"Manche Menschen kaufen mit dem Geld, das sie nicht haben, Dinge, die sie nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen."
Ich weiß nicht mehr, von wem dieser Satz stammt, den ich erst vor kurzem wieder im öffentlichen Diskurs gehört habe. Aber ich erinnere mich, wie meine neue Deutsch-Lehrerin in der Oberstufe ihre erste Doppelstunde, also 2x45 Minuten, über diesen einen Satz hielt. Anschließend brauchte sie gut eine Halbe Stunde, um eine meiner neuen Kurs-Kameradinnen zu veranlassen, den Kurs nicht zu verlassen. Ich leistete ihr dabei Schützenhilfe. Denn mich brauchte sie nicht überzeugen. Die Doppel-Stunde hatte mir gezeigt, dass ich im richtigen Kurs gelandet war. Was ich da erlebt habe, war Text-Interpretation vom Feinsten, eine messerscharfe, spannende Frage nach der anderen und eine prall gefüllte Werkzeugkiste, die ausreichte, um auch im 10. Anlauf noch etwas Neues hervor zu zaubern. Ich war erfüllt von Freude, Staunen und Bewunderung.
Der Kurs hat mich auch in den folgenden 3 Jahren nicht enttäuscht, auch wenn meine Ausbeute an guten Noten wesentlich ungewisser ausfiel als bei anderen Lehrern, egal ob männlich oder weiblich, und obwohl ich schon in dem Gespräch nach der ersten Doppel-Stunde begriffen hatte, dass diese Lehrerin mich nicht mochte. Ich sagte danach zu meiner Mutter, hätte ich versucht, den Kurs zu verlassen, hätte sie mich wohl klaglos ziehen lassen.
Diese schon nach der ersten Stunde offensichtliche Abneigung hat mich nur bedingt beeindruckt, insofern es zu keiner klaren Feindschaft oder Unterdrückung kam. Ich konnte mich entfalten, wurde, soweit ich mich erinnere, nicht behindert oder eingeschränkt. Aber ich musste damit rechnen, dass Fehleinschätzungen in Arbeiten, die von anderen Lehrern milde beurteilt würden, zu massiven Abstrichen bei der Benotung führten. So wurde Deutsch zu dem einzigen Fach, wo meine Noten auch nach der Überwindung der Diktat-Hürde regelmäßig zwischen 7 und 13 bis 14 Punkten schwankte.
Theater und Pädagogik:
Doch was hat mich notenverwöhnten Lehrer:Innen-Liebling dazu veranlasst, ausgerechnet Deutsch als Leistungskurs zu wählen? Das war eine andere außergewöhnliche Lehrerin, mit der ich 4 von 6 Jahren bis zur 10. Klasse verbringen durfte. In Temperament, Auftreten und Vorgeschichte das glatte Gegenteil meiner neuen Lehrerin, aber intellektuell gleichermaßen anspruchsvoll, stand sie, die schlanke, allzeit hyperkorrekt gekleidete Brillenträgerin mit der perfekten Frisur in der 5. Klasse erstmals vor uns und sagte mit leiser Stimme: "Ich spreche gewöhnlich leise. Wenn ihr auch leise seid, werdet ihr mich immer verstehen."
Wir haben sie immer verstanden und wir haben sie gemocht. Denn sie war gerecht. Sie hat uns mit den Kriterien, nach denen sie benotet, vertraut gemacht und die Ergebnisse von Klassenarbeiten ggf mit der ganzen Klasse diskutiert und wenn jemand ein wirklich gutes Argument hatte, ließ sie sich bewegen. Ich erinnere mich an engagierte, begeisterte und strikt regelbasierte Diskussionen. Sie hat uns zu selbstbewussten, kooperativen, selbstständig denkenden Wesen erzogen. Viele Jahre später hatte ich eine ähnlich leise sprechende pensionierte Lehrerin als mütterliche Freundin.
Meine neue dagegen konnte mit ihrer Stimme nicht nur ein Klassenzimmer, sondern locker einen Theatersaal füllen. Denn sie war von Haus aus Schauspielerin.
Eines Tages gab sie zu Goethes Faust, der gerade auf dem Lehrplan stand, den Mephisto: "Ich bin der Geist, der stets verneint. Und das mit Recht. Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht (...) Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft." Ich habe ihre Stimme nicht mehr im Kopf. Aber hätte ich den Text nur gelesen, hätte er sich bei mir nicht derart festgesetzt.
Natürlich haben wir uns die klassische Aufführung mit Gustav Gründgens als Mephisto angesehen und zu Schillers 'Don Karlos' gab es eine echte Theaterprobe, die wir besuchen durften. Mein Nervensystem, das von Haus aus allenfalls Komödienstadl und Ohnesorg Theater aus dem Fernsehen kannte, tanzte vor Freude.
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Die Fülle des Lebens
No FicciónEigentlich wollte ich nur eine Mail schreiben. Doch die wurde zu lang und niemals abgeschickt. Ich wollte einem Bekannten, mit dem ich vor Monaten über Nachhaltigkeit und Entfremdung gesprochen hatte, berichten, welcher stetige Strom an Gedanken aus...