basis entstanden die Vernichtungslager Chelmo, Maydanek, Sobibor etc. Zuletzt entstand das größte aller Lager in Auschwitz. Dort waren die Kapazitäten riesig, die Vernichtung industriell.

Ziel dieser Entwicklung war, die Menge der Menschen, die direkt mit der Vernichtung von unschuldigen Zivilisten zu tun hatten, maximal zu reduzieren und den Abstand dieser Menschen zum eigentlichen Geschehen maximal zu erhöhen. Denn es hatte sich bei den Erschließungskomnandos gezeigt, dass diese Arbeit vielen nicht bekommt. Süchte, Alkohol-Konsum und psychische Störungen waren auf dem Vormarsch. Als Himmler eine Massen-Erschießung besichtigte, musste er sich übergeben. Als Heydrich dergleichen sah, sagte er: "So geht das nicht.", und suchte anschließend nach einer Lösung.

Die Lösung von Auschwitz war in dieser Hinsicht perfekt. Die Verantwortlichen mussten sich den Vorgang der Vernichtung nicht anschauen. Die schmutzige Arbeit einschließlich der Beseitigung der Leichen überließ man Häftlingen, die nach einer Weile selbst getötet wurden.

Selektion:

In dieser Welt komplett aufgehobener Menschenrechte kam Hanna Mandel an, via Viehtransport von irgend einem Bahnhof in Ungarn aus. Und sie wurde aussortiert. Dem absoluten Vernichtungswillen kam der Mangel an Arbeitskräften in die Quere und durchkreuzte das Todesurteil.

Hanna wanderte zuerst in das benachbarte Arbeitslager Birkenau und von dort aus in andere Lager im Reich, die überall am Rande wichtiger Produktionsstätten wie Pilze aus dem Boden schossen, während die Mehrheit ihrer Bekannten und Verwandten ihren Weg direkt in die Gaskammer fortsetzten.

Als die Alliierten schließlich nach Deutschland kamen und dem Spuk ein Ende setzten, war sie noch am Leben und irgendwie ist sie geblieben.

Begegnung:

So wurde sie schließlich zur Zeugin und ich, die ich mich in Kreisen herum trieb, wo man sich mit diesen Verbrechen beschäftigte, erhielt die Gelegenheit, sie kennen zu lernen.

Nach dem Treffen mit der Gruppe, mit Vortrag und kleiner Fragerunde, gab sie mir zu verstehen, dass sie mich gerne wieder sehen würde. Ich besuchte sie noch ein, zwei Mal. Zu meinem Erstaunen hörte sie meine Geschichte und erklärte mir dann ihre Theorie, welche Krankheit die Gesellschaft befallen hatte und im Extremfall solche Leute wie Hitler und andere Täter hervor bringt.

Sie hatte auch eine Vorstellung davon, was wir anders machen könnten, und teilte sie mit mir. Sie, die Überlebende, baute mir, der Tochter eines Täters, eine goldene Brücke zum Leben und teilte mit mir einen Teil ihrer Geschichte, ihres Wissens und ihrer Hoffnung. Dieses Geschenk, das ich ungefragt und unverdient erhalten habe, möchte ich nun an andere weitergeben.

Mutter:

Hanna Mandel machte mich auf das Phänomen des abwertenden Verhaltens aufmerksam, das in unserer Gesellschaft von Eltern gegenüber ihren Kindern und von Stärkeren gegenüber Schwächeren allgemein üblich ist und sich insbesondere auf die emotionale Entwicklung von Kindern verheerend auswirkt. Schließlich schenkte sie mir das Buch 'Du sollst nicht merken' von Alice Miller und erschloss mir so eine völlig neue Welt.

Obwohl ich Frau Mandel nur wenige Male begegnet bin, hat sie mein Leben verändert und ist mir quasi emotional zur Mutter geworden. In ihrer Großzügigkeit wurzelt mein Leben.

Aber ich gehe davon aus, dass ich bei weitem nicht das einzige Ziehkind dieser wunderbaren Frau war. Der Autor des Vortrags 'Erinnerung im Land der Täter' schien eine tiefere, vielschichtigere und ausdauerndere Beziehung zu ihr zu haben, weil er über mehr emotionale und soziale Kompetenz verfügte als ich - und vielleicht auch, weil ich damals ständig mehr Programm hatte, als sich eigentlich bewältigen ließ.

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