Erzählen und Ordnen

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Schreiben:

Damals, in der Zeit des großen Zusammenbruchs, als nichts mehr so war wie zuvor, fing ich an, mir selbst die Geschichte meiner selbst und meiner Familie zu erzählen. Ich saß Stunden lang auf der sonnigen Bank im Park und tippte mit 10 Fingern in meinen neuen Palmtop, den ich immer dabei hatte. Dies Gerät half mir, die überfließenden Assoziationen zu kanalisieren, die nach jeder Therapie-Stunde auftauchten und unmöglich alle in der nächsten aufgearbeitet werden konnten. Sie halfen mir, verschollene Zeit-Räume zu erkunden, die ich einst glaubte, ein für alle Mal hinter mir gelassen zu haben.

Vergangenheit:

Nun musste ich erkennen, dass das Vergangene zwar in der Realität nicht mehr existiert, aber für das Nervensystem weiter gegenwärtig ist.

Einmal kam ich zur Therapie und erzählte aufgeregt von einem früheren Vermieter, der mich vor Gericht bringen wollte, weil ich angeblich seine Rechte verletzt hatte, während er mich in Wirklichkeit um meine Miete und Kaution betrogen hat.

Meine Gefühle waren in Aufruhr. Das war es, was meinen Therapeuten interessierte. Er fragte mich, was ich angesichts der aus meiner damaligen Sicht existenziellen Bedrohung empfand. Ich beschrieb meine Gefühle und er fragte, wie stark diese Gefühle seien. Sie waren extrem. Da fragte er mich, ob mir ähnliche Gefühle zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal begegnet seien. Ich brauchte nicht lange, um in der Vergangenheit Ereignisse und Personen ausfindig zu machen, mit denen sich ähnliche Gefühle verbanden.

Mein Therapeut erklärte mir, dass Gefühle, die sehr groß und sehr tief sind, in der Regel auch sehr alt sind. Sie reichen oft in die frühe Kindheit zurück, wo wir uns zuweilen riesigen Wesen hilflos ausgeliefert fühlen, denen wir nichts entgegen zu setzen haben. Das war eine der besten Therapie-Stunden ever. Von da an, hatte ich ein Werkzeug in der Hand, um meine verwirrende Gegenwart zu entziffern und zu ordnen. Ich brauchte nur zu warten, wo mich die Spur meiner besonders ausgefallenen und unangebrachten Gefühle hinführte und die Geschichten erzählen, die dort aus dem Schatten der Vergangenheit hervor traten. Schreiben war also quasi Notwehr. Ich wurde so mit den Schatten der Vergangenheit fertig, die mich täglich bedrohten.

Nebenbei sei erwähnt: Ich habe einen guten Anwalt gefunden und den Prozess gegen den ehemaligen Vermieter gewonnen. Ich habe einen kleinen Teil der Forderungen bezahlt, wo wirklich ein Fehler von meiner Seite vorlag. Der Rest wurde niedergeschlagen. Der Vermieter, der selbst Anwalt war, musste mir betrügerisch zurück gehaltene Miete und Kaution zurück zahlen und trug die Kosten für das Gericht.

Verlorene Funktionen:

Aber das war nur ein Teil der inneren Arbeit, die ich - oft Stunden lang im Park sitzend oder auf dem Bett liegend oder mit Freunden telefonierend leistete. Der andere Teil war das Kartographieren von Verlusten. Ich stellte fest, welche Alltags-Funktionen, die mir vorher selbstverständlich erschienen waren, nun plötzlich ausgefallen waren und überlegte mir, welche Schritte ich unternehmen müsste, um diese Funktionen zurück zu erhalten. Denn ich wollte ja mein altes Leben wieder haben.

Interessanterweise war mir die Arbeit an verlorenen Funktionen nicht neu. Ich hatte in der Krankenpflege gelernt, die Situation meiner Patienten als Geschichte verlorener Funktionen zu verstehen, die ersetzt, überbrückt oder neu erworben werden müssen. Krankenpflege identifiziert verlorene Funktionen und versucht das, was Patienten nicht selbst tun können, durch pflegerische Handlungen zu ersetzen oder durch aktivierende Pflege zurück zu bringen.

Kindheit:

Doch meine Beziehung zu verlorenen Funktionen reicht viel weiter zurück - bis in meine Kindheit, wo ich regelmäßig feststellen musste, dass ich das, was anderen selbstverständlich erscheint, in der Form nicht zustande bringe. Ich musste andere Wege finden.

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