Consumo Ergo Sum

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Die Schrift an der Wand:

'Consumo ergo sum' erschien eines Tages als Graffito-Schriftzug groß, einsam und deutlich lesbar an einem unserer Universitäts-Gebäude, wo so ziemlich alle regelmäßig vorbei kamen. Das war meine zweite erinnerbare Begegnung mit Konsum-Kritik. Von der ersten berichte ich später.

Wir nennen uns heute oft 'Konsum-Gesellschaft'. Im Englischen finde ich den Begriff 'consumerism'. Konsum ist eine Art Menschenrecht und das eigene Recht auf Konsum scheint manchen Menschen wichtiger zu sein als das Recht anderer auf Leben.

Wir diskutieren, ringen, streiten, wieviel Konsum wir uns noch leisten können und wer wann warum das Recht haben sollte oder nicht haben sollte, anderen ihren übermäßigen Konsum zu verbieten. Oder zumindest hier und da Grenzen zu setzen. Denn mit unserer Welt stimmt etwas nicht und es könnte sein, dass unser Konsum damit zu tun hat.

Zwar denke auch ich, dass wir einiges ändern müssen, wenn wir in Zukunft weiter auf diesem Planeten zu Gast sein wollen. Aber mein Eindruck ist, wir arbeiten uns an den falschen Fragen ab.

Fragen:

Wer auch immer vor Jahrzehnten 'Ich konsumiere, also bin ich' an ein deutsches Universitäts-Gebäude gesprüht hat, war, so es scheint mir, schon ein ganzes Stück weiter. Denn die drei Wörter sind zwar als Aussage formuliert, enthalten aber bei näherer Betrachtung ziemlich umfassende Fragen: "Kann es sein, dass unsere gesellschaftliche, emotionale und wirtschaftliche Existenz auf Konsum beruht und ggf in Frage gestellt ist, wenn der Konsum aufhört? Was bedeutet das für den Einzelnen, was für die Gesellschaft? Wie fühlt es sich an, wenn man ohne Konsum nicht dazu gehört oder sich als nicht lebendig, nicht wirklich existent oder zumindest nicht vollständig erlebt?"

Der oder die Urheber dieses einsamen Schriftzuges, der natürlich nach einer Weile mit deutscher Gründlichkeit beseitigt wurde, knüpft nicht umsonst an Descartes an: "cogito ergo sum." "Ich denke, also bin ich." Es ist also eine philosophische Frage: Haben wir Denken durch Konsumieren ersetzt?

Sozialer Tod:

Seit Jahren machen verschiedene Autor:innen darauf aufmerksam, dass Menschen, die nicht mehr am allgemeinen Konsum teilnehmen können, gewöhnlich aus sozialen Bezügen heraus fallen. Wer sich Restaurant oder andere Dienstleistungen nicht leisten kann, schämt sich oft und zieht sich zurück. Wer im allgemeinen Konsum-Rausch nicht mehr mithalten kann, wird abgewertet und verliert an Ansehen. Wer ohne stützende soziale Subkultur den Konsum-Verzicht übt, verliert Unterstützung und ggf auch Freunde.

Die Food-Journalistin Rosa Wolf beschreibt in ihrem Buch 'Arm aber Bio', wie schwer es manchmal werden kann, wenn man kaum Geld hat und dennoch mit Freund:innen etwas unternehmen will. Mareice Kaiser schildert in ihrem Buch 'Wie viel' das Leben von Menschen, die zu wenig haben, um mithalten zu können. X andere Stimmen sind mir im Laufe der Jahre begegnet, die den sozialen Tod jener beschreiben, die in einer Konsum-Gesellschaft aufgrund von erzwungenem Konsum-Verzicht nicht zählen, nicht dazu gehören, gewissermaßen verschwinden, aus gesellschaftlicher Teilhabe, Wahrnehmung und Diskussion.

Man verstehe mich nicht falsch! Ich plädiere nicht dafür, die Menschen mit Geld zuzuschütten, damit sie fleißig konsumieren können. Es scheint mir zielführender zu sein, unsere Konzepte von Konsum, Teilhabe und Status zu überdenken. Denn Status und Teilhabe sind - nicht erst in unserer Gesellschaft - mit Konsum-Möglichkeiten gekoppelt.

Elisabeth:

Die heilige Elisabeth von Thüringen ist mir in meiner Schulzeit als gutmütige Matrone begegnet, die sich, sehr zum Missfallen ihres Mannes, den Armen zugewandt hat. Die reale Elisabeth von Thüringen war eine von der extremsten damals verbreiteten Form von Konsum-Kritik besessene junge Frau, die an ihrer absoluten Unterwerfung unter Armut, Dienst und Buße elend zu Grunde gegangen ist.

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